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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Uroben gleichzeitiger Volkslieder über die Schlachten bei
Kemmingstedt (1404 u. 1500).
In neuhochdeutscher Uebertragung mitgetheilt von H. Schmölle.

Ditmarschen ist ein schmaler Landstreifen an der Westküste Holsteins, der
sich, etwa 7 Meilen lang und 4 Meilen breit, von der Elbmündung bis zur
Eider hinzieht und größtentheils aus, vom Meere angeschwemmtem und mit
Sand vermischtem, feinem Thonschlamm, sogenanntem Schlick besteht. In un¬
vordenklichen Zeiten, als die Nordsee noch ein nur nach Norden geöffneter
Nteeresvusen war, schützten hohe natürliche Dünen das tiefer gelegene Hinter¬
land, von denen wir Ueberreste in den zahlreichen Inseln und Eilanden er¬
nennen, die von der Rheinmündung bis zur cimbrtschen Halbinsel hin die
Küste umsäumen. Als aber dem unermüdlichen Anprall der atlantischen
Hochflut!) der Isthmus zwischen Dover und Calais plötzlich wich, und die
^Lassermassen unaufhaltsam gegen die östlichen und südlichen Gestade sich
heranwälzten, da zerbrachen die aus leichtem Sand gefügten Hügelketten und
Kneten der Fluth einen Weg ins Land, das nun regelmäßigen, aber be¬
achtenden Überschwemmungen ausgesetzt war. Frühzeitig vereinigten sich
^er die Kräfte der Menschen zu gemeinsamer Arbeit, um den fetten Küsten-
^um durch künstliche Deiche zu schützen und geregeltem Anbau zugänglich zu
Zacher. Sie zogen hohe Dämme, die als Verkehrswege dienten, und durch¬
schnitten das Land mit zahlreichen Entwässerungsgräben, die es für einen
Hemden fast unzugänglich machten, während sie von den Eingeborenen mit
^ren Springstangen leicht überschritten wurden. So war das Ländchen ein
beschert des Meeres, aber ein abgedrungenes, das die peinlichste Sorgfalt
oft die höchste Kraftanstrengung erforderte, um es vor der nimmersatten
^er des tückischen Elementes zu schützen, aber die verwandte Mühe auch mit
^reichem Ertrage belohnte.

Die Ditmarsen. mit den alten Sachsen, am nächsten aber mit den
diesen verwandt, waren ein trotziges und kühnes Geschlecht, ähnlich jenen
Schweizer Bauern, die zwischen ihren Bergriesen saßen, wie jene zwischen
^chen und Gräben. Mit den Schweizern haben sie auch die größte Aehn-


Grenjbotm IV. 1874. 26
Uroben gleichzeitiger Volkslieder über die Schlachten bei
Kemmingstedt (1404 u. 1500).
In neuhochdeutscher Uebertragung mitgetheilt von H. Schmölle.

Ditmarschen ist ein schmaler Landstreifen an der Westküste Holsteins, der
sich, etwa 7 Meilen lang und 4 Meilen breit, von der Elbmündung bis zur
Eider hinzieht und größtentheils aus, vom Meere angeschwemmtem und mit
Sand vermischtem, feinem Thonschlamm, sogenanntem Schlick besteht. In un¬
vordenklichen Zeiten, als die Nordsee noch ein nur nach Norden geöffneter
Nteeresvusen war, schützten hohe natürliche Dünen das tiefer gelegene Hinter¬
land, von denen wir Ueberreste in den zahlreichen Inseln und Eilanden er¬
nennen, die von der Rheinmündung bis zur cimbrtschen Halbinsel hin die
Küste umsäumen. Als aber dem unermüdlichen Anprall der atlantischen
Hochflut!) der Isthmus zwischen Dover und Calais plötzlich wich, und die
^Lassermassen unaufhaltsam gegen die östlichen und südlichen Gestade sich
heranwälzten, da zerbrachen die aus leichtem Sand gefügten Hügelketten und
Kneten der Fluth einen Weg ins Land, das nun regelmäßigen, aber be¬
achtenden Überschwemmungen ausgesetzt war. Frühzeitig vereinigten sich
^er die Kräfte der Menschen zu gemeinsamer Arbeit, um den fetten Küsten-
^um durch künstliche Deiche zu schützen und geregeltem Anbau zugänglich zu
Zacher. Sie zogen hohe Dämme, die als Verkehrswege dienten, und durch¬
schnitten das Land mit zahlreichen Entwässerungsgräben, die es für einen
Hemden fast unzugänglich machten, während sie von den Eingeborenen mit
^ren Springstangen leicht überschritten wurden. So war das Ländchen ein
beschert des Meeres, aber ein abgedrungenes, das die peinlichste Sorgfalt
oft die höchste Kraftanstrengung erforderte, um es vor der nimmersatten
^er des tückischen Elementes zu schützen, aber die verwandte Mühe auch mit
^reichem Ertrage belohnte.

Die Ditmarsen. mit den alten Sachsen, am nächsten aber mit den
diesen verwandt, waren ein trotziges und kühnes Geschlecht, ähnlich jenen
Schweizer Bauern, die zwischen ihren Bergriesen saßen, wie jene zwischen
^chen und Gräben. Mit den Schweizern haben sie auch die größte Aehn-


Grenjbotm IV. 1874. 26
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[0205] Uroben gleichzeitiger Volkslieder über die Schlachten bei Kemmingstedt (1404 u. 1500). In neuhochdeutscher Uebertragung mitgetheilt von H. Schmölle. Ditmarschen ist ein schmaler Landstreifen an der Westküste Holsteins, der sich, etwa 7 Meilen lang und 4 Meilen breit, von der Elbmündung bis zur Eider hinzieht und größtentheils aus, vom Meere angeschwemmtem und mit Sand vermischtem, feinem Thonschlamm, sogenanntem Schlick besteht. In un¬ vordenklichen Zeiten, als die Nordsee noch ein nur nach Norden geöffneter Nteeresvusen war, schützten hohe natürliche Dünen das tiefer gelegene Hinter¬ land, von denen wir Ueberreste in den zahlreichen Inseln und Eilanden er¬ nennen, die von der Rheinmündung bis zur cimbrtschen Halbinsel hin die Küste umsäumen. Als aber dem unermüdlichen Anprall der atlantischen Hochflut!) der Isthmus zwischen Dover und Calais plötzlich wich, und die ^Lassermassen unaufhaltsam gegen die östlichen und südlichen Gestade sich heranwälzten, da zerbrachen die aus leichtem Sand gefügten Hügelketten und Kneten der Fluth einen Weg ins Land, das nun regelmäßigen, aber be¬ achtenden Überschwemmungen ausgesetzt war. Frühzeitig vereinigten sich ^er die Kräfte der Menschen zu gemeinsamer Arbeit, um den fetten Küsten- ^um durch künstliche Deiche zu schützen und geregeltem Anbau zugänglich zu Zacher. Sie zogen hohe Dämme, die als Verkehrswege dienten, und durch¬ schnitten das Land mit zahlreichen Entwässerungsgräben, die es für einen Hemden fast unzugänglich machten, während sie von den Eingeborenen mit ^ren Springstangen leicht überschritten wurden. So war das Ländchen ein beschert des Meeres, aber ein abgedrungenes, das die peinlichste Sorgfalt oft die höchste Kraftanstrengung erforderte, um es vor der nimmersatten ^er des tückischen Elementes zu schützen, aber die verwandte Mühe auch mit ^reichem Ertrage belohnte. Die Ditmarsen. mit den alten Sachsen, am nächsten aber mit den diesen verwandt, waren ein trotziges und kühnes Geschlecht, ähnlich jenen Schweizer Bauern, die zwischen ihren Bergriesen saßen, wie jene zwischen ^chen und Gräben. Mit den Schweizern haben sie auch die größte Aehn- Grenjbotm IV. 1874. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/205>, abgerufen am 29.12.2024.