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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Handbuch sagte, sondern erst nach wohlgezählten 48 Minuten, stand ich
da, wo


"aus einem tiefen grünen Thal
Aufsteigt ein Fels als wie ein Strahl,
Drauf schaut das Schlößchen Lichtenstein
Vergnüglich in die Welt hinein."

So singt Gustav Schwab und Hauff schildert in seiner vielbekannten Er¬
zählung, bei der das Schlößlein Pathenstelle vertreten: "wie ein kolossaler
Münsterthurm steigt aus dem tiefen Albthal ein schöner Felsen frei und kühn
empor. Weitab liegt alles feste Land, als hätte ihn der Blitz von der Erde
weggespalten, ein Erdbeben ihn losgetrennt, oder eine Wasserflut!) vor ur¬
alten Zeiten das weichere Erdreich ringsum von seinen festen Steinmassen
abgespült. Selbst an der Seite von Südwest, wo er dem übrigen Gebirge
sich nähert, klafft eine tiefe Spalte hinlänglich weit, um auch den kühnsten
Sprung einer Gemse unmöglich zu machen, doch nicht so breit, daß nicht die
erfinderische Kunst des Menschen durch eine Brücke die getrennten Theile ver¬
einigen konnte." Aber von alledem sah ich nichts. Unten im Thal hatte
^es den "Felsenstrahl", den "Münsterthurm" wohl aufsteigen sehen, aber nun.
^a ich oben auf dem'Plateau war, war er mir rein entschwunden. Ich fand
^'ches. als ein Jägerhaus, schöne Parkanlagen, einen Felsenvorsprung, auf dem
°'ne Büste Hauffs, des Historiographen des Lichtenstein, in das Thal hinunter¬
schaut, und ein festverschlossenes Thor. Hinter dem mußte also erst das
Schlößchen stecken, innerhalb dieses erst die "Spalte zu finden sein, über die
^eine Gemse hinwegsetzen kann", aber die auf allen Bildern Lichtensteins zu
spende Zugbrücke hinüberführt. Aber über dem Thor stand wirklich klar und
^ großen Buchstaben zu lesen: "Verbotener Eingang". Ja, und dazu hatte
^ Verwalter, der drüben im Jägerhaus mit mir gefrühstückt hatte, gesagt:
"Die Frau Herzogin wünschen ungestört zu sein." Aber eine Niederlage
^i"es Touristenbewußtseins, ein unausgefülltes Blatt in meinem Neise-
^illeton. eine Lücke in diesen Skizzen, konnte auch die ruhebedürftigste
^'Zogin nicht verantworten. Das mußte ihr klar geworden sein, denn als-
^ kam der Major Domus. dem ich meine Karte übergeben und der sie
bedenklich in Empfang genommen hatte, mit der sehr freundlichen Ein-
^ung der Burgfrau zum Eintritt und zur flüchtigen Besichtigung zurück.
^° war der Bann gebrochen, ich ging durch den wohlgepflegten, blumenreichen
^hof, und stand nun erst vor dem eigentlichen Lichtenstein. Wie ein echtes
^ rechtes in die höchsten Wipfel einer Eiche gebautes Nest schwebt das
^ Klößchen über der schwindelnd tiefen Kluft. Nur ein Genie, wie Heideloff,
°unde das Wagniß unternehmen, einer solchen Felsennadel eine ganze, bei
^' scheinbaren Kleinheit außerordentlich geräumige Ritterburg reinsten Styls


Handbuch sagte, sondern erst nach wohlgezählten 48 Minuten, stand ich
da, wo


„aus einem tiefen grünen Thal
Aufsteigt ein Fels als wie ein Strahl,
Drauf schaut das Schlößchen Lichtenstein
Vergnüglich in die Welt hinein."

So singt Gustav Schwab und Hauff schildert in seiner vielbekannten Er¬
zählung, bei der das Schlößlein Pathenstelle vertreten: „wie ein kolossaler
Münsterthurm steigt aus dem tiefen Albthal ein schöner Felsen frei und kühn
empor. Weitab liegt alles feste Land, als hätte ihn der Blitz von der Erde
weggespalten, ein Erdbeben ihn losgetrennt, oder eine Wasserflut!) vor ur¬
alten Zeiten das weichere Erdreich ringsum von seinen festen Steinmassen
abgespült. Selbst an der Seite von Südwest, wo er dem übrigen Gebirge
sich nähert, klafft eine tiefe Spalte hinlänglich weit, um auch den kühnsten
Sprung einer Gemse unmöglich zu machen, doch nicht so breit, daß nicht die
erfinderische Kunst des Menschen durch eine Brücke die getrennten Theile ver¬
einigen konnte." Aber von alledem sah ich nichts. Unten im Thal hatte
^es den „Felsenstrahl", den „Münsterthurm" wohl aufsteigen sehen, aber nun.
^a ich oben auf dem'Plateau war, war er mir rein entschwunden. Ich fand
^'ches. als ein Jägerhaus, schöne Parkanlagen, einen Felsenvorsprung, auf dem
°'ne Büste Hauffs, des Historiographen des Lichtenstein, in das Thal hinunter¬
schaut, und ein festverschlossenes Thor. Hinter dem mußte also erst das
Schlößchen stecken, innerhalb dieses erst die „Spalte zu finden sein, über die
^eine Gemse hinwegsetzen kann", aber die auf allen Bildern Lichtensteins zu
spende Zugbrücke hinüberführt. Aber über dem Thor stand wirklich klar und
^ großen Buchstaben zu lesen: „Verbotener Eingang". Ja, und dazu hatte
^ Verwalter, der drüben im Jägerhaus mit mir gefrühstückt hatte, gesagt:
»Die Frau Herzogin wünschen ungestört zu sein." Aber eine Niederlage
^i»es Touristenbewußtseins, ein unausgefülltes Blatt in meinem Neise-
^illeton. eine Lücke in diesen Skizzen, konnte auch die ruhebedürftigste
^'Zogin nicht verantworten. Das mußte ihr klar geworden sein, denn als-
^ kam der Major Domus. dem ich meine Karte übergeben und der sie
bedenklich in Empfang genommen hatte, mit der sehr freundlichen Ein-
^ung der Burgfrau zum Eintritt und zur flüchtigen Besichtigung zurück.
^° war der Bann gebrochen, ich ging durch den wohlgepflegten, blumenreichen
^hof, und stand nun erst vor dem eigentlichen Lichtenstein. Wie ein echtes
^ rechtes in die höchsten Wipfel einer Eiche gebautes Nest schwebt das
^ Klößchen über der schwindelnd tiefen Kluft. Nur ein Genie, wie Heideloff,
°unde das Wagniß unternehmen, einer solchen Felsennadel eine ganze, bei
^' scheinbaren Kleinheit außerordentlich geräumige Ritterburg reinsten Styls


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[0225] Handbuch sagte, sondern erst nach wohlgezählten 48 Minuten, stand ich da, wo „aus einem tiefen grünen Thal Aufsteigt ein Fels als wie ein Strahl, Drauf schaut das Schlößchen Lichtenstein Vergnüglich in die Welt hinein." So singt Gustav Schwab und Hauff schildert in seiner vielbekannten Er¬ zählung, bei der das Schlößlein Pathenstelle vertreten: „wie ein kolossaler Münsterthurm steigt aus dem tiefen Albthal ein schöner Felsen frei und kühn empor. Weitab liegt alles feste Land, als hätte ihn der Blitz von der Erde weggespalten, ein Erdbeben ihn losgetrennt, oder eine Wasserflut!) vor ur¬ alten Zeiten das weichere Erdreich ringsum von seinen festen Steinmassen abgespült. Selbst an der Seite von Südwest, wo er dem übrigen Gebirge sich nähert, klafft eine tiefe Spalte hinlänglich weit, um auch den kühnsten Sprung einer Gemse unmöglich zu machen, doch nicht so breit, daß nicht die erfinderische Kunst des Menschen durch eine Brücke die getrennten Theile ver¬ einigen konnte." Aber von alledem sah ich nichts. Unten im Thal hatte ^es den „Felsenstrahl", den „Münsterthurm" wohl aufsteigen sehen, aber nun. ^a ich oben auf dem'Plateau war, war er mir rein entschwunden. Ich fand ^'ches. als ein Jägerhaus, schöne Parkanlagen, einen Felsenvorsprung, auf dem °'ne Büste Hauffs, des Historiographen des Lichtenstein, in das Thal hinunter¬ schaut, und ein festverschlossenes Thor. Hinter dem mußte also erst das Schlößchen stecken, innerhalb dieses erst die „Spalte zu finden sein, über die ^eine Gemse hinwegsetzen kann", aber die auf allen Bildern Lichtensteins zu spende Zugbrücke hinüberführt. Aber über dem Thor stand wirklich klar und ^ großen Buchstaben zu lesen: „Verbotener Eingang". Ja, und dazu hatte ^ Verwalter, der drüben im Jägerhaus mit mir gefrühstückt hatte, gesagt: »Die Frau Herzogin wünschen ungestört zu sein." Aber eine Niederlage ^i»es Touristenbewußtseins, ein unausgefülltes Blatt in meinem Neise- ^illeton. eine Lücke in diesen Skizzen, konnte auch die ruhebedürftigste ^'Zogin nicht verantworten. Das mußte ihr klar geworden sein, denn als- ^ kam der Major Domus. dem ich meine Karte übergeben und der sie bedenklich in Empfang genommen hatte, mit der sehr freundlichen Ein- ^ung der Burgfrau zum Eintritt und zur flüchtigen Besichtigung zurück. ^° war der Bann gebrochen, ich ging durch den wohlgepflegten, blumenreichen ^hof, und stand nun erst vor dem eigentlichen Lichtenstein. Wie ein echtes ^ rechtes in die höchsten Wipfel einer Eiche gebautes Nest schwebt das ^ Klößchen über der schwindelnd tiefen Kluft. Nur ein Genie, wie Heideloff, °unde das Wagniß unternehmen, einer solchen Felsennadel eine ganze, bei ^' scheinbaren Kleinheit außerordentlich geräumige Ritterburg reinsten Styls

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/225>, abgerufen am 27.07.2024.