Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.aufzuoculiren. Lichtenstein hatte bekanntlich einst seine "berühmte" Zeit, wo Nun war's an der Wirthin von Oberhausen, ein ungläubig Gesicht zu Wir kamen über Pfullingen, im Mittelalter ein Asyl für "uffcechten
aufzuoculiren. Lichtenstein hatte bekanntlich einst seine „berühmte" Zeit, wo Nun war's an der Wirthin von Oberhausen, ein ungläubig Gesicht zu Wir kamen über Pfullingen, im Mittelalter ein Asyl für „uffcechten
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0226" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132448"/> <p xml:id="ID_713" prev="#ID_712"> aufzuoculiren. Lichtenstein hatte bekanntlich einst seine „berühmte" Zeit, wo<lb/> in der Trinkhalle mit ihrem Halbdunkel der gemalten Fenster, den alten<lb/> Rüstungen und den heitern launigen Trinksprüchen an den Wänden so oft<lb/> die Tafelrunde des schwäbischen Dichterkreises um den Burgherrn, den Sänger<lb/> der „Lieder des Sturms" versammelt saß. Die gegenwärtigen Bewohner<lb/> scheinen in keinem Contakt mehr mit ihr zu stehen, sonst würden sie das<lb/> Schlößchen mit seinen vielen Kunstschätzen nicht so unnahbar machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_714"> Nun war's an der Wirthin von Oberhausen, ein ungläubig Gesicht zu<lb/> machen. Sie konnte es nicht fassen, daß ich „drin" gewesen. Sie mußte mich<lb/> für was besonders „Vornehmes" halten, daß ich das möglich gemacht, beeilte<lb/> sich darum, mir meinen Schoppen Wein für zweie anzurechnen und mir tau¬<lb/> sendmal vergnügte Reise zu wünschen. Die mußte sich von selbst finden, wenn<lb/> man ein so lieblich Thal durchfuhr, wie auch das Jrnauer eins ist, rechts<lb/> und links von waldigen Almen umlagert, mit drei lachenden Dörfern besetzt,<lb/> von wasserfrischen Wiesen durchgrünt, von der sprudelnden Echatz belebt, im<lb/> Kleinen an das Lauterbrunner Thal erinnernd.</p><lb/> <p xml:id="ID_715" next="#ID_716"> Wir kamen über Pfullingen, im Mittelalter ein Asyl für „uffcechten<lb/> redlichen, ungefährlichen Todschlag", dann hielten wir in Reutlingen<lb/> Mittag. Der Eindruck der alten Reichsstadt ist moderner, als man von ihr<lb/> vermuthen sollte. Ein drei Tage lang wüthender Brand hat im Jahre 1726<lb/> das alterthümliche Gepräge etwas zusammengeschmolzen. Auch die prächtige<lb/> Marienkirche brannte damals aus, allein ihre herrlichen gothischen Formen<lb/> blieben und nun ist sie diesen entsprechend würdig restaurirt. Daß ein Kriegs'<lb/> Werkzeug, ein Sturmbock das Modell einer Kirche abgiebt, kommt wohl selten<lb/> vor. Die Reutlinger Haben's zu Wege gebracht. Im Jahr 1247 lag Hein¬<lb/> rich Raspe. der Gegenkönig Konrad's IV., vor der Stadt. Die bedrängten<lb/> Bürger gelobten der Jungfrau Maria ein schönes Gotteshaus, wenn sie ein<lb/> Einsehen mit ihnen haben wollte. Ob dieses nun der Fall war oder ob die<lb/> Reutlinger sich doch auch etwas auf ihre eigene Faust verließen: der Rasp^<lb/> zog ab und ließ sogar einen mächtigen Sturmbock vor den Mauern zurück'<lb/> Den brachten sie nun jubelnd herein und machten ihn sofort zum Maß ihrer<lb/> Votivkirche, so daß deren Schiff wirklich gerade so lang wie jener, nämlich 1^<lb/> Fuß lang, wurde. Von des Sturmbocks Zeiten her blieb den Reutlinger»<lb/> ein kriegerischer mannhafter Sinn, trotzdem sie seit lange denselben friedliche"<lb/> Beschäftigungen, die heut noch in der Stadt blühen, als Rothgerberei. F«^<lb/> berei und dergleichen oblagen. Und so räumten sie unter den Rittern ve<lb/> Grafen Ulrich v. Würtemberg — an 1377 war's — ähnlich auf. wie<lb/> Schweizer bei Moorgarten gethan.</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_127" type="poem"> <l> „Wie haben da die Gerber so meisterlich gegerbt,<lb/> Wie haben da die Färber so purpurroth gefärbt!"</l> </lg> </quote><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0226]
aufzuoculiren. Lichtenstein hatte bekanntlich einst seine „berühmte" Zeit, wo
in der Trinkhalle mit ihrem Halbdunkel der gemalten Fenster, den alten
Rüstungen und den heitern launigen Trinksprüchen an den Wänden so oft
die Tafelrunde des schwäbischen Dichterkreises um den Burgherrn, den Sänger
der „Lieder des Sturms" versammelt saß. Die gegenwärtigen Bewohner
scheinen in keinem Contakt mehr mit ihr zu stehen, sonst würden sie das
Schlößchen mit seinen vielen Kunstschätzen nicht so unnahbar machen.
Nun war's an der Wirthin von Oberhausen, ein ungläubig Gesicht zu
machen. Sie konnte es nicht fassen, daß ich „drin" gewesen. Sie mußte mich
für was besonders „Vornehmes" halten, daß ich das möglich gemacht, beeilte
sich darum, mir meinen Schoppen Wein für zweie anzurechnen und mir tau¬
sendmal vergnügte Reise zu wünschen. Die mußte sich von selbst finden, wenn
man ein so lieblich Thal durchfuhr, wie auch das Jrnauer eins ist, rechts
und links von waldigen Almen umlagert, mit drei lachenden Dörfern besetzt,
von wasserfrischen Wiesen durchgrünt, von der sprudelnden Echatz belebt, im
Kleinen an das Lauterbrunner Thal erinnernd.
Wir kamen über Pfullingen, im Mittelalter ein Asyl für „uffcechten
redlichen, ungefährlichen Todschlag", dann hielten wir in Reutlingen
Mittag. Der Eindruck der alten Reichsstadt ist moderner, als man von ihr
vermuthen sollte. Ein drei Tage lang wüthender Brand hat im Jahre 1726
das alterthümliche Gepräge etwas zusammengeschmolzen. Auch die prächtige
Marienkirche brannte damals aus, allein ihre herrlichen gothischen Formen
blieben und nun ist sie diesen entsprechend würdig restaurirt. Daß ein Kriegs'
Werkzeug, ein Sturmbock das Modell einer Kirche abgiebt, kommt wohl selten
vor. Die Reutlinger Haben's zu Wege gebracht. Im Jahr 1247 lag Hein¬
rich Raspe. der Gegenkönig Konrad's IV., vor der Stadt. Die bedrängten
Bürger gelobten der Jungfrau Maria ein schönes Gotteshaus, wenn sie ein
Einsehen mit ihnen haben wollte. Ob dieses nun der Fall war oder ob die
Reutlinger sich doch auch etwas auf ihre eigene Faust verließen: der Rasp^
zog ab und ließ sogar einen mächtigen Sturmbock vor den Mauern zurück'
Den brachten sie nun jubelnd herein und machten ihn sofort zum Maß ihrer
Votivkirche, so daß deren Schiff wirklich gerade so lang wie jener, nämlich 1^
Fuß lang, wurde. Von des Sturmbocks Zeiten her blieb den Reutlinger»
ein kriegerischer mannhafter Sinn, trotzdem sie seit lange denselben friedliche"
Beschäftigungen, die heut noch in der Stadt blühen, als Rothgerberei. F«^
berei und dergleichen oblagen. Und so räumten sie unter den Rittern ve
Grafen Ulrich v. Würtemberg — an 1377 war's — ähnlich auf. wie
Schweizer bei Moorgarten gethan.
„Wie haben da die Gerber so meisterlich gegerbt,
Wie haben da die Färber so purpurroth gefärbt!"
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