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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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lichkeit in ihren politischen Schicksalen. Die Hauptmomente ihres Freiheits¬
kampfes fallen in die Zeit nach der Schlacht bei Sempcich und nach den
Burgunderkriegen. Dazu ist es derselbe Conflict politischer Principien, der
auf beiden Kriegsschauplätzen im Norden und im Süden des Reichs aus¬
gefochten wird: der Conflict zwischen den letzten Resten nationaler Freiheit
und dem aufstrebenden fürstlichen Absolutismus. Aber der Kampf der Dit-
marsen war härter, ihre Stellung isolirter, die Macht ihrer Gegner furcht¬
barer durch politische Combinationen, so daß sie, von Kaiser und Reich preis¬
gegeben wie die Schweizer, nur allzu früh ihrem Schicksal erlagen.

Seit alten Zeiten gehörte das Land zum Erzstift von Bremen, dessen
Oberhoheit aber nur formell anerkannt wurde. Nachdem zu Ende des
12. Jahrhunderts der Adel vertrieben worden war, bildete es eine freie
Bauernrepublik, die sich nach einem eigenen Rechtscodex, dem ditmarsischen
Landbuche (zusammengestellt 1348, gedruckt 1497), von selbst gewählten Be¬
amten regieren ließ. Es zerfiel in 4 Vogteien oder Dofften. jede Dofft in
Kirchspiele, jedes Kirchspiel in Dorfschaften. Die Vögte, Kirchspielbeamten
und Dorfältesten verwalteten alle gemeinsamen Angelegenheiten; über ihnen
standen als Controllbehörde die Achtundvierziger, eine Art Senat, zu dem jede
Dofft 12 Mitglieder stellte; zu den großen Landesversammlungen aber traten
außer den Achtundvierzigern und den Vögten noch Abgeordnete aus allen
Dorfschaften zusammen. Das Leben des Ditmarsen verstrich unter harter
Arbeit und stetigem Kampf mit den Elementen der Natur. Tägliche Waffen¬
übungen durften nicht fehlen. Mit 14 Jahren trat er zu seiner kriegerischen
Ausbildung in die junge Landwehr. Mit 17 Jahren und l^/s Monaten
ward er mündig und in den Versammlungen der Dorfgenossen stimmberechtigt"
Der Reichthum dieser stolzen Bauern war sprichwörtlich und reizte die nächste"
Nachbarn zu häufigen Raubzügen.

Im Jahre 1402 machte Herzog Erich von Sachsen einen Einfall in?
Ditmarschen. Die Ditmarsen beschuldigten den Grafen Albrecht von Holstein,
einen Sohn Heinrichs des Eisernen, ihm Vorschub geleistet zu haben, und
forderten Genugthuung. Da erklärte ihnen Albrecht mit seinem Bruder
Gerhart, der Herzog von Schleswig war, den Krieg und begann ihn
plündernden Einfällen. Um einen Stützpunkt für ihre Unternehmungen ^
haben, erbauten die Holsteiner 1403 vor Meldorg, dem Hauptorte von Süder-
ditmarschen, einen festen Thurm, die Marienburg. Wiederholt versuchten die
Bauern, das verhaßte Bollwerk zu zerstören, aber immer vergeblich. I"'
zwischen starb Graf Albrecht aus einem Streifzuge und hinterließ sein Land
seinem Bruder, der die Feindseligkeiten unablässig fortsetzte. Da rief Rolf
Bockensohn, einer der Angesehensten im Lande, wie das Volkslied erzählt, die
Ditmarsen zusammen:


lichkeit in ihren politischen Schicksalen. Die Hauptmomente ihres Freiheits¬
kampfes fallen in die Zeit nach der Schlacht bei Sempcich und nach den
Burgunderkriegen. Dazu ist es derselbe Conflict politischer Principien, der
auf beiden Kriegsschauplätzen im Norden und im Süden des Reichs aus¬
gefochten wird: der Conflict zwischen den letzten Resten nationaler Freiheit
und dem aufstrebenden fürstlichen Absolutismus. Aber der Kampf der Dit-
marsen war härter, ihre Stellung isolirter, die Macht ihrer Gegner furcht¬
barer durch politische Combinationen, so daß sie, von Kaiser und Reich preis¬
gegeben wie die Schweizer, nur allzu früh ihrem Schicksal erlagen.

Seit alten Zeiten gehörte das Land zum Erzstift von Bremen, dessen
Oberhoheit aber nur formell anerkannt wurde. Nachdem zu Ende des
12. Jahrhunderts der Adel vertrieben worden war, bildete es eine freie
Bauernrepublik, die sich nach einem eigenen Rechtscodex, dem ditmarsischen
Landbuche (zusammengestellt 1348, gedruckt 1497), von selbst gewählten Be¬
amten regieren ließ. Es zerfiel in 4 Vogteien oder Dofften. jede Dofft in
Kirchspiele, jedes Kirchspiel in Dorfschaften. Die Vögte, Kirchspielbeamten
und Dorfältesten verwalteten alle gemeinsamen Angelegenheiten; über ihnen
standen als Controllbehörde die Achtundvierziger, eine Art Senat, zu dem jede
Dofft 12 Mitglieder stellte; zu den großen Landesversammlungen aber traten
außer den Achtundvierzigern und den Vögten noch Abgeordnete aus allen
Dorfschaften zusammen. Das Leben des Ditmarsen verstrich unter harter
Arbeit und stetigem Kampf mit den Elementen der Natur. Tägliche Waffen¬
übungen durften nicht fehlen. Mit 14 Jahren trat er zu seiner kriegerischen
Ausbildung in die junge Landwehr. Mit 17 Jahren und l^/s Monaten
ward er mündig und in den Versammlungen der Dorfgenossen stimmberechtigt«
Der Reichthum dieser stolzen Bauern war sprichwörtlich und reizte die nächste"
Nachbarn zu häufigen Raubzügen.

Im Jahre 1402 machte Herzog Erich von Sachsen einen Einfall in?
Ditmarschen. Die Ditmarsen beschuldigten den Grafen Albrecht von Holstein,
einen Sohn Heinrichs des Eisernen, ihm Vorschub geleistet zu haben, und
forderten Genugthuung. Da erklärte ihnen Albrecht mit seinem Bruder
Gerhart, der Herzog von Schleswig war, den Krieg und begann ihn
plündernden Einfällen. Um einen Stützpunkt für ihre Unternehmungen ^
haben, erbauten die Holsteiner 1403 vor Meldorg, dem Hauptorte von Süder-
ditmarschen, einen festen Thurm, die Marienburg. Wiederholt versuchten die
Bauern, das verhaßte Bollwerk zu zerstören, aber immer vergeblich. I"'
zwischen starb Graf Albrecht aus einem Streifzuge und hinterließ sein Land
seinem Bruder, der die Feindseligkeiten unablässig fortsetzte. Da rief Rolf
Bockensohn, einer der Angesehensten im Lande, wie das Volkslied erzählt, die
Ditmarsen zusammen:


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[0206] lichkeit in ihren politischen Schicksalen. Die Hauptmomente ihres Freiheits¬ kampfes fallen in die Zeit nach der Schlacht bei Sempcich und nach den Burgunderkriegen. Dazu ist es derselbe Conflict politischer Principien, der auf beiden Kriegsschauplätzen im Norden und im Süden des Reichs aus¬ gefochten wird: der Conflict zwischen den letzten Resten nationaler Freiheit und dem aufstrebenden fürstlichen Absolutismus. Aber der Kampf der Dit- marsen war härter, ihre Stellung isolirter, die Macht ihrer Gegner furcht¬ barer durch politische Combinationen, so daß sie, von Kaiser und Reich preis¬ gegeben wie die Schweizer, nur allzu früh ihrem Schicksal erlagen. Seit alten Zeiten gehörte das Land zum Erzstift von Bremen, dessen Oberhoheit aber nur formell anerkannt wurde. Nachdem zu Ende des 12. Jahrhunderts der Adel vertrieben worden war, bildete es eine freie Bauernrepublik, die sich nach einem eigenen Rechtscodex, dem ditmarsischen Landbuche (zusammengestellt 1348, gedruckt 1497), von selbst gewählten Be¬ amten regieren ließ. Es zerfiel in 4 Vogteien oder Dofften. jede Dofft in Kirchspiele, jedes Kirchspiel in Dorfschaften. Die Vögte, Kirchspielbeamten und Dorfältesten verwalteten alle gemeinsamen Angelegenheiten; über ihnen standen als Controllbehörde die Achtundvierziger, eine Art Senat, zu dem jede Dofft 12 Mitglieder stellte; zu den großen Landesversammlungen aber traten außer den Achtundvierzigern und den Vögten noch Abgeordnete aus allen Dorfschaften zusammen. Das Leben des Ditmarsen verstrich unter harter Arbeit und stetigem Kampf mit den Elementen der Natur. Tägliche Waffen¬ übungen durften nicht fehlen. Mit 14 Jahren trat er zu seiner kriegerischen Ausbildung in die junge Landwehr. Mit 17 Jahren und l^/s Monaten ward er mündig und in den Versammlungen der Dorfgenossen stimmberechtigt« Der Reichthum dieser stolzen Bauern war sprichwörtlich und reizte die nächste" Nachbarn zu häufigen Raubzügen. Im Jahre 1402 machte Herzog Erich von Sachsen einen Einfall in? Ditmarschen. Die Ditmarsen beschuldigten den Grafen Albrecht von Holstein, einen Sohn Heinrichs des Eisernen, ihm Vorschub geleistet zu haben, und forderten Genugthuung. Da erklärte ihnen Albrecht mit seinem Bruder Gerhart, der Herzog von Schleswig war, den Krieg und begann ihn plündernden Einfällen. Um einen Stützpunkt für ihre Unternehmungen ^ haben, erbauten die Holsteiner 1403 vor Meldorg, dem Hauptorte von Süder- ditmarschen, einen festen Thurm, die Marienburg. Wiederholt versuchten die Bauern, das verhaßte Bollwerk zu zerstören, aber immer vergeblich. I"' zwischen starb Graf Albrecht aus einem Streifzuge und hinterließ sein Land seinem Bruder, der die Feindseligkeiten unablässig fortsetzte. Da rief Rolf Bockensohn, einer der Angesehensten im Lande, wie das Volkslied erzählt, die Ditmarsen zusammen:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/206>, abgerufen am 29.12.2024.