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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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ethnographische resp, geographische Genremalerei bezeichnen könnte. Hervor¬
ragend an coloristischer Kraft und Mannichfaltigkeit, wie an dramatischer
Lebendigkeit zeigten sich zwei dem italienischen Volksleben entnommene Com-
Pvsitionen des Wiener Malers Alois Schöne: "Volkstheater in Chioggia"
und "Heimkehr der Fischer." Einer von Max Michael in Berlin ausgestellten
"Mädchenschule im Sabinergebirge" fehlte es auch nicht an wirksamen Zügen.
E. Uoung in München bot einen "Hochzeitszug im Gebirge", lauter natur¬
wahre, lebensvolle Gestalten des Hochgebirges, in frischem, effectvollem Colorit
dargestellt. Mehr in geographischer, als in ethnographischer Beziehung
charakteristisch ist eine von Hermann Kretzschmer in Berlin dargestellte Scene
aus dem Spreewald: "Heimfahrt aus der Schule." Die fröhlichen Kinder¬
gruppen in den Kähnen, der warnende Schulmeister am Ufer sind zwar auch
recht ansprechende Momente, was dem Bilde aber sein individuelles Gepräge
verleiht, ist eben der eigenthümliche Charakter der Landschaft. -- An Dar¬
stellungen einzelner Volkstypen litt die Ausstellung auch keinen Mangel.
Hervorzuheben ist ein "Mädchen aus dem Berner Oberlande" von Emma Encke.
Ein "Florentiner Blumenmädchen" von Oscar Begas ist coloristisch vor¬
trefflich, könnte aber ebenso gut in Berlin in einem besseren Tingeltangel als
Hebe figuriren. Wohin sich der Geschmack begabter Maler verirren kann,
Zeigte Trübner's "Mohr, eine Cigarre haltend."

Auch das historische Genrebild war, was wenigstens die Anzahl betrifft,
hinter den verwandten Branchen nicht zurückgeblieben. Man wird unter
diese Kategorie auch die aus Dichterwerken entlehnten Scenen subsumiren
dürfen. In dieser Richtung that sich Karl Becker in Berlin hervor. Ein
Scene aus "Figaro's Hochzeit" und Olivia und Viola aus Shakespeare's
"Was ihr wollt", in dem Moment, als Olivia dem vermeintlichen Pagen
ihr schönes Antlitz entschleiert, glänzten durch Reichthum der Farben und
Anmuth der Darstellung. Das letztere Bild ist offenbar eine Frucht des
Gastspiels der Meininger, die Leistungen und selbst die Züge der betreffenden
Künstlerinnen sind unverkennbar nachgeahmt. Ein wahres Juwel hat Grützner
München aus Scheffels Ekkehard entlehnt. Es ist die Scene, wo der
Mönch Nudimann im tiefen Keller mit der Magd Kerhtldis zu liebkosen be¬
ginnt -- ein warnendes Exempel, wie die tolle Zeit der Weinlese auch die
Letztesten und frömmsten Naturen zu Leichtfüßen macht. -- Das eigentliche
historische Genre war weitaus am bedeutendsten durch ein Bild von Desre^ger
^ München, das "letzte Aufgebot im Jahre 1809 in Tirol" darstellend, re-
präsentirt. Wir befinden uns in einem Tyroler Dorfe. Ein Haufen bejahrter
Männer, voran ein hochbetagter Greis, ziehen mit ihren Sensen und sonstigen
brächen gegen den Feind. Nicht Verzweiflung und auch nicht rasende Wuth
spiegelt sich in ihren Mienen, sondern nur der entschlossene Todesmuth. Und


Gronzbotm IV. 1874. 30

ethnographische resp, geographische Genremalerei bezeichnen könnte. Hervor¬
ragend an coloristischer Kraft und Mannichfaltigkeit, wie an dramatischer
Lebendigkeit zeigten sich zwei dem italienischen Volksleben entnommene Com-
Pvsitionen des Wiener Malers Alois Schöne: „Volkstheater in Chioggia"
und „Heimkehr der Fischer." Einer von Max Michael in Berlin ausgestellten
„Mädchenschule im Sabinergebirge" fehlte es auch nicht an wirksamen Zügen.
E. Uoung in München bot einen „Hochzeitszug im Gebirge", lauter natur¬
wahre, lebensvolle Gestalten des Hochgebirges, in frischem, effectvollem Colorit
dargestellt. Mehr in geographischer, als in ethnographischer Beziehung
charakteristisch ist eine von Hermann Kretzschmer in Berlin dargestellte Scene
aus dem Spreewald: „Heimfahrt aus der Schule." Die fröhlichen Kinder¬
gruppen in den Kähnen, der warnende Schulmeister am Ufer sind zwar auch
recht ansprechende Momente, was dem Bilde aber sein individuelles Gepräge
verleiht, ist eben der eigenthümliche Charakter der Landschaft. — An Dar¬
stellungen einzelner Volkstypen litt die Ausstellung auch keinen Mangel.
Hervorzuheben ist ein „Mädchen aus dem Berner Oberlande" von Emma Encke.
Ein „Florentiner Blumenmädchen" von Oscar Begas ist coloristisch vor¬
trefflich, könnte aber ebenso gut in Berlin in einem besseren Tingeltangel als
Hebe figuriren. Wohin sich der Geschmack begabter Maler verirren kann,
Zeigte Trübner's „Mohr, eine Cigarre haltend."

Auch das historische Genrebild war, was wenigstens die Anzahl betrifft,
hinter den verwandten Branchen nicht zurückgeblieben. Man wird unter
diese Kategorie auch die aus Dichterwerken entlehnten Scenen subsumiren
dürfen. In dieser Richtung that sich Karl Becker in Berlin hervor. Ein
Scene aus „Figaro's Hochzeit" und Olivia und Viola aus Shakespeare's
"Was ihr wollt", in dem Moment, als Olivia dem vermeintlichen Pagen
ihr schönes Antlitz entschleiert, glänzten durch Reichthum der Farben und
Anmuth der Darstellung. Das letztere Bild ist offenbar eine Frucht des
Gastspiels der Meininger, die Leistungen und selbst die Züge der betreffenden
Künstlerinnen sind unverkennbar nachgeahmt. Ein wahres Juwel hat Grützner
München aus Scheffels Ekkehard entlehnt. Es ist die Scene, wo der
Mönch Nudimann im tiefen Keller mit der Magd Kerhtldis zu liebkosen be¬
ginnt — ein warnendes Exempel, wie die tolle Zeit der Weinlese auch die
Letztesten und frömmsten Naturen zu Leichtfüßen macht. — Das eigentliche
historische Genre war weitaus am bedeutendsten durch ein Bild von Desre^ger
^ München, das „letzte Aufgebot im Jahre 1809 in Tirol" darstellend, re-
präsentirt. Wir befinden uns in einem Tyroler Dorfe. Ein Haufen bejahrter
Männer, voran ein hochbetagter Greis, ziehen mit ihren Sensen und sonstigen
brächen gegen den Feind. Nicht Verzweiflung und auch nicht rasende Wuth
spiegelt sich in ihren Mienen, sondern nur der entschlossene Todesmuth. Und


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[0237] ethnographische resp, geographische Genremalerei bezeichnen könnte. Hervor¬ ragend an coloristischer Kraft und Mannichfaltigkeit, wie an dramatischer Lebendigkeit zeigten sich zwei dem italienischen Volksleben entnommene Com- Pvsitionen des Wiener Malers Alois Schöne: „Volkstheater in Chioggia" und „Heimkehr der Fischer." Einer von Max Michael in Berlin ausgestellten „Mädchenschule im Sabinergebirge" fehlte es auch nicht an wirksamen Zügen. E. Uoung in München bot einen „Hochzeitszug im Gebirge", lauter natur¬ wahre, lebensvolle Gestalten des Hochgebirges, in frischem, effectvollem Colorit dargestellt. Mehr in geographischer, als in ethnographischer Beziehung charakteristisch ist eine von Hermann Kretzschmer in Berlin dargestellte Scene aus dem Spreewald: „Heimfahrt aus der Schule." Die fröhlichen Kinder¬ gruppen in den Kähnen, der warnende Schulmeister am Ufer sind zwar auch recht ansprechende Momente, was dem Bilde aber sein individuelles Gepräge verleiht, ist eben der eigenthümliche Charakter der Landschaft. — An Dar¬ stellungen einzelner Volkstypen litt die Ausstellung auch keinen Mangel. Hervorzuheben ist ein „Mädchen aus dem Berner Oberlande" von Emma Encke. Ein „Florentiner Blumenmädchen" von Oscar Begas ist coloristisch vor¬ trefflich, könnte aber ebenso gut in Berlin in einem besseren Tingeltangel als Hebe figuriren. Wohin sich der Geschmack begabter Maler verirren kann, Zeigte Trübner's „Mohr, eine Cigarre haltend." Auch das historische Genrebild war, was wenigstens die Anzahl betrifft, hinter den verwandten Branchen nicht zurückgeblieben. Man wird unter diese Kategorie auch die aus Dichterwerken entlehnten Scenen subsumiren dürfen. In dieser Richtung that sich Karl Becker in Berlin hervor. Ein Scene aus „Figaro's Hochzeit" und Olivia und Viola aus Shakespeare's "Was ihr wollt", in dem Moment, als Olivia dem vermeintlichen Pagen ihr schönes Antlitz entschleiert, glänzten durch Reichthum der Farben und Anmuth der Darstellung. Das letztere Bild ist offenbar eine Frucht des Gastspiels der Meininger, die Leistungen und selbst die Züge der betreffenden Künstlerinnen sind unverkennbar nachgeahmt. Ein wahres Juwel hat Grützner München aus Scheffels Ekkehard entlehnt. Es ist die Scene, wo der Mönch Nudimann im tiefen Keller mit der Magd Kerhtldis zu liebkosen be¬ ginnt — ein warnendes Exempel, wie die tolle Zeit der Weinlese auch die Letztesten und frömmsten Naturen zu Leichtfüßen macht. — Das eigentliche historische Genre war weitaus am bedeutendsten durch ein Bild von Desre^ger ^ München, das „letzte Aufgebot im Jahre 1809 in Tirol" darstellend, re- präsentirt. Wir befinden uns in einem Tyroler Dorfe. Ein Haufen bejahrter Männer, voran ein hochbetagter Greis, ziehen mit ihren Sensen und sonstigen brächen gegen den Feind. Nicht Verzweiflung und auch nicht rasende Wuth spiegelt sich in ihren Mienen, sondern nur der entschlossene Todesmuth. Und Gronzbotm IV. 1874. 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/237>, abgerufen am 29.12.2024.