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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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gerichtet und da hatten die biedern Schwaben doch noch einige bos-ux rsstös
zu Nutz und Frommen hungriger Wanderer übrig gelassen.

Zur bessern Würdigung seines Kaffees hatte uns unser vorsorglicher
Wirth, als er die Lichter in unserm auch mit allem, sonst "auf dem Land"
ungewöhnlichen Comfort ausgestatteten Schlafgemach entzündete, einen vor¬
bereitenden Spaziergang auf die Achalm angerathen. Nur in dunklen Um¬
rissen hatten wir des Nachts den einzeln aufsteigenden, sich fast zierlich zu¬
spitzenden Berg gesehen. Seine isolirte Lage macht seine Aussicht umfassender
und eigenartiger, als die von der Teck und Hohenneuffen. Der Kreis von
Bergen, der uns rings umgiebt, dort die um das Honauer Thal mit dem
Schwalbennestchen Lichtenstein im Hintergrund, hier die sagenreichen Pfullinger
Höhen, und ostwärts die ganze, bis zum Staufen wie im Reih und Glied
aufgestellte Alb, zu Füßen mit dem Dorf Eningen die Städte Reutlingen
und Pfullingen, in der Ferne das Tübinger Schloß und die unendliche Weite
des "Gans" bis zum Schwarzwald -- das alles zusammen lohnte reichlich
den etwas mühsamen Aufsteig. Die Phantasie mag sich das Schloß aus¬
bauen, dessen Gründer ihm seinen Namen gegeben, als sein Pfeil den Letzten
des von ihm besiegten Geschlechts im Angesicht seines brennenden Hauses zu
Tode traf und dieser noch zum Allmächtigen einen letzten Seufzer empor-
schicken wollte, ihm aber das Wort auf den Lippen erstarb und nur sein
Anfang: "Ach allen" -- die Taufe der neu erbauten Burg wurde. Jetzt
liegt auch diese schon wieder in Trümmern, denn der hohe Thurm, der weit¬
hin die Achalm sichtbar und kenntlich macht, ist ein Bauwerk neuerer Zeit.

In Eningen läuteten die Morgenglocken, als wir den Kaffee getrunken
hatten und den offenen Wagen bestiegen, in dem Herr Bazler's Gespann uns
das Hvnauer Thal hinauf an den Fuß des Lichtenstein bringen sollte. Nur
an den Fuß. höchstens vor das Burgthor, weiter nicht, das hatte man uns
in Eningen gesagt und sagte man uns nun auch im Wirthshaus von Ober¬
hausen wieder. Die Frau Herzogin von Urach geborne Prinzessin von
Monaco, die Schloßfrau vom Lichtenstein, referirte die gesprächige Frau
Wirrhin, sei auf der Burg anwesend und da werde keiner, auch nicht der
bestempfohlene und am weitesten herkommende Reisende hineingelassen. Mein
ungläubiges Lächeln schien die Frau zu verdrießen. "Sesie werde scho sehe",
rief sie mir spöttisch nach, als ich den Pfad waldein- und bergaufwärts
einschlug.

Wollte doch sehen, ob das Zauberschlößchen wirklich so unnahbar sei.
Der Bewohner von Lichtenstein fährt, wenn er Lust hat. aber dann mit
Vieren, den Berg hinauf, andere Leute gehen zu Fuß und werden etwas
warMj.. und müde dabei, denn nicht nach 18, wie höchst betrügerisch das Reise-


gerichtet und da hatten die biedern Schwaben doch noch einige bos-ux rsstös
zu Nutz und Frommen hungriger Wanderer übrig gelassen.

Zur bessern Würdigung seines Kaffees hatte uns unser vorsorglicher
Wirth, als er die Lichter in unserm auch mit allem, sonst „auf dem Land"
ungewöhnlichen Comfort ausgestatteten Schlafgemach entzündete, einen vor¬
bereitenden Spaziergang auf die Achalm angerathen. Nur in dunklen Um¬
rissen hatten wir des Nachts den einzeln aufsteigenden, sich fast zierlich zu¬
spitzenden Berg gesehen. Seine isolirte Lage macht seine Aussicht umfassender
und eigenartiger, als die von der Teck und Hohenneuffen. Der Kreis von
Bergen, der uns rings umgiebt, dort die um das Honauer Thal mit dem
Schwalbennestchen Lichtenstein im Hintergrund, hier die sagenreichen Pfullinger
Höhen, und ostwärts die ganze, bis zum Staufen wie im Reih und Glied
aufgestellte Alb, zu Füßen mit dem Dorf Eningen die Städte Reutlingen
und Pfullingen, in der Ferne das Tübinger Schloß und die unendliche Weite
des „Gans" bis zum Schwarzwald — das alles zusammen lohnte reichlich
den etwas mühsamen Aufsteig. Die Phantasie mag sich das Schloß aus¬
bauen, dessen Gründer ihm seinen Namen gegeben, als sein Pfeil den Letzten
des von ihm besiegten Geschlechts im Angesicht seines brennenden Hauses zu
Tode traf und dieser noch zum Allmächtigen einen letzten Seufzer empor-
schicken wollte, ihm aber das Wort auf den Lippen erstarb und nur sein
Anfang: „Ach allen" — die Taufe der neu erbauten Burg wurde. Jetzt
liegt auch diese schon wieder in Trümmern, denn der hohe Thurm, der weit¬
hin die Achalm sichtbar und kenntlich macht, ist ein Bauwerk neuerer Zeit.

In Eningen läuteten die Morgenglocken, als wir den Kaffee getrunken
hatten und den offenen Wagen bestiegen, in dem Herr Bazler's Gespann uns
das Hvnauer Thal hinauf an den Fuß des Lichtenstein bringen sollte. Nur
an den Fuß. höchstens vor das Burgthor, weiter nicht, das hatte man uns
in Eningen gesagt und sagte man uns nun auch im Wirthshaus von Ober¬
hausen wieder. Die Frau Herzogin von Urach geborne Prinzessin von
Monaco, die Schloßfrau vom Lichtenstein, referirte die gesprächige Frau
Wirrhin, sei auf der Burg anwesend und da werde keiner, auch nicht der
bestempfohlene und am weitesten herkommende Reisende hineingelassen. Mein
ungläubiges Lächeln schien die Frau zu verdrießen. „Sesie werde scho sehe",
rief sie mir spöttisch nach, als ich den Pfad waldein- und bergaufwärts
einschlug.

Wollte doch sehen, ob das Zauberschlößchen wirklich so unnahbar sei.
Der Bewohner von Lichtenstein fährt, wenn er Lust hat. aber dann mit
Vieren, den Berg hinauf, andere Leute gehen zu Fuß und werden etwas
warMj.. und müde dabei, denn nicht nach 18, wie höchst betrügerisch das Reise-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/224>, abgerufen am 27.07.2024.