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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Albnatur in größter Fülle und Vollständigkeit in sich. Die Buchenwälder
bedecken wieder seine Berghänge, die Kirschen-, Zwetschken-, Aepfel- und Nu߬
bäume in ungeordneten Schciaren seinen Wiesengrund.

Blendendes Linnen glänzt auf dem Wiesengrund, die altberühmte Uracher
Bleiche. Die Eras rauscht zwischen durch, sorellenreich, wie alle diese Bäche.
Folgt man ihr aufwärts, so wird das Thal wilder, felsiger, enger; es geht
wieder der Hochebene, und zwar Münsingen. dem würtembergischen Sibirien
zu. Urach dagegen liegt noch in voller, wiederum fast südlicher Pracht.
Kaum finden wir seine Häuser aus dem Obstbaumdickicht heraus. Sie zeigen
zum Theil alterthümliche Formen, hohe Giebel, spitze Dächer, schlanke Thürme.
Auf dem Markte steht ein prächtiger gothischer Brunnen, in der Weise des
Ulmer Fischkastens. Unweit seiner schlingt sich Epheu um ein altes, noch
halb hölzernes Gebäude. Es ist Eberhard's, des Grafen im Bart, Schloß.
Sein Wahlspruch atwwxto, d. h. demto, ich wäg's und der Palmbaum des
wallfahrenden Helden ist im Portal farbig eingezeichnet. Urach war sein
Lieblingsaufenthalt. Im großen, zierlich gemalten Rittersaal des Schlosses
feierte er seine Hochzeit mit einer mantuanischen Prinzessin. 14.000 Personen
tafelten dabei und der Wein floß ihnen aus einem Brunnen unmittelbar in
den Becher. In einem andern Gemach sieht man Eberhard's Brautbett und
in der Stadtkirche seinen schön geschnitzten Betstuhl. Des Fürsten Jugend¬
leben war bekanntlich nicht fleckenlos. Das Urach nahe liegende Kloster
Güterstein mag zu seiner spätern Sinnesänderung viel beigetragen haben,
wenigstens stand ihm dessen Prior, "der alte Vater", sehr nahe, und als die
Reue ihn nach dem heiligen Grabe trieb, legte er bei jenem sein Testament
nieder und empfing knieend seinen Segen. Auch auf Hohenurachs waldstille
Trümmer gehen die Erinnerungen an Eberhard mit hinauf. Doch da sind
sie düsterer Art. Auf diese Bergveste hatte er seinen wahnsinnigen Bruder
Heinrich gelockt, um ihn bis zu seinem Tod gefangen zu halten. Ein eiserner
Ring hielt den Unglücklichen an die Kerkermauer geschmiedet. Aber doch fiel
ihm ein Sonnenstrahl in diese Nacht. Sein treues Weib war ihm in die
wilde Bergeinsamkeit gefolgt und gebar ihm dort sogar noch einen Sohn,
der der Stammvater der setzigen Könige von Würtemberg geworden. Auf
Hohenurach wehte lange Zeit Kerkerluft. Auch den Dichter Nicodemus Frischlin
hatten die "Hofteufel" , der Adel, eifersüchtige Mitlehrer und die Fürsten¬
diener, "die der Könige lange Hand gebrauchen", hierher gebracht. Von der
jäh abfallenden Felsenkante wollte er sich hinablassen und die Freiheit suchen-
Das Seil riß. man hob einen jämmerlich zerschellten Leichnam auf, um ihn-
dann doch ein ehrlich Begräbniß zu geben.

Von den Mauern und Wohnräumen, die von all dem Zeugen gewesen,
steht wenig mehr, aber die Reste zeugen von einstiger Festigkeit und Schönheit'


Albnatur in größter Fülle und Vollständigkeit in sich. Die Buchenwälder
bedecken wieder seine Berghänge, die Kirschen-, Zwetschken-, Aepfel- und Nu߬
bäume in ungeordneten Schciaren seinen Wiesengrund.

Blendendes Linnen glänzt auf dem Wiesengrund, die altberühmte Uracher
Bleiche. Die Eras rauscht zwischen durch, sorellenreich, wie alle diese Bäche.
Folgt man ihr aufwärts, so wird das Thal wilder, felsiger, enger; es geht
wieder der Hochebene, und zwar Münsingen. dem würtembergischen Sibirien
zu. Urach dagegen liegt noch in voller, wiederum fast südlicher Pracht.
Kaum finden wir seine Häuser aus dem Obstbaumdickicht heraus. Sie zeigen
zum Theil alterthümliche Formen, hohe Giebel, spitze Dächer, schlanke Thürme.
Auf dem Markte steht ein prächtiger gothischer Brunnen, in der Weise des
Ulmer Fischkastens. Unweit seiner schlingt sich Epheu um ein altes, noch
halb hölzernes Gebäude. Es ist Eberhard's, des Grafen im Bart, Schloß.
Sein Wahlspruch atwwxto, d. h. demto, ich wäg's und der Palmbaum des
wallfahrenden Helden ist im Portal farbig eingezeichnet. Urach war sein
Lieblingsaufenthalt. Im großen, zierlich gemalten Rittersaal des Schlosses
feierte er seine Hochzeit mit einer mantuanischen Prinzessin. 14.000 Personen
tafelten dabei und der Wein floß ihnen aus einem Brunnen unmittelbar in
den Becher. In einem andern Gemach sieht man Eberhard's Brautbett und
in der Stadtkirche seinen schön geschnitzten Betstuhl. Des Fürsten Jugend¬
leben war bekanntlich nicht fleckenlos. Das Urach nahe liegende Kloster
Güterstein mag zu seiner spätern Sinnesänderung viel beigetragen haben,
wenigstens stand ihm dessen Prior, „der alte Vater", sehr nahe, und als die
Reue ihn nach dem heiligen Grabe trieb, legte er bei jenem sein Testament
nieder und empfing knieend seinen Segen. Auch auf Hohenurachs waldstille
Trümmer gehen die Erinnerungen an Eberhard mit hinauf. Doch da sind
sie düsterer Art. Auf diese Bergveste hatte er seinen wahnsinnigen Bruder
Heinrich gelockt, um ihn bis zu seinem Tod gefangen zu halten. Ein eiserner
Ring hielt den Unglücklichen an die Kerkermauer geschmiedet. Aber doch fiel
ihm ein Sonnenstrahl in diese Nacht. Sein treues Weib war ihm in die
wilde Bergeinsamkeit gefolgt und gebar ihm dort sogar noch einen Sohn,
der der Stammvater der setzigen Könige von Würtemberg geworden. Auf
Hohenurach wehte lange Zeit Kerkerluft. Auch den Dichter Nicodemus Frischlin
hatten die „Hofteufel" , der Adel, eifersüchtige Mitlehrer und die Fürsten¬
diener, „die der Könige lange Hand gebrauchen", hierher gebracht. Von der
jäh abfallenden Felsenkante wollte er sich hinablassen und die Freiheit suchen-
Das Seil riß. man hob einen jämmerlich zerschellten Leichnam auf, um ihn-
dann doch ein ehrlich Begräbniß zu geben.

Von den Mauern und Wohnräumen, die von all dem Zeugen gewesen,
steht wenig mehr, aber die Reste zeugen von einstiger Festigkeit und Schönheit'


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[0222] Albnatur in größter Fülle und Vollständigkeit in sich. Die Buchenwälder bedecken wieder seine Berghänge, die Kirschen-, Zwetschken-, Aepfel- und Nu߬ bäume in ungeordneten Schciaren seinen Wiesengrund. Blendendes Linnen glänzt auf dem Wiesengrund, die altberühmte Uracher Bleiche. Die Eras rauscht zwischen durch, sorellenreich, wie alle diese Bäche. Folgt man ihr aufwärts, so wird das Thal wilder, felsiger, enger; es geht wieder der Hochebene, und zwar Münsingen. dem würtembergischen Sibirien zu. Urach dagegen liegt noch in voller, wiederum fast südlicher Pracht. Kaum finden wir seine Häuser aus dem Obstbaumdickicht heraus. Sie zeigen zum Theil alterthümliche Formen, hohe Giebel, spitze Dächer, schlanke Thürme. Auf dem Markte steht ein prächtiger gothischer Brunnen, in der Weise des Ulmer Fischkastens. Unweit seiner schlingt sich Epheu um ein altes, noch halb hölzernes Gebäude. Es ist Eberhard's, des Grafen im Bart, Schloß. Sein Wahlspruch atwwxto, d. h. demto, ich wäg's und der Palmbaum des wallfahrenden Helden ist im Portal farbig eingezeichnet. Urach war sein Lieblingsaufenthalt. Im großen, zierlich gemalten Rittersaal des Schlosses feierte er seine Hochzeit mit einer mantuanischen Prinzessin. 14.000 Personen tafelten dabei und der Wein floß ihnen aus einem Brunnen unmittelbar in den Becher. In einem andern Gemach sieht man Eberhard's Brautbett und in der Stadtkirche seinen schön geschnitzten Betstuhl. Des Fürsten Jugend¬ leben war bekanntlich nicht fleckenlos. Das Urach nahe liegende Kloster Güterstein mag zu seiner spätern Sinnesänderung viel beigetragen haben, wenigstens stand ihm dessen Prior, „der alte Vater", sehr nahe, und als die Reue ihn nach dem heiligen Grabe trieb, legte er bei jenem sein Testament nieder und empfing knieend seinen Segen. Auch auf Hohenurachs waldstille Trümmer gehen die Erinnerungen an Eberhard mit hinauf. Doch da sind sie düsterer Art. Auf diese Bergveste hatte er seinen wahnsinnigen Bruder Heinrich gelockt, um ihn bis zu seinem Tod gefangen zu halten. Ein eiserner Ring hielt den Unglücklichen an die Kerkermauer geschmiedet. Aber doch fiel ihm ein Sonnenstrahl in diese Nacht. Sein treues Weib war ihm in die wilde Bergeinsamkeit gefolgt und gebar ihm dort sogar noch einen Sohn, der der Stammvater der setzigen Könige von Würtemberg geworden. Auf Hohenurach wehte lange Zeit Kerkerluft. Auch den Dichter Nicodemus Frischlin hatten die „Hofteufel" , der Adel, eifersüchtige Mitlehrer und die Fürsten¬ diener, „die der Könige lange Hand gebrauchen", hierher gebracht. Von der jäh abfallenden Felsenkante wollte er sich hinablassen und die Freiheit suchen- Das Seil riß. man hob einen jämmerlich zerschellten Leichnam auf, um ihn- dann doch ein ehrlich Begräbniß zu geben. Von den Mauern und Wohnräumen, die von all dem Zeugen gewesen, steht wenig mehr, aber die Reste zeugen von einstiger Festigkeit und Schönheit'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/222>, abgerufen am 01.09.2024.