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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Priestern des Trophonios auf einen Stuhl geführt und gefragt, was er ge¬
hört und gesehen habe. Seine Antworten, in einem Zustande von Betäubung
und Geistesverwirrung gegeben und dictirt in dem Entsetzen über das Grä߬
liche der gehabten Erscheinungen, galten als Offenbarungen des Gottes.

Die Orakelgrotte des Trophonios ist noch heute unweit Lebadeia zu
sehen und scheint später die Kripte einer christlichen Kirche gewesen zu sein,
deren Ruinen noch jetzt vorhanden sind.

Bei Pateä in Achaja war ein dem Apollo geweihter Hain und nicht
weit davon ein Tempel der Ceres, vor welchem eine Quelle entsprang, durch
welche die Göttin, besonders mit Bezug auf Krankheiten, Enthüllungen gab.
Man befragte dieses Orakel, indem man einen Spiegel an einem Faden in
die Höhlung, aus der die Quelle entsprang, hinab ließ, jedoch so, daß er nur
eben die Oberfläche des Wassers berührte, und dann, nachdem man der Göttin
geopfert und zu ihr gebetet hatte, die Zeichen und verschlungenen Linien und
Figuren beobachtete und zu deuten suchte, welche sich in dem heraufgezogenen
Spiegel zeigten.

Zu Oropus in Böotien, wo ein Tempel stand, der dem Wahrsager
Amphiaraos geweiht war, war ein Orakel, das von diesem den Namen hatte.
Wer die Enthüllungen des Gottes begehrte, hatte sich während drei Tagen
des Weines und am letzten Tage auch aller Speisen zu enthalten; dann
wurde ein Widder geopfert, in das Fell desselben gehüllt legte der Fragende
sich zum Schlafe nieder und erfuhr im Traume des Gottes Auskunft. Sei¬
nen Tribut für dieselbe mußte er in Gestalt von einigen Münzen in eine
nahe heilige Quelle werfen.

In der Nähe von Epidaurus, einer bedeutenden Stadt in Argolis,
befand sich auf dem Gebirge Arachnäon der berühmte Tempel des Aesculap,
der Jahr aus Jahr ein von nah und fern Tausende von Kranken und Ge¬
brechlichen herbeilockte, die hier Genesung oder doch Linderung ihrer Leiden z"
finden hofften. In der Regel wurden denselben zweckmäßige Arzneimittel bei
häufiger Bewegung in der frischen, gesunden Luft der Umgegend und ent¬
sprechende Diät verschrieben; in manchen Fällen aber, wo ihre Kunst und
Wissenschaft nicht ausreichte, gebrauchten die Priester des Aesculap auch an¬
dere Mittel, um ihre Patienten zu beruhigen. Sie ließen dieselben sich in
einem großen Saal versammeln und ernährten sie, nachdem die für den Tempel
bestimmten Opfer auf einem Tische niedergelegt waren, sich dem Schlaf hin'
zugeben und auch bei etwa entstehenden Geräusch sich ganz still zu verhalten,
da Aesculap sich ihnen in Träumen offenbaren werde. Häufig vernahmen
denn auch die Kranken, wenn der sie begleitende Priester mit den Opfe^
gescheuten sich entfernt hatte, Stimmen, welche sie für die Aesculaps hielten,
der durch dieselben ihnen die Mittel der Heilung angab.


Priestern des Trophonios auf einen Stuhl geführt und gefragt, was er ge¬
hört und gesehen habe. Seine Antworten, in einem Zustande von Betäubung
und Geistesverwirrung gegeben und dictirt in dem Entsetzen über das Grä߬
liche der gehabten Erscheinungen, galten als Offenbarungen des Gottes.

Die Orakelgrotte des Trophonios ist noch heute unweit Lebadeia zu
sehen und scheint später die Kripte einer christlichen Kirche gewesen zu sein,
deren Ruinen noch jetzt vorhanden sind.

Bei Pateä in Achaja war ein dem Apollo geweihter Hain und nicht
weit davon ein Tempel der Ceres, vor welchem eine Quelle entsprang, durch
welche die Göttin, besonders mit Bezug auf Krankheiten, Enthüllungen gab.
Man befragte dieses Orakel, indem man einen Spiegel an einem Faden in
die Höhlung, aus der die Quelle entsprang, hinab ließ, jedoch so, daß er nur
eben die Oberfläche des Wassers berührte, und dann, nachdem man der Göttin
geopfert und zu ihr gebetet hatte, die Zeichen und verschlungenen Linien und
Figuren beobachtete und zu deuten suchte, welche sich in dem heraufgezogenen
Spiegel zeigten.

Zu Oropus in Böotien, wo ein Tempel stand, der dem Wahrsager
Amphiaraos geweiht war, war ein Orakel, das von diesem den Namen hatte.
Wer die Enthüllungen des Gottes begehrte, hatte sich während drei Tagen
des Weines und am letzten Tage auch aller Speisen zu enthalten; dann
wurde ein Widder geopfert, in das Fell desselben gehüllt legte der Fragende
sich zum Schlafe nieder und erfuhr im Traume des Gottes Auskunft. Sei¬
nen Tribut für dieselbe mußte er in Gestalt von einigen Münzen in eine
nahe heilige Quelle werfen.

In der Nähe von Epidaurus, einer bedeutenden Stadt in Argolis,
befand sich auf dem Gebirge Arachnäon der berühmte Tempel des Aesculap,
der Jahr aus Jahr ein von nah und fern Tausende von Kranken und Ge¬
brechlichen herbeilockte, die hier Genesung oder doch Linderung ihrer Leiden z»
finden hofften. In der Regel wurden denselben zweckmäßige Arzneimittel bei
häufiger Bewegung in der frischen, gesunden Luft der Umgegend und ent¬
sprechende Diät verschrieben; in manchen Fällen aber, wo ihre Kunst und
Wissenschaft nicht ausreichte, gebrauchten die Priester des Aesculap auch an¬
dere Mittel, um ihre Patienten zu beruhigen. Sie ließen dieselben sich in
einem großen Saal versammeln und ernährten sie, nachdem die für den Tempel
bestimmten Opfer auf einem Tische niedergelegt waren, sich dem Schlaf hin'
zugeben und auch bei etwa entstehenden Geräusch sich ganz still zu verhalten,
da Aesculap sich ihnen in Träumen offenbaren werde. Häufig vernahmen
denn auch die Kranken, wenn der sie begleitende Priester mit den Opfe^
gescheuten sich entfernt hatte, Stimmen, welche sie für die Aesculaps hielten,
der durch dieselben ihnen die Mittel der Heilung angab.


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[0178] Priestern des Trophonios auf einen Stuhl geführt und gefragt, was er ge¬ hört und gesehen habe. Seine Antworten, in einem Zustande von Betäubung und Geistesverwirrung gegeben und dictirt in dem Entsetzen über das Grä߬ liche der gehabten Erscheinungen, galten als Offenbarungen des Gottes. Die Orakelgrotte des Trophonios ist noch heute unweit Lebadeia zu sehen und scheint später die Kripte einer christlichen Kirche gewesen zu sein, deren Ruinen noch jetzt vorhanden sind. Bei Pateä in Achaja war ein dem Apollo geweihter Hain und nicht weit davon ein Tempel der Ceres, vor welchem eine Quelle entsprang, durch welche die Göttin, besonders mit Bezug auf Krankheiten, Enthüllungen gab. Man befragte dieses Orakel, indem man einen Spiegel an einem Faden in die Höhlung, aus der die Quelle entsprang, hinab ließ, jedoch so, daß er nur eben die Oberfläche des Wassers berührte, und dann, nachdem man der Göttin geopfert und zu ihr gebetet hatte, die Zeichen und verschlungenen Linien und Figuren beobachtete und zu deuten suchte, welche sich in dem heraufgezogenen Spiegel zeigten. Zu Oropus in Böotien, wo ein Tempel stand, der dem Wahrsager Amphiaraos geweiht war, war ein Orakel, das von diesem den Namen hatte. Wer die Enthüllungen des Gottes begehrte, hatte sich während drei Tagen des Weines und am letzten Tage auch aller Speisen zu enthalten; dann wurde ein Widder geopfert, in das Fell desselben gehüllt legte der Fragende sich zum Schlafe nieder und erfuhr im Traume des Gottes Auskunft. Sei¬ nen Tribut für dieselbe mußte er in Gestalt von einigen Münzen in eine nahe heilige Quelle werfen. In der Nähe von Epidaurus, einer bedeutenden Stadt in Argolis, befand sich auf dem Gebirge Arachnäon der berühmte Tempel des Aesculap, der Jahr aus Jahr ein von nah und fern Tausende von Kranken und Ge¬ brechlichen herbeilockte, die hier Genesung oder doch Linderung ihrer Leiden z» finden hofften. In der Regel wurden denselben zweckmäßige Arzneimittel bei häufiger Bewegung in der frischen, gesunden Luft der Umgegend und ent¬ sprechende Diät verschrieben; in manchen Fällen aber, wo ihre Kunst und Wissenschaft nicht ausreichte, gebrauchten die Priester des Aesculap auch an¬ dere Mittel, um ihre Patienten zu beruhigen. Sie ließen dieselben sich in einem großen Saal versammeln und ernährten sie, nachdem die für den Tempel bestimmten Opfer auf einem Tische niedergelegt waren, sich dem Schlaf hin' zugeben und auch bei etwa entstehenden Geräusch sich ganz still zu verhalten, da Aesculap sich ihnen in Träumen offenbaren werde. Häufig vernahmen denn auch die Kranken, wenn der sie begleitende Priester mit den Opfe^ gescheuten sich entfernt hatte, Stimmen, welche sie für die Aesculaps hielten, der durch dieselben ihnen die Mittel der Heilung angab.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/178>, abgerufen am 29.12.2024.