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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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eines neuen Reichs an die Stelle der^ Trauer um das alte getreten war.
Die Geister Lorchs zeigten mir die Richtung meines Weiterwegs: vom Grab
zur Wiege der Hohenstaufen, nach Wäschenbeuren. Gerade in der Mitte
zwischen Lorch und dem Hohenstaufen liegt das Dörfchen. Noch stehen die
Grundmauern des alten Wäschenschlößchens. Von ihm stieg ein Friedrich
von Buren zur Höhe und baute sich auf dem Stwipfen, dem "Stufenberge",
ein hohes Haus. Kein Stein steht mehr von ihm. Schon der Bauernkrieg
schleuderte die Brandfackel in die Kaiserburg. Martin Crusius sah 63 Jahre
später ihre Trümmer, die von ihrer Größe zeugten, und stimmte die Klage
an: "lieber Gott, soll eine so große Herrlichkeit der mächtigsten Fürsten zu
einem so scheußlichen Anblick gediehen sein? Alles ist verschwunden, wie ein
Rauch, Alles hinweggeflogen wie ein Vogel. Ein Bauernschultheiß hat jetzt
die Schlüssel zu dem Thor, er mäht das Gras im Schloßhofe, der Hollunder-
baum wächst da und dort in den Winkeln. In allen Theilen des Schlosses
ist kein Bildniß, keine Inschrift, kein Wappen, keine Farbe mehr. Alles ist
durch Feuer, Regen oder böse Zeiten ausgetilgt. Was ein schöner Körper
war, ist jetzt nur ein Beingerihpe." Jetzt ist auch das Gerippe verschwunden.
Der Bauernschultheiß hat kein Thor mehr zu verwahren, selbst kein Hollunder-
baum wächst mehr im Schloßhofe. Denn Thor und Schloßhof selbst sind
nicht mehr vorhanden. So kahl und verlassen liegt kein Berg im deutschen
Reich. Der Emporblick an seinem Gipfel hat im Anfang etwas Finsteres
und Wildes; der Ansteig ist steil und mühsam, namentlich von der Seite aus,
auf der ich kam, und dazu in der heißen Mittagsstunde. Auch die ist eine
Geisterstunde, so gut wie die Mitternacht. Und ein Geisterreigen seltener
Art schwebt um die einsame Höhe her; ein unsagbar großes Stück deutscher
Geschichte baut sich der Erinnerung auf ihr auf. Weit reicht der äußere,
noch weiter der innere Blick: weit über den blauen Bergrand der Alb, weit
über das lachende, blühende, hier zu Füßen gebreitete schwäbische Hügelland
geht dieser hinaus; bis zu den Fluthen des Saleph, die über einem greisen
Kaiserhaupt zusammenschlagen, bis zur Altenburg, wo ein anderes dem
Mörderdolch verfällt, nach Palermos glänzendem Hof, auf Neapels Markt
und das Blutgerüst, von dem des letzten Hohenstaufen blondes Haupt in
den Sand rollt.

Machte es gerade die Mittagsstunde oder war die Reisezeit wirklich schon
so weit vorgeschritten, daß der Wanderer weniger waren: ich war allein auf
dem einsamen Berg. Die Gegend lag nicht im vollen Sonnenschein; die
ferneren Berge, die Teck, der Hohenneuffen, die Achalm und was man sonst
von der Alb hier sieht, erschienen nicht klar und deutlich, wie man's sonst
gewohnt; das Stück des alten hercynischen Waldes, das man nordwärts
gewahrt, schaute sogar ganz düster herüber, aber das alles dünkte mir fast


eines neuen Reichs an die Stelle der^ Trauer um das alte getreten war.
Die Geister Lorchs zeigten mir die Richtung meines Weiterwegs: vom Grab
zur Wiege der Hohenstaufen, nach Wäschenbeuren. Gerade in der Mitte
zwischen Lorch und dem Hohenstaufen liegt das Dörfchen. Noch stehen die
Grundmauern des alten Wäschenschlößchens. Von ihm stieg ein Friedrich
von Buren zur Höhe und baute sich auf dem Stwipfen, dem „Stufenberge",
ein hohes Haus. Kein Stein steht mehr von ihm. Schon der Bauernkrieg
schleuderte die Brandfackel in die Kaiserburg. Martin Crusius sah 63 Jahre
später ihre Trümmer, die von ihrer Größe zeugten, und stimmte die Klage
an: „lieber Gott, soll eine so große Herrlichkeit der mächtigsten Fürsten zu
einem so scheußlichen Anblick gediehen sein? Alles ist verschwunden, wie ein
Rauch, Alles hinweggeflogen wie ein Vogel. Ein Bauernschultheiß hat jetzt
die Schlüssel zu dem Thor, er mäht das Gras im Schloßhofe, der Hollunder-
baum wächst da und dort in den Winkeln. In allen Theilen des Schlosses
ist kein Bildniß, keine Inschrift, kein Wappen, keine Farbe mehr. Alles ist
durch Feuer, Regen oder böse Zeiten ausgetilgt. Was ein schöner Körper
war, ist jetzt nur ein Beingerihpe." Jetzt ist auch das Gerippe verschwunden.
Der Bauernschultheiß hat kein Thor mehr zu verwahren, selbst kein Hollunder-
baum wächst mehr im Schloßhofe. Denn Thor und Schloßhof selbst sind
nicht mehr vorhanden. So kahl und verlassen liegt kein Berg im deutschen
Reich. Der Emporblick an seinem Gipfel hat im Anfang etwas Finsteres
und Wildes; der Ansteig ist steil und mühsam, namentlich von der Seite aus,
auf der ich kam, und dazu in der heißen Mittagsstunde. Auch die ist eine
Geisterstunde, so gut wie die Mitternacht. Und ein Geisterreigen seltener
Art schwebt um die einsame Höhe her; ein unsagbar großes Stück deutscher
Geschichte baut sich der Erinnerung auf ihr auf. Weit reicht der äußere,
noch weiter der innere Blick: weit über den blauen Bergrand der Alb, weit
über das lachende, blühende, hier zu Füßen gebreitete schwäbische Hügelland
geht dieser hinaus; bis zu den Fluthen des Saleph, die über einem greisen
Kaiserhaupt zusammenschlagen, bis zur Altenburg, wo ein anderes dem
Mörderdolch verfällt, nach Palermos glänzendem Hof, auf Neapels Markt
und das Blutgerüst, von dem des letzten Hohenstaufen blondes Haupt in
den Sand rollt.

Machte es gerade die Mittagsstunde oder war die Reisezeit wirklich schon
so weit vorgeschritten, daß der Wanderer weniger waren: ich war allein auf
dem einsamen Berg. Die Gegend lag nicht im vollen Sonnenschein; die
ferneren Berge, die Teck, der Hohenneuffen, die Achalm und was man sonst
von der Alb hier sieht, erschienen nicht klar und deutlich, wie man's sonst
gewohnt; das Stück des alten hercynischen Waldes, das man nordwärts
gewahrt, schaute sogar ganz düster herüber, aber das alles dünkte mir fast


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[0195] eines neuen Reichs an die Stelle der^ Trauer um das alte getreten war. Die Geister Lorchs zeigten mir die Richtung meines Weiterwegs: vom Grab zur Wiege der Hohenstaufen, nach Wäschenbeuren. Gerade in der Mitte zwischen Lorch und dem Hohenstaufen liegt das Dörfchen. Noch stehen die Grundmauern des alten Wäschenschlößchens. Von ihm stieg ein Friedrich von Buren zur Höhe und baute sich auf dem Stwipfen, dem „Stufenberge", ein hohes Haus. Kein Stein steht mehr von ihm. Schon der Bauernkrieg schleuderte die Brandfackel in die Kaiserburg. Martin Crusius sah 63 Jahre später ihre Trümmer, die von ihrer Größe zeugten, und stimmte die Klage an: „lieber Gott, soll eine so große Herrlichkeit der mächtigsten Fürsten zu einem so scheußlichen Anblick gediehen sein? Alles ist verschwunden, wie ein Rauch, Alles hinweggeflogen wie ein Vogel. Ein Bauernschultheiß hat jetzt die Schlüssel zu dem Thor, er mäht das Gras im Schloßhofe, der Hollunder- baum wächst da und dort in den Winkeln. In allen Theilen des Schlosses ist kein Bildniß, keine Inschrift, kein Wappen, keine Farbe mehr. Alles ist durch Feuer, Regen oder böse Zeiten ausgetilgt. Was ein schöner Körper war, ist jetzt nur ein Beingerihpe." Jetzt ist auch das Gerippe verschwunden. Der Bauernschultheiß hat kein Thor mehr zu verwahren, selbst kein Hollunder- baum wächst mehr im Schloßhofe. Denn Thor und Schloßhof selbst sind nicht mehr vorhanden. So kahl und verlassen liegt kein Berg im deutschen Reich. Der Emporblick an seinem Gipfel hat im Anfang etwas Finsteres und Wildes; der Ansteig ist steil und mühsam, namentlich von der Seite aus, auf der ich kam, und dazu in der heißen Mittagsstunde. Auch die ist eine Geisterstunde, so gut wie die Mitternacht. Und ein Geisterreigen seltener Art schwebt um die einsame Höhe her; ein unsagbar großes Stück deutscher Geschichte baut sich der Erinnerung auf ihr auf. Weit reicht der äußere, noch weiter der innere Blick: weit über den blauen Bergrand der Alb, weit über das lachende, blühende, hier zu Füßen gebreitete schwäbische Hügelland geht dieser hinaus; bis zu den Fluthen des Saleph, die über einem greisen Kaiserhaupt zusammenschlagen, bis zur Altenburg, wo ein anderes dem Mörderdolch verfällt, nach Palermos glänzendem Hof, auf Neapels Markt und das Blutgerüst, von dem des letzten Hohenstaufen blondes Haupt in den Sand rollt. Machte es gerade die Mittagsstunde oder war die Reisezeit wirklich schon so weit vorgeschritten, daß der Wanderer weniger waren: ich war allein auf dem einsamen Berg. Die Gegend lag nicht im vollen Sonnenschein; die ferneren Berge, die Teck, der Hohenneuffen, die Achalm und was man sonst von der Alb hier sieht, erschienen nicht klar und deutlich, wie man's sonst gewohnt; das Stück des alten hercynischen Waldes, das man nordwärts gewahrt, schaute sogar ganz düster herüber, aber das alles dünkte mir fast

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/195>, abgerufen am 29.12.2024.