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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Das ist schon bisher geschehen. "Luther's neue germanische Schöpfung ent¬
sprang vollkommener Durchdringung der romanischen Theologie, Goethe's
deutsche Dichtung der vollendeten Aufnahme romanischer Bildung, Friedrich
des Zweiten echt germanische Politik dem Durchschauen all der romanischen
Ränke, welche Macchiavelli in seinem Buche vom Fürsten, wenn auch nur
als objectiver Beobachter zusammengestellt hatte. Friedrich, ein Schüler
Voltaire's, der nur französisch sprach und schrieb, der deutsche Literatur ver¬
kannte und deutsches Wesen oft kaum begriff, ist im eminenten Sinne der
erste deutsche Fürst gewesen. Sein Wort, daß er nur der erste Diener seines
Staates sei, ist der Grundgedanke, auf dem heute Deutschland beruht, . . .
das Gefühl der Pflicht ist die Grundlage der heutigen Herrschaft der ger¬
manischen Völker. Seine mit Staunen von uns beobachtete Abwesenheit bei
den heutigen Romanen ist das am deutlichsten hervortretende Symptom,
welches das Zurücktreten dieser Race als regierender documentirt. So be¬
trachtet, erscheinen die letzten Anstrengungen auch der romanischen Kirche 'als
der verzweifelte Versuch, durch eine Formel, der ins Unendliche ausdehnbare
zwingende Macht innewohnt, dem Einzelnen den Halt zu verleihen, der ihm
aus der eigenen Natur fehlen würde. Jedenfalls kann dies Mittel doch nur
bei Romanen einen Zweck haben und auch bei ihnen nur ein Erfolg
denkbar sein."

Mögen diese kurzen Auszüge aus einer der neuesten und zugleich für
unsere Gegenwart wichtigsten Arbeiten Herman Grimm's den Leser dazu er¬
muntern, seine fünfzehn Essays zu studiren. Er wird darin ein Buch erkennen,
das er freudig unter die besten Werke seiner Bibliothek stellen wird.


Hans Blum.


Lin "Irinz aus dem brandenburgisch-hohenzollerschen
Kaufe als Mschos von Strcchburg (1592--1K04).

Unter den freien Reichsstädten Deutschlands war Straßburg nicht allein
eine der ersten, die der Reformation die Thore öffneten; sie zählte auch zu
denjenigen, welche alle retrograden katholischen Machteinflüsse am energischsten
bekämpften. Nachdem bereits im Jahre 1818 ein großer Theil der Bürger¬
schaft sich für die lutherische Lehre erklärt hatte, ordnete der Senat in den
Jahren 1527--29 schrittweise die Abschaffung des alten katholischen Kultus
an, so daß der Kaiser sich weigerte, die Abgeordneten der Stadt Straßburg


Das ist schon bisher geschehen. „Luther's neue germanische Schöpfung ent¬
sprang vollkommener Durchdringung der romanischen Theologie, Goethe's
deutsche Dichtung der vollendeten Aufnahme romanischer Bildung, Friedrich
des Zweiten echt germanische Politik dem Durchschauen all der romanischen
Ränke, welche Macchiavelli in seinem Buche vom Fürsten, wenn auch nur
als objectiver Beobachter zusammengestellt hatte. Friedrich, ein Schüler
Voltaire's, der nur französisch sprach und schrieb, der deutsche Literatur ver¬
kannte und deutsches Wesen oft kaum begriff, ist im eminenten Sinne der
erste deutsche Fürst gewesen. Sein Wort, daß er nur der erste Diener seines
Staates sei, ist der Grundgedanke, auf dem heute Deutschland beruht, . . .
das Gefühl der Pflicht ist die Grundlage der heutigen Herrschaft der ger¬
manischen Völker. Seine mit Staunen von uns beobachtete Abwesenheit bei
den heutigen Romanen ist das am deutlichsten hervortretende Symptom,
welches das Zurücktreten dieser Race als regierender documentirt. So be¬
trachtet, erscheinen die letzten Anstrengungen auch der romanischen Kirche 'als
der verzweifelte Versuch, durch eine Formel, der ins Unendliche ausdehnbare
zwingende Macht innewohnt, dem Einzelnen den Halt zu verleihen, der ihm
aus der eigenen Natur fehlen würde. Jedenfalls kann dies Mittel doch nur
bei Romanen einen Zweck haben und auch bei ihnen nur ein Erfolg
denkbar sein."

Mögen diese kurzen Auszüge aus einer der neuesten und zugleich für
unsere Gegenwart wichtigsten Arbeiten Herman Grimm's den Leser dazu er¬
muntern, seine fünfzehn Essays zu studiren. Er wird darin ein Buch erkennen,
das er freudig unter die besten Werke seiner Bibliothek stellen wird.


Hans Blum.


Lin "Irinz aus dem brandenburgisch-hohenzollerschen
Kaufe als Mschos von Strcchburg (1592—1K04).

Unter den freien Reichsstädten Deutschlands war Straßburg nicht allein
eine der ersten, die der Reformation die Thore öffneten; sie zählte auch zu
denjenigen, welche alle retrograden katholischen Machteinflüsse am energischsten
bekämpften. Nachdem bereits im Jahre 1818 ein großer Theil der Bürger¬
schaft sich für die lutherische Lehre erklärt hatte, ordnete der Senat in den
Jahren 1527—29 schrittweise die Abschaffung des alten katholischen Kultus
an, so daß der Kaiser sich weigerte, die Abgeordneten der Stadt Straßburg


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[0020] Das ist schon bisher geschehen. „Luther's neue germanische Schöpfung ent¬ sprang vollkommener Durchdringung der romanischen Theologie, Goethe's deutsche Dichtung der vollendeten Aufnahme romanischer Bildung, Friedrich des Zweiten echt germanische Politik dem Durchschauen all der romanischen Ränke, welche Macchiavelli in seinem Buche vom Fürsten, wenn auch nur als objectiver Beobachter zusammengestellt hatte. Friedrich, ein Schüler Voltaire's, der nur französisch sprach und schrieb, der deutsche Literatur ver¬ kannte und deutsches Wesen oft kaum begriff, ist im eminenten Sinne der erste deutsche Fürst gewesen. Sein Wort, daß er nur der erste Diener seines Staates sei, ist der Grundgedanke, auf dem heute Deutschland beruht, . . . das Gefühl der Pflicht ist die Grundlage der heutigen Herrschaft der ger¬ manischen Völker. Seine mit Staunen von uns beobachtete Abwesenheit bei den heutigen Romanen ist das am deutlichsten hervortretende Symptom, welches das Zurücktreten dieser Race als regierender documentirt. So be¬ trachtet, erscheinen die letzten Anstrengungen auch der romanischen Kirche 'als der verzweifelte Versuch, durch eine Formel, der ins Unendliche ausdehnbare zwingende Macht innewohnt, dem Einzelnen den Halt zu verleihen, der ihm aus der eigenen Natur fehlen würde. Jedenfalls kann dies Mittel doch nur bei Romanen einen Zweck haben und auch bei ihnen nur ein Erfolg denkbar sein." Mögen diese kurzen Auszüge aus einer der neuesten und zugleich für unsere Gegenwart wichtigsten Arbeiten Herman Grimm's den Leser dazu er¬ muntern, seine fünfzehn Essays zu studiren. Er wird darin ein Buch erkennen, das er freudig unter die besten Werke seiner Bibliothek stellen wird. Hans Blum. Lin "Irinz aus dem brandenburgisch-hohenzollerschen Kaufe als Mschos von Strcchburg (1592—1K04). Unter den freien Reichsstädten Deutschlands war Straßburg nicht allein eine der ersten, die der Reformation die Thore öffneten; sie zählte auch zu denjenigen, welche alle retrograden katholischen Machteinflüsse am energischsten bekämpften. Nachdem bereits im Jahre 1818 ein großer Theil der Bürger¬ schaft sich für die lutherische Lehre erklärt hatte, ordnete der Senat in den Jahren 1527—29 schrittweise die Abschaffung des alten katholischen Kultus an, so daß der Kaiser sich weigerte, die Abgeordneten der Stadt Straßburg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/20>, abgerufen am 27.12.2024.