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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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sich hebenden Chausseen heißen, den Berg hinan sich winden. Aber kaum
sind wir ihr gefolgt, so dünkt uns wieder, als sei es unmöglich, daß sie an
der Felswand weiter klimmen könne. Aber immer findet sie den Ausweg,
in mächtigen Stücken ist der Berg abgesprengt, tief hinabgehendes Mauer¬
werk stützt sie auf der anderen Seite. Immer höher hebt sie sich empor,
schon erscheint uns das im Thal Liegende verschwindend klein, endlich ist auch
das letzte Haus desselben dem Auge entzogen. Dieses erquickt sich nur noch
an dem tief gesättigten Grün der Buchen und Tannen, die ihre Wurzeln in
den jähen Hang geschlagen haben und deren Spitzen das Straßengelände
säumen. Anderthalb Stunden waren wir auf diesem Wege, der sich wirklich
einer Alpenstraße zur Seite stellen könnte, emporgestiegen, da endete er oben
so überraschend, wie er angefangen. Wie durch ein Waldthürlein waren wir
auf die Hochebene herausgetreten;-- da war plötzlich verschwunden, wie durch
ein neidisches Zauberwort all die Herrlichkeit hinter uns zugeschlossen, die uns
eben noch in Wies' und Wald, Baum und Flur umfangen. Und wir hatten
die Formel vergessen, die uns die Pforte dazu noch einmal hätte öffnen
können.

Die ganze Umgebung war verändert. Eine weite Fläche umgab uns-
Die Felder schienen steinig und unfruchtbar, eine staubige, schlechte Straße
zog langweilig vor uns her. Kein Baum gab Schatten gegen die immer
noch warm herabscheinende Nachmittagssonne, kein Mensch begegnete uns.
Nichts war, auf dem das Auge hätte befriedigt ausruhen können, höchstens
das ungefähr eine halbe Stunde noch entfernt vor uns liegende Dorf und
das kleine Wäldchen dahinten gab einen solchen Ruhepunkt ab. Aehnliches
sieht man auf dem Hochplateau der fränkischen Schweiz. Dort geht in"n
auch auf uninteressanter Fläche, ohne etwas von den Reizen zu ahnen, die
vielleicht nur wenige Schritte seitwärts, ein paar hundert Fuß tiefer, in den
Thälern sich sammeln, wo die ganze Signatur der Landschaft nachzuholen
scheint, was hier oben versäumt ist. Nur ist dort insofern noch etwas mehr
Abwechslung, als die Hochebenen der fränkischen Schweiz felsige Hügel be¬
decken , die sich sogar an einzelnen Stellen zu höheren Massen aufthürmen>
Hier taucht nur da und dort einmal ein weißer Kalksteinblock etwas vorlaut
oder verschämt am Rand des Gesichtsfeldes auf, der der Thalwand angehört,
die sich dort zum lieblichen Wiesengrund niedersenkt. Wie gesagt, jetzt ging'6
eben fort, gerade auf jenes Dorf zu, das Grabenstetten heißt. Ein "Heiden¬
gräber" soll in seiner Nähe sein, eine römische Verschanzung, die unter den
Karolingern zur Begrenzung eines Thiergartens gedient haben soll, allein d?e
Mittagssonne hatte uns jegliche archäologische Stimmung ausgetrocknet; viel¬
mehr verspürten wir etwas -- vgl. V. Scheffel -- von der Hildebrand- und
Hadubrand'schen Sehnsucht nach einem "Wirthshaus mit kühlen Bieren -


sich hebenden Chausseen heißen, den Berg hinan sich winden. Aber kaum
sind wir ihr gefolgt, so dünkt uns wieder, als sei es unmöglich, daß sie an
der Felswand weiter klimmen könne. Aber immer findet sie den Ausweg,
in mächtigen Stücken ist der Berg abgesprengt, tief hinabgehendes Mauer¬
werk stützt sie auf der anderen Seite. Immer höher hebt sie sich empor,
schon erscheint uns das im Thal Liegende verschwindend klein, endlich ist auch
das letzte Haus desselben dem Auge entzogen. Dieses erquickt sich nur noch
an dem tief gesättigten Grün der Buchen und Tannen, die ihre Wurzeln in
den jähen Hang geschlagen haben und deren Spitzen das Straßengelände
säumen. Anderthalb Stunden waren wir auf diesem Wege, der sich wirklich
einer Alpenstraße zur Seite stellen könnte, emporgestiegen, da endete er oben
so überraschend, wie er angefangen. Wie durch ein Waldthürlein waren wir
auf die Hochebene herausgetreten;— da war plötzlich verschwunden, wie durch
ein neidisches Zauberwort all die Herrlichkeit hinter uns zugeschlossen, die uns
eben noch in Wies' und Wald, Baum und Flur umfangen. Und wir hatten
die Formel vergessen, die uns die Pforte dazu noch einmal hätte öffnen
können.

Die ganze Umgebung war verändert. Eine weite Fläche umgab uns-
Die Felder schienen steinig und unfruchtbar, eine staubige, schlechte Straße
zog langweilig vor uns her. Kein Baum gab Schatten gegen die immer
noch warm herabscheinende Nachmittagssonne, kein Mensch begegnete uns.
Nichts war, auf dem das Auge hätte befriedigt ausruhen können, höchstens
das ungefähr eine halbe Stunde noch entfernt vor uns liegende Dorf und
das kleine Wäldchen dahinten gab einen solchen Ruhepunkt ab. Aehnliches
sieht man auf dem Hochplateau der fränkischen Schweiz. Dort geht in«n
auch auf uninteressanter Fläche, ohne etwas von den Reizen zu ahnen, die
vielleicht nur wenige Schritte seitwärts, ein paar hundert Fuß tiefer, in den
Thälern sich sammeln, wo die ganze Signatur der Landschaft nachzuholen
scheint, was hier oben versäumt ist. Nur ist dort insofern noch etwas mehr
Abwechslung, als die Hochebenen der fränkischen Schweiz felsige Hügel be¬
decken , die sich sogar an einzelnen Stellen zu höheren Massen aufthürmen>
Hier taucht nur da und dort einmal ein weißer Kalksteinblock etwas vorlaut
oder verschämt am Rand des Gesichtsfeldes auf, der der Thalwand angehört,
die sich dort zum lieblichen Wiesengrund niedersenkt. Wie gesagt, jetzt ging'6
eben fort, gerade auf jenes Dorf zu, das Grabenstetten heißt. Ein „Heiden¬
gräber" soll in seiner Nähe sein, eine römische Verschanzung, die unter den
Karolingern zur Begrenzung eines Thiergartens gedient haben soll, allein d?e
Mittagssonne hatte uns jegliche archäologische Stimmung ausgetrocknet; viel¬
mehr verspürten wir etwas — vgl. V. Scheffel — von der Hildebrand- und
Hadubrand'schen Sehnsucht nach einem „Wirthshaus mit kühlen Bieren -


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/220>, abgerufen am 27.07.2024.