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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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natürlich für die ernste Hoheit, für die Melancholie des verlassenen Kaiser¬
bergs. Ich schritt abwärts; auf demselben Pfad vielleicht, den der Rothbart
ging, wenn er von' der Burg zum Dorfkirchlein niederstieg. Das ist das ein¬
zige noch übrige gleichzeitige Zeugniß der großen Vergangenheit. Eine Thür
ist zugemauert. Es ist dieselbe, durch welche der alte Kaiser aus und einging.
"Hie transibat (^sar" lautet die Inschrift über ihm. Sonst ist das Kirch¬
lein jeden Schmuckes baar; allein jene Eine Inschrift genügt; sie macht uns
die alte Zeit fast greifbar lebendig, die Zeit, deren Größe auch durch die der
Gegenwart nicht gemindert oder getilgt werden kann.

Vom Hohenstaufen geht man am besten nach Göppingen zur Eisenbahn.
In des seligen Philipp Schartenmeyer vortrefflichem Heldengedicht vom gro¬
ßen Kriege gegen Frankreich ist das schwarz auf weiß als wohlgemeinte An¬
merkung zu seinem Ehrengedächtniß für den Vorgänger des neuen Kaisers,
den alten Rothbart, zu lesen. Aber der anerkennenswerthe Fingerzeig des
wackern "Präceptors" war damals noch nicht gedruckt, ich hatte es mir selber
zu verdanken, daß ich den rechten Weg nach Göppingen und Plochingen und
endlich bis Abends nach Kirchheim fand. Näher als vom Hohenstaufen und
darum übersichtlicher lag die Alb vor mir, eine lange gerade, nur von
wenigen, kaum über die Bergfläche sich emporhebenden Gipfeln unterbrochene
Linie. Das erscheint einförmig, ermüdend. Aber dem verweilenden Auge
theilt sich bald jene Linie in eine Menge aneinander gereihter sargförmiger
Berge, mit welchen hie und da eine Kegelform, selten eine Halbkugel wech¬
selt. Auch das dünkt uns noch keine besondere Schönheit. Aber da wirft
die sich neigende Sonne einen Strahl auf die Ferne und auf einmal erhei¬
tert und belebt sich das ganze Bild. Die dunkle Farbe des Gebirges wird
durchsichtiger, der Sonnenschein gießt eine leichte Röthe darüber, und in ihr
tritt bisher ungeahnter Wechsel der Form hervor. Reiche, die Höhen weit
hinauf bekleidende Buchenwälder schimmern entgegen, Vertiefungen mannig¬
faltiger Thäler eröffnen sich zwischen den mehr und mehr von dem ganzen
Bergzug abgelösten Massen; wie funkelnde Punkte erscheinen, wo die Vor¬
hügel einen Blick durchlassen, Dörfer und Städte; am Fuße der Berge hin
und in sie hinein ziehen sich üppige Obstwälder; die Höhen sind mit weißen
Kalkfelsen, die vom Grün der Wälder sich jetzt deutlich abheben, übersät, und
auf den vereinzelnten Gipfeln zeigt das scheidende Tagesgesttrn vorher unbe¬
merkte Schlösser und Ruinen.

Die Alb hat ihre Charakteristik so gut und so prägnant, wie irgend ein
Gebirgszug im deutschen Land.

In früher Morgenstunde standen wir auf der Teck. Der Weg zu ihr
hinauf war nicht leicht zu finden. Mähder schnitten das thaufrische Gras an
den Berghalden, aber sie waren schlechte Wegweiser. Dazu täuscht der aus


natürlich für die ernste Hoheit, für die Melancholie des verlassenen Kaiser¬
bergs. Ich schritt abwärts; auf demselben Pfad vielleicht, den der Rothbart
ging, wenn er von' der Burg zum Dorfkirchlein niederstieg. Das ist das ein¬
zige noch übrige gleichzeitige Zeugniß der großen Vergangenheit. Eine Thür
ist zugemauert. Es ist dieselbe, durch welche der alte Kaiser aus und einging.
„Hie transibat (^sar" lautet die Inschrift über ihm. Sonst ist das Kirch¬
lein jeden Schmuckes baar; allein jene Eine Inschrift genügt; sie macht uns
die alte Zeit fast greifbar lebendig, die Zeit, deren Größe auch durch die der
Gegenwart nicht gemindert oder getilgt werden kann.

Vom Hohenstaufen geht man am besten nach Göppingen zur Eisenbahn.
In des seligen Philipp Schartenmeyer vortrefflichem Heldengedicht vom gro¬
ßen Kriege gegen Frankreich ist das schwarz auf weiß als wohlgemeinte An¬
merkung zu seinem Ehrengedächtniß für den Vorgänger des neuen Kaisers,
den alten Rothbart, zu lesen. Aber der anerkennenswerthe Fingerzeig des
wackern „Präceptors" war damals noch nicht gedruckt, ich hatte es mir selber
zu verdanken, daß ich den rechten Weg nach Göppingen und Plochingen und
endlich bis Abends nach Kirchheim fand. Näher als vom Hohenstaufen und
darum übersichtlicher lag die Alb vor mir, eine lange gerade, nur von
wenigen, kaum über die Bergfläche sich emporhebenden Gipfeln unterbrochene
Linie. Das erscheint einförmig, ermüdend. Aber dem verweilenden Auge
theilt sich bald jene Linie in eine Menge aneinander gereihter sargförmiger
Berge, mit welchen hie und da eine Kegelform, selten eine Halbkugel wech¬
selt. Auch das dünkt uns noch keine besondere Schönheit. Aber da wirft
die sich neigende Sonne einen Strahl auf die Ferne und auf einmal erhei¬
tert und belebt sich das ganze Bild. Die dunkle Farbe des Gebirges wird
durchsichtiger, der Sonnenschein gießt eine leichte Röthe darüber, und in ihr
tritt bisher ungeahnter Wechsel der Form hervor. Reiche, die Höhen weit
hinauf bekleidende Buchenwälder schimmern entgegen, Vertiefungen mannig¬
faltiger Thäler eröffnen sich zwischen den mehr und mehr von dem ganzen
Bergzug abgelösten Massen; wie funkelnde Punkte erscheinen, wo die Vor¬
hügel einen Blick durchlassen, Dörfer und Städte; am Fuße der Berge hin
und in sie hinein ziehen sich üppige Obstwälder; die Höhen sind mit weißen
Kalkfelsen, die vom Grün der Wälder sich jetzt deutlich abheben, übersät, und
auf den vereinzelnten Gipfeln zeigt das scheidende Tagesgesttrn vorher unbe¬
merkte Schlösser und Ruinen.

Die Alb hat ihre Charakteristik so gut und so prägnant, wie irgend ein
Gebirgszug im deutschen Land.

In früher Morgenstunde standen wir auf der Teck. Der Weg zu ihr
hinauf war nicht leicht zu finden. Mähder schnitten das thaufrische Gras an
den Berghalden, aber sie waren schlechte Wegweiser. Dazu täuscht der aus


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[0196] natürlich für die ernste Hoheit, für die Melancholie des verlassenen Kaiser¬ bergs. Ich schritt abwärts; auf demselben Pfad vielleicht, den der Rothbart ging, wenn er von' der Burg zum Dorfkirchlein niederstieg. Das ist das ein¬ zige noch übrige gleichzeitige Zeugniß der großen Vergangenheit. Eine Thür ist zugemauert. Es ist dieselbe, durch welche der alte Kaiser aus und einging. „Hie transibat (^sar" lautet die Inschrift über ihm. Sonst ist das Kirch¬ lein jeden Schmuckes baar; allein jene Eine Inschrift genügt; sie macht uns die alte Zeit fast greifbar lebendig, die Zeit, deren Größe auch durch die der Gegenwart nicht gemindert oder getilgt werden kann. Vom Hohenstaufen geht man am besten nach Göppingen zur Eisenbahn. In des seligen Philipp Schartenmeyer vortrefflichem Heldengedicht vom gro¬ ßen Kriege gegen Frankreich ist das schwarz auf weiß als wohlgemeinte An¬ merkung zu seinem Ehrengedächtniß für den Vorgänger des neuen Kaisers, den alten Rothbart, zu lesen. Aber der anerkennenswerthe Fingerzeig des wackern „Präceptors" war damals noch nicht gedruckt, ich hatte es mir selber zu verdanken, daß ich den rechten Weg nach Göppingen und Plochingen und endlich bis Abends nach Kirchheim fand. Näher als vom Hohenstaufen und darum übersichtlicher lag die Alb vor mir, eine lange gerade, nur von wenigen, kaum über die Bergfläche sich emporhebenden Gipfeln unterbrochene Linie. Das erscheint einförmig, ermüdend. Aber dem verweilenden Auge theilt sich bald jene Linie in eine Menge aneinander gereihter sargförmiger Berge, mit welchen hie und da eine Kegelform, selten eine Halbkugel wech¬ selt. Auch das dünkt uns noch keine besondere Schönheit. Aber da wirft die sich neigende Sonne einen Strahl auf die Ferne und auf einmal erhei¬ tert und belebt sich das ganze Bild. Die dunkle Farbe des Gebirges wird durchsichtiger, der Sonnenschein gießt eine leichte Röthe darüber, und in ihr tritt bisher ungeahnter Wechsel der Form hervor. Reiche, die Höhen weit hinauf bekleidende Buchenwälder schimmern entgegen, Vertiefungen mannig¬ faltiger Thäler eröffnen sich zwischen den mehr und mehr von dem ganzen Bergzug abgelösten Massen; wie funkelnde Punkte erscheinen, wo die Vor¬ hügel einen Blick durchlassen, Dörfer und Städte; am Fuße der Berge hin und in sie hinein ziehen sich üppige Obstwälder; die Höhen sind mit weißen Kalkfelsen, die vom Grün der Wälder sich jetzt deutlich abheben, übersät, und auf den vereinzelnten Gipfeln zeigt das scheidende Tagesgesttrn vorher unbe¬ merkte Schlösser und Ruinen. Die Alb hat ihre Charakteristik so gut und so prägnant, wie irgend ein Gebirgszug im deutschen Land. In früher Morgenstunde standen wir auf der Teck. Der Weg zu ihr hinauf war nicht leicht zu finden. Mähder schnitten das thaufrische Gras an den Berghalden, aber sie waren schlechte Wegweiser. Dazu täuscht der aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/196>, abgerufen am 27.07.2024.