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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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sie sich gütlich gethan, zeigen die Reste auf dem Tische. Jetzt kommt der
Moment, wo für jeden Sterblichen die Gemüthlichkeit aufhört. Das lange
Gesicht des Meer launig.8, die Verlegenheit der hübschen Tochter, die Ver¬
blüfftheit des Jungen, der sich eben noch einen Bissen zu Gemüthe führen
will, -- das Alles könnte natürlicher und ergötzlicher nicht wiedergegeben
werden. In einem durch Klarheit der Zeichnung und Feinheit der Charak¬
teristik ausgezeichneten Bilde hat Seyfferth in Weimar das Kartenlegen
("Dorforakel") dargestellt. -- Jagd- und Räubergeschichten, stets ein beliebtes
Thema für Genrebilder, durften natürlich auch hier nicht fehlen. Erwähnen
wir aus der Region der ersteren Grützner's "Jägerlatein", eine lustige Illu¬
stration , wie "Jagdgeschichten" erzählt und aufgenommen werden. Als Re¬
präsentant der Räubergeschichten mag "Der erschossene Wilderer" von Simmler
dienen. Hoch oben in den Schneebergen, an öder Stelle, liegt der Leichnam.
Eben kommen die Dorfleute, ihn zu holen. Die Kinder des Todten, die
ihnen vorausgeeilt, stehen im wilden Sturme unweit des Vaters, das Mädchen
in Grausen und Verzweiflung, der Knabe in finsterem Brüten. -- Das
Ganze ein düsteres, aber ergreifendes Bild. -- Die Nachtseite des haupt¬
städtischen Lebens entrollt Fritz Paulsen in seinem "Kümmelblättchen". Die
Scene ist aus dem vollen Leben gegriffen, eine Beschreibung weiter nicht
nöthig. -- Mehrere Genremaler hatten diesmal ihre Vorliebe für Schuster
und Schusterwerkstätten bekundet, am ergötzlichsten der Italiener Orfeo Orfei.
Ueberhaupt zeichneten sich fast alle von Italienern ausgestellte Genrebilder
durch deutliche Charakteristik, Lebendigkeit und Klarheit der Farben aus-
so besonders die von Guglielmo Guglielmi. Was wir Deutschen jedoch an
ihnen vermissen, ist das Gemüth. -- An sog. Idyllen war auch diesmal kein
Mangel; doch scheint es, als ob sich unsere Maler endlich mehr und mehr
daran gewöhnten, sie als überwundenen Standpunkt zu betrachten. Als sehr
ansprechend mag Robert Beyschlag's "glückliche Mutter" hervorgehoben
werden, eine Bäuerin, die strahlenden Antlitzes ihr Kind hoch in die Luft
hält. -- Die bei den heutigen Genremalern nur allzu beliebten Rührscenen
nahmen auch diesmal einen breiten Raum ein. Als das ergreifendste und
am wenigsten gekünstelte darf Otto Günther's "Wittwer" genannt werden.
Ein junger Bauer kehrt eben zurück vom Grabe seiner Frau. Ueberwältigt
vom Schmerz ist er vor das Bett hingesunken und birgt sein Gesicht in den
Falten der Vorhänge. Die Alte hinter ihm hält sein blühendes Kind aus
dem Arme; sie weiß, es ist ihm der einzige Trost, aber doch wagt sie nicht'
ihn in seinem Jammer zu stören; er muß sich ausweinen! -- Ein vortreff¬
liches Bild hatte Carl Schlösser in Darmstadt ausgestellt. Eine alte ver¬
lassene Wittwe erhält von einem Freunde "Rath in der Noth."

Reichlich war auch eine Abart vertreten, die man am zutreffendsten


sie sich gütlich gethan, zeigen die Reste auf dem Tische. Jetzt kommt der
Moment, wo für jeden Sterblichen die Gemüthlichkeit aufhört. Das lange
Gesicht des Meer launig.8, die Verlegenheit der hübschen Tochter, die Ver¬
blüfftheit des Jungen, der sich eben noch einen Bissen zu Gemüthe führen
will, — das Alles könnte natürlicher und ergötzlicher nicht wiedergegeben
werden. In einem durch Klarheit der Zeichnung und Feinheit der Charak¬
teristik ausgezeichneten Bilde hat Seyfferth in Weimar das Kartenlegen
(„Dorforakel") dargestellt. — Jagd- und Räubergeschichten, stets ein beliebtes
Thema für Genrebilder, durften natürlich auch hier nicht fehlen. Erwähnen
wir aus der Region der ersteren Grützner's „Jägerlatein", eine lustige Illu¬
stration , wie „Jagdgeschichten" erzählt und aufgenommen werden. Als Re¬
präsentant der Räubergeschichten mag „Der erschossene Wilderer" von Simmler
dienen. Hoch oben in den Schneebergen, an öder Stelle, liegt der Leichnam.
Eben kommen die Dorfleute, ihn zu holen. Die Kinder des Todten, die
ihnen vorausgeeilt, stehen im wilden Sturme unweit des Vaters, das Mädchen
in Grausen und Verzweiflung, der Knabe in finsterem Brüten. — Das
Ganze ein düsteres, aber ergreifendes Bild. — Die Nachtseite des haupt¬
städtischen Lebens entrollt Fritz Paulsen in seinem „Kümmelblättchen". Die
Scene ist aus dem vollen Leben gegriffen, eine Beschreibung weiter nicht
nöthig. — Mehrere Genremaler hatten diesmal ihre Vorliebe für Schuster
und Schusterwerkstätten bekundet, am ergötzlichsten der Italiener Orfeo Orfei.
Ueberhaupt zeichneten sich fast alle von Italienern ausgestellte Genrebilder
durch deutliche Charakteristik, Lebendigkeit und Klarheit der Farben aus-
so besonders die von Guglielmo Guglielmi. Was wir Deutschen jedoch an
ihnen vermissen, ist das Gemüth. — An sog. Idyllen war auch diesmal kein
Mangel; doch scheint es, als ob sich unsere Maler endlich mehr und mehr
daran gewöhnten, sie als überwundenen Standpunkt zu betrachten. Als sehr
ansprechend mag Robert Beyschlag's „glückliche Mutter" hervorgehoben
werden, eine Bäuerin, die strahlenden Antlitzes ihr Kind hoch in die Luft
hält. — Die bei den heutigen Genremalern nur allzu beliebten Rührscenen
nahmen auch diesmal einen breiten Raum ein. Als das ergreifendste und
am wenigsten gekünstelte darf Otto Günther's „Wittwer" genannt werden.
Ein junger Bauer kehrt eben zurück vom Grabe seiner Frau. Ueberwältigt
vom Schmerz ist er vor das Bett hingesunken und birgt sein Gesicht in den
Falten der Vorhänge. Die Alte hinter ihm hält sein blühendes Kind aus
dem Arme; sie weiß, es ist ihm der einzige Trost, aber doch wagt sie nicht'
ihn in seinem Jammer zu stören; er muß sich ausweinen! — Ein vortreff¬
liches Bild hatte Carl Schlösser in Darmstadt ausgestellt. Eine alte ver¬
lassene Wittwe erhält von einem Freunde „Rath in der Noth."

Reichlich war auch eine Abart vertreten, die man am zutreffendsten


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[0236] sie sich gütlich gethan, zeigen die Reste auf dem Tische. Jetzt kommt der Moment, wo für jeden Sterblichen die Gemüthlichkeit aufhört. Das lange Gesicht des Meer launig.8, die Verlegenheit der hübschen Tochter, die Ver¬ blüfftheit des Jungen, der sich eben noch einen Bissen zu Gemüthe führen will, — das Alles könnte natürlicher und ergötzlicher nicht wiedergegeben werden. In einem durch Klarheit der Zeichnung und Feinheit der Charak¬ teristik ausgezeichneten Bilde hat Seyfferth in Weimar das Kartenlegen („Dorforakel") dargestellt. — Jagd- und Räubergeschichten, stets ein beliebtes Thema für Genrebilder, durften natürlich auch hier nicht fehlen. Erwähnen wir aus der Region der ersteren Grützner's „Jägerlatein", eine lustige Illu¬ stration , wie „Jagdgeschichten" erzählt und aufgenommen werden. Als Re¬ präsentant der Räubergeschichten mag „Der erschossene Wilderer" von Simmler dienen. Hoch oben in den Schneebergen, an öder Stelle, liegt der Leichnam. Eben kommen die Dorfleute, ihn zu holen. Die Kinder des Todten, die ihnen vorausgeeilt, stehen im wilden Sturme unweit des Vaters, das Mädchen in Grausen und Verzweiflung, der Knabe in finsterem Brüten. — Das Ganze ein düsteres, aber ergreifendes Bild. — Die Nachtseite des haupt¬ städtischen Lebens entrollt Fritz Paulsen in seinem „Kümmelblättchen". Die Scene ist aus dem vollen Leben gegriffen, eine Beschreibung weiter nicht nöthig. — Mehrere Genremaler hatten diesmal ihre Vorliebe für Schuster und Schusterwerkstätten bekundet, am ergötzlichsten der Italiener Orfeo Orfei. Ueberhaupt zeichneten sich fast alle von Italienern ausgestellte Genrebilder durch deutliche Charakteristik, Lebendigkeit und Klarheit der Farben aus- so besonders die von Guglielmo Guglielmi. Was wir Deutschen jedoch an ihnen vermissen, ist das Gemüth. — An sog. Idyllen war auch diesmal kein Mangel; doch scheint es, als ob sich unsere Maler endlich mehr und mehr daran gewöhnten, sie als überwundenen Standpunkt zu betrachten. Als sehr ansprechend mag Robert Beyschlag's „glückliche Mutter" hervorgehoben werden, eine Bäuerin, die strahlenden Antlitzes ihr Kind hoch in die Luft hält. — Die bei den heutigen Genremalern nur allzu beliebten Rührscenen nahmen auch diesmal einen breiten Raum ein. Als das ergreifendste und am wenigsten gekünstelte darf Otto Günther's „Wittwer" genannt werden. Ein junger Bauer kehrt eben zurück vom Grabe seiner Frau. Ueberwältigt vom Schmerz ist er vor das Bett hingesunken und birgt sein Gesicht in den Falten der Vorhänge. Die Alte hinter ihm hält sein blühendes Kind aus dem Arme; sie weiß, es ist ihm der einzige Trost, aber doch wagt sie nicht' ihn in seinem Jammer zu stören; er muß sich ausweinen! — Ein vortreff¬ liches Bild hatte Carl Schlösser in Darmstadt ausgestellt. Eine alte ver¬ lassene Wittwe erhält von einem Freunde „Rath in der Noth." Reichlich war auch eine Abart vertreten, die man am zutreffendsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/236>, abgerufen am 29.12.2024.