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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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hat Uhland davon gesungen. Und noch einmal machten sie in Würtemberg
Rumor. Bet einer einfachen Schlägerei in einem Weinhause war der Wür-
tenberger Burgvogt, der in der Stadt fitzen durfte, "etwas übel weggekom¬
men", d. h. erschlagen worden. Die Stadt wollte den Thäter nicht ausliefern,
so rückte Herzog Ulrich mit einem Heer an, grub jener die Brunnen ab und
setzte ihr mit seinen Karthaunen und 'Handbüchsen hart zu. Die Belagerten
verbrannten ihre Vorstädte, damit sich der Feind in ihnen nicht festsetzen sollte,
dieser schoß wieder die Stadtmauern zusammen, dann aber fror bei strengem
Winter der Stadtgraben zu und der Rath mußte capituliren. Nun legte sich
der schwäbische Bund in den Handel und eroberte Reutlingen dem Reiche zu¬
rück; der Herzog mußte sein Land meiden und 16 Jahre lang ließ der Geist
des erschlagenen Burgvogts ganz Würtemberg keine Ruhe.

Jetzt sieht Alles. Stadt und Leute eminent friedlich aus und in dem
Wernerischen Bruderhaus macht jene sogar auf eine ganz besondere Friedensstätte
Anspruch. Wir haben nicht ohne Bewunderung für die Thatkraft Eines
Mannes, von dem das alles ausgegangen, die mancherlei Anstalten durch¬
wandert, die. ähnlich dem rauhen Haus zu Horn aber praktischer als dieses,
den Versuch machen sollen. Socialismus und Christenthum zu verschmelzen
und die Idee der Klöster und Congregativnen im Geist des Protestantismus
Zu regeneriren. Und ein Zweitinteressantes, wenn freilich wieder auf ganz
anderm Gebiet Liegendes, bot uns noch Reutlingen: das pomologische In¬
stitut des Herrn v. Lucas. dessen Leistungen und gemeinnützigen Einrichtungen
in ihrer besondern Sphäre in Deutschland wohl einzig sind. Mit großer
Liebenswürdigkeit führte uns der Eigenthümer durch seine weitausgedehnter
Gartenpflanzungen mit ihren Hunderten von Obstarten, die Lehr- und Hör-
säle, die reichhaltigen Sammlungen, und wir schieden mit hoher Achtung
°und von diesem Manne, der mit seltener Energie und Befähigung, nur ans
L'ehe zur Sache und aus opferwilligen Sinn für das Gemeinwohl, hier ein
Sanz neues Arbeits- und Erntefeld geschaffen hat.

Aber es waren uns nur flüchtige Stunden für beide Anstalten, um
derentwillen man nicht an Reutlingen vorüberfahren darf, vergönnt. Wir
^ren wieder an der Eisenbahn und die mußte uns an dem Abend noch nach
Hechingen bringen. Das Neckarthal hüllte sich in Dämmerung; schon
Tübingen war etwas umflort. Die würtenbergische Universitätsstadt hat
U'ehe die großartige Lage ihrer Schwestern Freiburg und Heidelberg, aber
lieblich ist sie und anmuthig. und auch viel besungen. Manch Greisen- und
Mannesauge ruht heut noch mit freudig-wehmüthigem Blick auf dem Städtchen
Mischen Neckar und Ammer, der Stätte fröhlicher Jugend. Wir fuhren
diesmal vorüber; erst auf dem Rückweg vom Hohenzollern wollten wir Halt
Zacher. Es ging im Neckarthal aufwärts. Wohlhabende Dörfer liegen in


hat Uhland davon gesungen. Und noch einmal machten sie in Würtemberg
Rumor. Bet einer einfachen Schlägerei in einem Weinhause war der Wür-
tenberger Burgvogt, der in der Stadt fitzen durfte, „etwas übel weggekom¬
men", d. h. erschlagen worden. Die Stadt wollte den Thäter nicht ausliefern,
so rückte Herzog Ulrich mit einem Heer an, grub jener die Brunnen ab und
setzte ihr mit seinen Karthaunen und 'Handbüchsen hart zu. Die Belagerten
verbrannten ihre Vorstädte, damit sich der Feind in ihnen nicht festsetzen sollte,
dieser schoß wieder die Stadtmauern zusammen, dann aber fror bei strengem
Winter der Stadtgraben zu und der Rath mußte capituliren. Nun legte sich
der schwäbische Bund in den Handel und eroberte Reutlingen dem Reiche zu¬
rück; der Herzog mußte sein Land meiden und 16 Jahre lang ließ der Geist
des erschlagenen Burgvogts ganz Würtemberg keine Ruhe.

Jetzt sieht Alles. Stadt und Leute eminent friedlich aus und in dem
Wernerischen Bruderhaus macht jene sogar auf eine ganz besondere Friedensstätte
Anspruch. Wir haben nicht ohne Bewunderung für die Thatkraft Eines
Mannes, von dem das alles ausgegangen, die mancherlei Anstalten durch¬
wandert, die. ähnlich dem rauhen Haus zu Horn aber praktischer als dieses,
den Versuch machen sollen. Socialismus und Christenthum zu verschmelzen
und die Idee der Klöster und Congregativnen im Geist des Protestantismus
Zu regeneriren. Und ein Zweitinteressantes, wenn freilich wieder auf ganz
anderm Gebiet Liegendes, bot uns noch Reutlingen: das pomologische In¬
stitut des Herrn v. Lucas. dessen Leistungen und gemeinnützigen Einrichtungen
in ihrer besondern Sphäre in Deutschland wohl einzig sind. Mit großer
Liebenswürdigkeit führte uns der Eigenthümer durch seine weitausgedehnter
Gartenpflanzungen mit ihren Hunderten von Obstarten, die Lehr- und Hör-
säle, die reichhaltigen Sammlungen, und wir schieden mit hoher Achtung
°und von diesem Manne, der mit seltener Energie und Befähigung, nur ans
L'ehe zur Sache und aus opferwilligen Sinn für das Gemeinwohl, hier ein
Sanz neues Arbeits- und Erntefeld geschaffen hat.

Aber es waren uns nur flüchtige Stunden für beide Anstalten, um
derentwillen man nicht an Reutlingen vorüberfahren darf, vergönnt. Wir
^ren wieder an der Eisenbahn und die mußte uns an dem Abend noch nach
Hechingen bringen. Das Neckarthal hüllte sich in Dämmerung; schon
Tübingen war etwas umflort. Die würtenbergische Universitätsstadt hat
U'ehe die großartige Lage ihrer Schwestern Freiburg und Heidelberg, aber
lieblich ist sie und anmuthig. und auch viel besungen. Manch Greisen- und
Mannesauge ruht heut noch mit freudig-wehmüthigem Blick auf dem Städtchen
Mischen Neckar und Ammer, der Stätte fröhlicher Jugend. Wir fuhren
diesmal vorüber; erst auf dem Rückweg vom Hohenzollern wollten wir Halt
Zacher. Es ging im Neckarthal aufwärts. Wohlhabende Dörfer liegen in


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[0227] hat Uhland davon gesungen. Und noch einmal machten sie in Würtemberg Rumor. Bet einer einfachen Schlägerei in einem Weinhause war der Wür- tenberger Burgvogt, der in der Stadt fitzen durfte, „etwas übel weggekom¬ men", d. h. erschlagen worden. Die Stadt wollte den Thäter nicht ausliefern, so rückte Herzog Ulrich mit einem Heer an, grub jener die Brunnen ab und setzte ihr mit seinen Karthaunen und 'Handbüchsen hart zu. Die Belagerten verbrannten ihre Vorstädte, damit sich der Feind in ihnen nicht festsetzen sollte, dieser schoß wieder die Stadtmauern zusammen, dann aber fror bei strengem Winter der Stadtgraben zu und der Rath mußte capituliren. Nun legte sich der schwäbische Bund in den Handel und eroberte Reutlingen dem Reiche zu¬ rück; der Herzog mußte sein Land meiden und 16 Jahre lang ließ der Geist des erschlagenen Burgvogts ganz Würtemberg keine Ruhe. Jetzt sieht Alles. Stadt und Leute eminent friedlich aus und in dem Wernerischen Bruderhaus macht jene sogar auf eine ganz besondere Friedensstätte Anspruch. Wir haben nicht ohne Bewunderung für die Thatkraft Eines Mannes, von dem das alles ausgegangen, die mancherlei Anstalten durch¬ wandert, die. ähnlich dem rauhen Haus zu Horn aber praktischer als dieses, den Versuch machen sollen. Socialismus und Christenthum zu verschmelzen und die Idee der Klöster und Congregativnen im Geist des Protestantismus Zu regeneriren. Und ein Zweitinteressantes, wenn freilich wieder auf ganz anderm Gebiet Liegendes, bot uns noch Reutlingen: das pomologische In¬ stitut des Herrn v. Lucas. dessen Leistungen und gemeinnützigen Einrichtungen in ihrer besondern Sphäre in Deutschland wohl einzig sind. Mit großer Liebenswürdigkeit führte uns der Eigenthümer durch seine weitausgedehnter Gartenpflanzungen mit ihren Hunderten von Obstarten, die Lehr- und Hör- säle, die reichhaltigen Sammlungen, und wir schieden mit hoher Achtung °und von diesem Manne, der mit seltener Energie und Befähigung, nur ans L'ehe zur Sache und aus opferwilligen Sinn für das Gemeinwohl, hier ein Sanz neues Arbeits- und Erntefeld geschaffen hat. Aber es waren uns nur flüchtige Stunden für beide Anstalten, um derentwillen man nicht an Reutlingen vorüberfahren darf, vergönnt. Wir ^ren wieder an der Eisenbahn und die mußte uns an dem Abend noch nach Hechingen bringen. Das Neckarthal hüllte sich in Dämmerung; schon Tübingen war etwas umflort. Die würtenbergische Universitätsstadt hat U'ehe die großartige Lage ihrer Schwestern Freiburg und Heidelberg, aber lieblich ist sie und anmuthig. und auch viel besungen. Manch Greisen- und Mannesauge ruht heut noch mit freudig-wehmüthigem Blick auf dem Städtchen Mischen Neckar und Ammer, der Stätte fröhlicher Jugend. Wir fuhren diesmal vorüber; erst auf dem Rückweg vom Hohenzollern wollten wir Halt Zacher. Es ging im Neckarthal aufwärts. Wohlhabende Dörfer liegen in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/227>, abgerufen am 27.07.2024.