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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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wie Thomas Campbell's "Ilolimilinllvn", ein dem Lurial" verwandtes
Gedicht, konnte er, oft zum höchlichen Ergötzen seiner ruhigern Freunde, in
die lebhaftesten Gesticulationen gerathen. Beim Lesen oder wenn etwas vor
seine Seele trat, was seine Phantasie mächtig erregte, sprang er wohl von
seinem Sitze auf, den Stuhl zur Seite schleudernd; dann schritt er im Zim¬
mer auf- und nieder, seiner Erregung in wiederholten Ausbrüchen des Ge¬
fühls und unter den lebhaftesten Geberden freien Lauf lassend. Nichts brachte
solche Ausbrüche heftiger hervor, als Musik. Er war ein feiner Musikkenner
und insbesondere ein großer Verehrer Händel's. Vorzüglich glücklich war er
im Erfassen des Geistes und Charakters eines einfachen Liedes oder einer
Volksmelodie. Dieser Umstand führt uns auf die Entstehungsweise einiger
seiner schönsten Dichtungen.

Die Melodie eines spanischen Nationalliedes "Viva ol Ke? I'ernainZo"
hatte ihn so ergriffen, daß er sie fort und fort sang, bis ganz ungesucht bet
ihm ein englischer Text entstand, der sich der Weise bewundernswerth an¬
schließt. Das ist sein "SpÄnisn Long" (Rswains p. 37), den GisbertFrei-
herrVincke*) und L ouise v. Ploennies**) ins Deutsche übertragen haben.

Eine andere Melodie, die ihn besonders ergriff, war die irische Volks¬
weise "(Fi-Ämaew-ce". Er meinte, es wären niemals Worte geschrieben, die
seiner Idee von dem eigenthümlichen Pathos entsprächen, das die ganze Musik
durchzöge, allen bisherigen mangele die Individualität des Gefühls. Dieser
von ihm tief empfundene Mangel eines charakteristischen Textes ließ ihn seinen
ergreifenden Long: It I raa tnougdt tkou eoulä'se Iiave äivä" "Keinains
P. 42) schreiben, den Karl Elze^*) in einem getreuen Abdrucke bietet. (Deutsch
a. a. O. bei Vincke S. 267. bei Ploennies S. 142.) Hier die Uebersetzung
von Vincke:


Ich wein' um dich, weil ich vergaß,
Der Menschen Loos sei dein:
Wie dacht' ich, wenn ich bei dir saß.
Du könntest sterblich sein!
Mir kam es niemals in den Sinn,
Daß einst es anders wär',
Wo du auf immer gingst dahin
Und lächeltest nicht mehr.




') In: "Rose un d Distel. Poesieen aus England und Schottland, übertragen von
wisbert Freiherrn Vincke. Zweite vermehrte Auflage. (Weimar 1865)", S. 265. Dieses schöne
^und enthalt Wolfe's Gedichte fast sämmtlich übersetzt und zwar meist in wahren Meisterstücken
deutschen Uebersetzerkunst; nur einige Jugendversuche sind uniibersetzt geblieben.
'
") In: "Englische Lyriker des 19. Jahrh., ins Deutsche übertragen von Luise von
Ploennies. (München 186?)" S. 143. Hierin sechs Gedichte Wolfe's in lesbarer Uebertragung.
In: "Englischer Liederschatz aus britischen und amerikanischen Dichtern. Mit
°'Uern biographischen Verzeichnis? der Verfasser von Karl Elze. Fünfte, verbesserte und ver¬
ehrte Auflage. (Halle 1859)". p. 314. Hierin vier Gedichte von Wolfe.
Grenzboten IV. 1874. 23

wie Thomas Campbell's „Ilolimilinllvn«, ein dem Lurial" verwandtes
Gedicht, konnte er, oft zum höchlichen Ergötzen seiner ruhigern Freunde, in
die lebhaftesten Gesticulationen gerathen. Beim Lesen oder wenn etwas vor
seine Seele trat, was seine Phantasie mächtig erregte, sprang er wohl von
seinem Sitze auf, den Stuhl zur Seite schleudernd; dann schritt er im Zim¬
mer auf- und nieder, seiner Erregung in wiederholten Ausbrüchen des Ge¬
fühls und unter den lebhaftesten Geberden freien Lauf lassend. Nichts brachte
solche Ausbrüche heftiger hervor, als Musik. Er war ein feiner Musikkenner
und insbesondere ein großer Verehrer Händel's. Vorzüglich glücklich war er
im Erfassen des Geistes und Charakters eines einfachen Liedes oder einer
Volksmelodie. Dieser Umstand führt uns auf die Entstehungsweise einiger
seiner schönsten Dichtungen.

Die Melodie eines spanischen Nationalliedes «Viva ol Ke? I'ernainZo"
hatte ihn so ergriffen, daß er sie fort und fort sang, bis ganz ungesucht bet
ihm ein englischer Text entstand, der sich der Weise bewundernswerth an¬
schließt. Das ist sein „SpÄnisn Long" (Rswains p. 37), den GisbertFrei-
herrVincke*) und L ouise v. Ploennies**) ins Deutsche übertragen haben.

Eine andere Melodie, die ihn besonders ergriff, war die irische Volks¬
weise „(Fi-Ämaew-ce". Er meinte, es wären niemals Worte geschrieben, die
seiner Idee von dem eigenthümlichen Pathos entsprächen, das die ganze Musik
durchzöge, allen bisherigen mangele die Individualität des Gefühls. Dieser
von ihm tief empfundene Mangel eines charakteristischen Textes ließ ihn seinen
ergreifenden Long: It I raa tnougdt tkou eoulä'se Iiave äivä" «Keinains
P. 42) schreiben, den Karl Elze^*) in einem getreuen Abdrucke bietet. (Deutsch
a. a. O. bei Vincke S. 267. bei Ploennies S. 142.) Hier die Uebersetzung
von Vincke:


Ich wein' um dich, weil ich vergaß,
Der Menschen Loos sei dein:
Wie dacht' ich, wenn ich bei dir saß.
Du könntest sterblich sein!
Mir kam es niemals in den Sinn,
Daß einst es anders wär',
Wo du auf immer gingst dahin
Und lächeltest nicht mehr.




') In: „Rose un d Distel. Poesieen aus England und Schottland, übertragen von
wisbert Freiherrn Vincke. Zweite vermehrte Auflage. (Weimar 1865)", S. 265. Dieses schöne
^und enthalt Wolfe's Gedichte fast sämmtlich übersetzt und zwar meist in wahren Meisterstücken
deutschen Uebersetzerkunst; nur einige Jugendversuche sind uniibersetzt geblieben.
'
") In: „Englische Lyriker des 19. Jahrh., ins Deutsche übertragen von Luise von
Ploennies. (München 186?)" S. 143. Hierin sechs Gedichte Wolfe's in lesbarer Uebertragung.
In: „Englischer Liederschatz aus britischen und amerikanischen Dichtern. Mit
°'Uern biographischen Verzeichnis? der Verfasser von Karl Elze. Fünfte, verbesserte und ver¬
ehrte Auflage. (Halle 1859)". p. 314. Hierin vier Gedichte von Wolfe.
Grenzboten IV. 1874. 23
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[0181] wie Thomas Campbell's „Ilolimilinllvn«, ein dem Lurial" verwandtes Gedicht, konnte er, oft zum höchlichen Ergötzen seiner ruhigern Freunde, in die lebhaftesten Gesticulationen gerathen. Beim Lesen oder wenn etwas vor seine Seele trat, was seine Phantasie mächtig erregte, sprang er wohl von seinem Sitze auf, den Stuhl zur Seite schleudernd; dann schritt er im Zim¬ mer auf- und nieder, seiner Erregung in wiederholten Ausbrüchen des Ge¬ fühls und unter den lebhaftesten Geberden freien Lauf lassend. Nichts brachte solche Ausbrüche heftiger hervor, als Musik. Er war ein feiner Musikkenner und insbesondere ein großer Verehrer Händel's. Vorzüglich glücklich war er im Erfassen des Geistes und Charakters eines einfachen Liedes oder einer Volksmelodie. Dieser Umstand führt uns auf die Entstehungsweise einiger seiner schönsten Dichtungen. Die Melodie eines spanischen Nationalliedes «Viva ol Ke? I'ernainZo" hatte ihn so ergriffen, daß er sie fort und fort sang, bis ganz ungesucht bet ihm ein englischer Text entstand, der sich der Weise bewundernswerth an¬ schließt. Das ist sein „SpÄnisn Long" (Rswains p. 37), den GisbertFrei- herrVincke*) und L ouise v. Ploennies**) ins Deutsche übertragen haben. Eine andere Melodie, die ihn besonders ergriff, war die irische Volks¬ weise „(Fi-Ämaew-ce". Er meinte, es wären niemals Worte geschrieben, die seiner Idee von dem eigenthümlichen Pathos entsprächen, das die ganze Musik durchzöge, allen bisherigen mangele die Individualität des Gefühls. Dieser von ihm tief empfundene Mangel eines charakteristischen Textes ließ ihn seinen ergreifenden Long: It I raa tnougdt tkou eoulä'se Iiave äivä" «Keinains P. 42) schreiben, den Karl Elze^*) in einem getreuen Abdrucke bietet. (Deutsch a. a. O. bei Vincke S. 267. bei Ploennies S. 142.) Hier die Uebersetzung von Vincke: Ich wein' um dich, weil ich vergaß, Der Menschen Loos sei dein: Wie dacht' ich, wenn ich bei dir saß. Du könntest sterblich sein! Mir kam es niemals in den Sinn, Daß einst es anders wär', Wo du auf immer gingst dahin Und lächeltest nicht mehr. ') In: „Rose un d Distel. Poesieen aus England und Schottland, übertragen von wisbert Freiherrn Vincke. Zweite vermehrte Auflage. (Weimar 1865)", S. 265. Dieses schöne ^und enthalt Wolfe's Gedichte fast sämmtlich übersetzt und zwar meist in wahren Meisterstücken deutschen Uebersetzerkunst; nur einige Jugendversuche sind uniibersetzt geblieben. ' ") In: „Englische Lyriker des 19. Jahrh., ins Deutsche übertragen von Luise von Ploennies. (München 186?)" S. 143. Hierin sechs Gedichte Wolfe's in lesbarer Uebertragung. In: „Englischer Liederschatz aus britischen und amerikanischen Dichtern. Mit °'Uern biographischen Verzeichnis? der Verfasser von Karl Elze. Fünfte, verbesserte und ver¬ ehrte Auflage. (Halle 1859)". p. 314. Hierin vier Gedichte von Wolfe. Grenzboten IV. 1874. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/181>, abgerufen am 27.07.2024.