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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Reizend ist der Blick auf das Städtchen im Thal, beschränkter der in die
fernere Landschaft; zwei Bergsäulen schließen diese gleichsam ab; nur mit
einem ganz kleinen Abschnitt, mit dem Schloß Hohenheim und den frucht¬
baren Bergebenen von Stuttgart im Hintergrund, lugt sie zwischen jenen
herein. Waldeinsamkeit herrscht auf Hohenurach, auch in seiner nächsten
Umgebung, beim Brustband-Wasserfall. Sein Rauschen tönt bis zum Schloß
herauf. Er ist der einzige der Alb, keiner von den vielgenannten, welt¬
berühmten, wie sie in Tyrol, der Schweiz oder sonst "in den Bergen" zu
Dutzenden stäuben und sprühen. Aber es ist immerhin ein anmuthig Bild:
die "schöne Wiese", ein stiller abgeschiedener Waldplatz, an dessen Rand der
Wasserbogen hervorspringt und sich über den Tuffstein senkrecht niederwirft,
dichtverschlungene, ihre Zweige tief herabhängende Bäume, die sich in der
klaren Fluth spiegeln und drunten wieder das ruhige Bächlein, das des stür¬
mischen Anlaufs und Falles ganz vergessend, still und platt durch das einsame
Waldthal weiterfließt.

Die freundliche Wirthin in der Post zu Urach hatte Recht gehabt, als
sie uns mahnte, wollten wir anders jenen hoch zu rühmenden Gasthof nicht
Ma Nachtquartier machen, mit dem Aufbruch nicht zu säumen. Noch war
eben die Sonne, die hohen Stämme vergoldend und durch das Netz der
grünen Zweige glänzende Lichtfaden webend, hinter dem Tannenwald gestan¬
den: da war sie bei unserm Austritt aus ihm schon untergegangen. Auch die
Dämmerung hält an solchen Herbstabenden, so schön und duftig sie auch sind,
nicht lange vor. Es war volle Nacht, als wir wieder so eine Treppe gleichsam,
wie sie die Hochflächen der Alb mit den zwischen ihren Steilrändern geborgenen
Thälern verbinden, die "neue Eninger Steige", hinabstiegen. Aber die Sterne
leuchteten hell und aus dem Thal herauf glänzten die Lichter des größten
und schönsten Dorfes Württembergs. Das ist Eningen.

Wenn der Eninger Congreß stattfindet, d. h. wenn an Jakobi und Weih¬
nachten jeden Jahres die das ganze deutsche und außerdeutsche Land durch¬
ziehenden Spitzen-Galanteriewaaren- und sonstigen Eninger Krämer auf ein
paar Tage zur Heimath und zum "Geschäft" mit den Reisenden und Agenten
aus aller Herren Ländern kommen, dann geht's in den saubern, stattlichen
Straßen so lebhaft zu, wie auf einem Stapelplatz der großen Welt. Dann
ist's wohl auch im Gasthof des Herrn Bazler etwas lauter und lebendiger,
als wir es an diesem Abend fanden, wo wir die einzigen "Fremden" waren.
"Essen Sie gern Suppe" hob Herr Bazler an, "essen Sie gern Forellen, Kar¬
pfen. Krebse?" und so fuhr er fort, sich und uns durch Fisch, Fleisch, Braten.
Mehlspeisen, Obst, Wein und Bier durchzufragen, daß es uns ganz seltsam
nu Muth ward ob dieses Reichthums einer Dorfwirthshausspeisekarte. Das
Räthsel löste sich. Herr Bazler hatte Tags zuvor eine große Hochzeit aus-


Reizend ist der Blick auf das Städtchen im Thal, beschränkter der in die
fernere Landschaft; zwei Bergsäulen schließen diese gleichsam ab; nur mit
einem ganz kleinen Abschnitt, mit dem Schloß Hohenheim und den frucht¬
baren Bergebenen von Stuttgart im Hintergrund, lugt sie zwischen jenen
herein. Waldeinsamkeit herrscht auf Hohenurach, auch in seiner nächsten
Umgebung, beim Brustband-Wasserfall. Sein Rauschen tönt bis zum Schloß
herauf. Er ist der einzige der Alb, keiner von den vielgenannten, welt¬
berühmten, wie sie in Tyrol, der Schweiz oder sonst „in den Bergen" zu
Dutzenden stäuben und sprühen. Aber es ist immerhin ein anmuthig Bild:
die „schöne Wiese", ein stiller abgeschiedener Waldplatz, an dessen Rand der
Wasserbogen hervorspringt und sich über den Tuffstein senkrecht niederwirft,
dichtverschlungene, ihre Zweige tief herabhängende Bäume, die sich in der
klaren Fluth spiegeln und drunten wieder das ruhige Bächlein, das des stür¬
mischen Anlaufs und Falles ganz vergessend, still und platt durch das einsame
Waldthal weiterfließt.

Die freundliche Wirthin in der Post zu Urach hatte Recht gehabt, als
sie uns mahnte, wollten wir anders jenen hoch zu rühmenden Gasthof nicht
Ma Nachtquartier machen, mit dem Aufbruch nicht zu säumen. Noch war
eben die Sonne, die hohen Stämme vergoldend und durch das Netz der
grünen Zweige glänzende Lichtfaden webend, hinter dem Tannenwald gestan¬
den: da war sie bei unserm Austritt aus ihm schon untergegangen. Auch die
Dämmerung hält an solchen Herbstabenden, so schön und duftig sie auch sind,
nicht lange vor. Es war volle Nacht, als wir wieder so eine Treppe gleichsam,
wie sie die Hochflächen der Alb mit den zwischen ihren Steilrändern geborgenen
Thälern verbinden, die „neue Eninger Steige", hinabstiegen. Aber die Sterne
leuchteten hell und aus dem Thal herauf glänzten die Lichter des größten
und schönsten Dorfes Württembergs. Das ist Eningen.

Wenn der Eninger Congreß stattfindet, d. h. wenn an Jakobi und Weih¬
nachten jeden Jahres die das ganze deutsche und außerdeutsche Land durch¬
ziehenden Spitzen-Galanteriewaaren- und sonstigen Eninger Krämer auf ein
paar Tage zur Heimath und zum „Geschäft" mit den Reisenden und Agenten
aus aller Herren Ländern kommen, dann geht's in den saubern, stattlichen
Straßen so lebhaft zu, wie auf einem Stapelplatz der großen Welt. Dann
ist's wohl auch im Gasthof des Herrn Bazler etwas lauter und lebendiger,
als wir es an diesem Abend fanden, wo wir die einzigen „Fremden" waren.
»Essen Sie gern Suppe" hob Herr Bazler an, „essen Sie gern Forellen, Kar¬
pfen. Krebse?" und so fuhr er fort, sich und uns durch Fisch, Fleisch, Braten.
Mehlspeisen, Obst, Wein und Bier durchzufragen, daß es uns ganz seltsam
nu Muth ward ob dieses Reichthums einer Dorfwirthshausspeisekarte. Das
Räthsel löste sich. Herr Bazler hatte Tags zuvor eine große Hochzeit aus-


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[0223] Reizend ist der Blick auf das Städtchen im Thal, beschränkter der in die fernere Landschaft; zwei Bergsäulen schließen diese gleichsam ab; nur mit einem ganz kleinen Abschnitt, mit dem Schloß Hohenheim und den frucht¬ baren Bergebenen von Stuttgart im Hintergrund, lugt sie zwischen jenen herein. Waldeinsamkeit herrscht auf Hohenurach, auch in seiner nächsten Umgebung, beim Brustband-Wasserfall. Sein Rauschen tönt bis zum Schloß herauf. Er ist der einzige der Alb, keiner von den vielgenannten, welt¬ berühmten, wie sie in Tyrol, der Schweiz oder sonst „in den Bergen" zu Dutzenden stäuben und sprühen. Aber es ist immerhin ein anmuthig Bild: die „schöne Wiese", ein stiller abgeschiedener Waldplatz, an dessen Rand der Wasserbogen hervorspringt und sich über den Tuffstein senkrecht niederwirft, dichtverschlungene, ihre Zweige tief herabhängende Bäume, die sich in der klaren Fluth spiegeln und drunten wieder das ruhige Bächlein, das des stür¬ mischen Anlaufs und Falles ganz vergessend, still und platt durch das einsame Waldthal weiterfließt. Die freundliche Wirthin in der Post zu Urach hatte Recht gehabt, als sie uns mahnte, wollten wir anders jenen hoch zu rühmenden Gasthof nicht Ma Nachtquartier machen, mit dem Aufbruch nicht zu säumen. Noch war eben die Sonne, die hohen Stämme vergoldend und durch das Netz der grünen Zweige glänzende Lichtfaden webend, hinter dem Tannenwald gestan¬ den: da war sie bei unserm Austritt aus ihm schon untergegangen. Auch die Dämmerung hält an solchen Herbstabenden, so schön und duftig sie auch sind, nicht lange vor. Es war volle Nacht, als wir wieder so eine Treppe gleichsam, wie sie die Hochflächen der Alb mit den zwischen ihren Steilrändern geborgenen Thälern verbinden, die „neue Eninger Steige", hinabstiegen. Aber die Sterne leuchteten hell und aus dem Thal herauf glänzten die Lichter des größten und schönsten Dorfes Württembergs. Das ist Eningen. Wenn der Eninger Congreß stattfindet, d. h. wenn an Jakobi und Weih¬ nachten jeden Jahres die das ganze deutsche und außerdeutsche Land durch¬ ziehenden Spitzen-Galanteriewaaren- und sonstigen Eninger Krämer auf ein paar Tage zur Heimath und zum „Geschäft" mit den Reisenden und Agenten aus aller Herren Ländern kommen, dann geht's in den saubern, stattlichen Straßen so lebhaft zu, wie auf einem Stapelplatz der großen Welt. Dann ist's wohl auch im Gasthof des Herrn Bazler etwas lauter und lebendiger, als wir es an diesem Abend fanden, wo wir die einzigen „Fremden" waren. »Essen Sie gern Suppe" hob Herr Bazler an, „essen Sie gern Forellen, Kar¬ pfen. Krebse?" und so fuhr er fort, sich und uns durch Fisch, Fleisch, Braten. Mehlspeisen, Obst, Wein und Bier durchzufragen, daß es uns ganz seltsam nu Muth ward ob dieses Reichthums einer Dorfwirthshausspeisekarte. Das Räthsel löste sich. Herr Bazler hatte Tags zuvor eine große Hochzeit aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/223>, abgerufen am 27.07.2024.