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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Gegensatz zu der natürlichen nannten. Sie knüpft an irgend welche äußere
Zeichen an, um aus ihnen auf die Zukunft zu schließen, und es gehörte in der
That ein nicht geringer Grad von Scharfsinn und von Kenntnissen dazu, um
allen jenen Zeichen und Zufälligkeiten, die uns völlig bedeutungslos erscheinen,
einen tieferen Sinn und höhere Deutung zu geben. So wurde von jeher ein ganj
besonderes Gewicht gelegt auf die Lebensart der Vögel, auf ihre Natur, ohne Rück¬
sicht auf besondere Umstände, unter denen sie erschienen, so daß dieser Vogel als
ein glückverheißender, jener als Unglücksbote angesehen wurde; oder auf die
besonderen Verhältnisse, die ihr Erscheinen begleiteten, sodaß einer und derselbe
Vogel bald Heil, bald Unheil anzeigen konnte. Adler. Falken, Tauben,
Schwäne, Hähne, Reiher galten im Allgemeinen als glückverheißende Vögel;
dagegen Geier, Habichte, Krähen, Raben (namentlich wenn dieselben z. B.
gierig im Kreis herum flatterten), Schwalben. Eulen u. s. w. wurden meistens
als Unglücksboden angesehen. Doch konnten, wie gesagt, die begleitenden
Umstände auch ein an und für sich ungünstiges Omen zu einem günstigen
machen und umgekehrt. So war das Verhalten der Vögel beim Fressen, die
Art ihres Fluges, namentlich aber ihr Gesang, der Gegenstand eifriger Be¬
obachtung, und es hat denn auch nicht an Männern gefehlt, welche sich
rühmten, die Sprache der Vögel zu verstehen, z. B. Apollonius von Tyan",
Demokritos u. A. Daß den Vögeln eine solche Bedeutung zugeschrieben
wurde, mag wohl darin seinen Grund haben, daß man glaubte, sie bekämen
durch ihr Wanderleben, durch ihr Umherflattern von einem Ort zum andern,
mehr von den Dingen der Welt zu sehen und hätten daher von mancherlei
bessere Kunde, als andere Geschöpfe, die mehr an einen festen Ort gebunden
seien und deren Gesichtskreis darum ein beschränkterer sei. Auch andere Thiere
galten in ihrem Verhalten als bedeutungsvoll. Ameisen sollen dem phrM
schen Könige Midas, wie er als Kind in der Wiege lag, Getreidekörner in
den Mund getragen haben, woraus die Wahrsager den Schluß auf zukünf'
eigen großen Reichthum desselben machten. Ein Bienenschwarm soll dem Plato
als Kind Honig auf die Lippen gelegt haben, was auf die Macht der Rede-
die einst von seinen Lippen fließen werde, gedeutet wurde. Auch Pindar, de^
große lyrische Dichter der Griechen, soll, da er als Kind ausgesetzt worden
war, von Bienen mit Honig ernährt worden sein, in welchem Umstände
den Sangeszauber vorgedeutet sah, mit dem er einst die Herzen entzück^
werde. Unter anderen Thieren, welche als bedeutsam galten, nennen
noch Heuschrecken, Eber, Hasen, Schlangen und Kröten. Für höchst bedeutsam
und auf zukünftige Dinge in entscheidender Weise einwirkend galten fern^
auch auffallende Naturerscheinungen. Das Erscheinen eines Kometen
schon den Griechen, wie noch heute dem ungebildeten, abergläubigen Volke-
ein Bote furchtbaren, allgemeinen Unglücks; mit gleicher Angst des Abe?


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Gegensatz zu der natürlichen nannten. Sie knüpft an irgend welche äußere
Zeichen an, um aus ihnen auf die Zukunft zu schließen, und es gehörte in der
That ein nicht geringer Grad von Scharfsinn und von Kenntnissen dazu, um
allen jenen Zeichen und Zufälligkeiten, die uns völlig bedeutungslos erscheinen,
einen tieferen Sinn und höhere Deutung zu geben. So wurde von jeher ein ganj
besonderes Gewicht gelegt auf die Lebensart der Vögel, auf ihre Natur, ohne Rück¬
sicht auf besondere Umstände, unter denen sie erschienen, so daß dieser Vogel als
ein glückverheißender, jener als Unglücksbote angesehen wurde; oder auf die
besonderen Verhältnisse, die ihr Erscheinen begleiteten, sodaß einer und derselbe
Vogel bald Heil, bald Unheil anzeigen konnte. Adler. Falken, Tauben,
Schwäne, Hähne, Reiher galten im Allgemeinen als glückverheißende Vögel;
dagegen Geier, Habichte, Krähen, Raben (namentlich wenn dieselben z. B.
gierig im Kreis herum flatterten), Schwalben. Eulen u. s. w. wurden meistens
als Unglücksboden angesehen. Doch konnten, wie gesagt, die begleitenden
Umstände auch ein an und für sich ungünstiges Omen zu einem günstigen
machen und umgekehrt. So war das Verhalten der Vögel beim Fressen, die
Art ihres Fluges, namentlich aber ihr Gesang, der Gegenstand eifriger Be¬
obachtung, und es hat denn auch nicht an Männern gefehlt, welche sich
rühmten, die Sprache der Vögel zu verstehen, z. B. Apollonius von Tyan«,
Demokritos u. A. Daß den Vögeln eine solche Bedeutung zugeschrieben
wurde, mag wohl darin seinen Grund haben, daß man glaubte, sie bekämen
durch ihr Wanderleben, durch ihr Umherflattern von einem Ort zum andern,
mehr von den Dingen der Welt zu sehen und hätten daher von mancherlei
bessere Kunde, als andere Geschöpfe, die mehr an einen festen Ort gebunden
seien und deren Gesichtskreis darum ein beschränkterer sei. Auch andere Thiere
galten in ihrem Verhalten als bedeutungsvoll. Ameisen sollen dem phrM
schen Könige Midas, wie er als Kind in der Wiege lag, Getreidekörner in
den Mund getragen haben, woraus die Wahrsager den Schluß auf zukünf'
eigen großen Reichthum desselben machten. Ein Bienenschwarm soll dem Plato
als Kind Honig auf die Lippen gelegt haben, was auf die Macht der Rede-
die einst von seinen Lippen fließen werde, gedeutet wurde. Auch Pindar, de^
große lyrische Dichter der Griechen, soll, da er als Kind ausgesetzt worden
war, von Bienen mit Honig ernährt worden sein, in welchem Umstände
den Sangeszauber vorgedeutet sah, mit dem er einst die Herzen entzück^
werde. Unter anderen Thieren, welche als bedeutsam galten, nennen
noch Heuschrecken, Eber, Hasen, Schlangen und Kröten. Für höchst bedeutsam
und auf zukünftige Dinge in entscheidender Weise einwirkend galten fern^
auch auffallende Naturerscheinungen. Das Erscheinen eines Kometen
schon den Griechen, wie noch heute dem ungebildeten, abergläubigen Volke-
ein Bote furchtbaren, allgemeinen Unglücks; mit gleicher Angst des Abe?


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[0168] Gegensatz zu der natürlichen nannten. Sie knüpft an irgend welche äußere Zeichen an, um aus ihnen auf die Zukunft zu schließen, und es gehörte in der That ein nicht geringer Grad von Scharfsinn und von Kenntnissen dazu, um allen jenen Zeichen und Zufälligkeiten, die uns völlig bedeutungslos erscheinen, einen tieferen Sinn und höhere Deutung zu geben. So wurde von jeher ein ganj besonderes Gewicht gelegt auf die Lebensart der Vögel, auf ihre Natur, ohne Rück¬ sicht auf besondere Umstände, unter denen sie erschienen, so daß dieser Vogel als ein glückverheißender, jener als Unglücksbote angesehen wurde; oder auf die besonderen Verhältnisse, die ihr Erscheinen begleiteten, sodaß einer und derselbe Vogel bald Heil, bald Unheil anzeigen konnte. Adler. Falken, Tauben, Schwäne, Hähne, Reiher galten im Allgemeinen als glückverheißende Vögel; dagegen Geier, Habichte, Krähen, Raben (namentlich wenn dieselben z. B. gierig im Kreis herum flatterten), Schwalben. Eulen u. s. w. wurden meistens als Unglücksboden angesehen. Doch konnten, wie gesagt, die begleitenden Umstände auch ein an und für sich ungünstiges Omen zu einem günstigen machen und umgekehrt. So war das Verhalten der Vögel beim Fressen, die Art ihres Fluges, namentlich aber ihr Gesang, der Gegenstand eifriger Be¬ obachtung, und es hat denn auch nicht an Männern gefehlt, welche sich rühmten, die Sprache der Vögel zu verstehen, z. B. Apollonius von Tyan«, Demokritos u. A. Daß den Vögeln eine solche Bedeutung zugeschrieben wurde, mag wohl darin seinen Grund haben, daß man glaubte, sie bekämen durch ihr Wanderleben, durch ihr Umherflattern von einem Ort zum andern, mehr von den Dingen der Welt zu sehen und hätten daher von mancherlei bessere Kunde, als andere Geschöpfe, die mehr an einen festen Ort gebunden seien und deren Gesichtskreis darum ein beschränkterer sei. Auch andere Thiere galten in ihrem Verhalten als bedeutungsvoll. Ameisen sollen dem phrM schen Könige Midas, wie er als Kind in der Wiege lag, Getreidekörner in den Mund getragen haben, woraus die Wahrsager den Schluß auf zukünf' eigen großen Reichthum desselben machten. Ein Bienenschwarm soll dem Plato als Kind Honig auf die Lippen gelegt haben, was auf die Macht der Rede- die einst von seinen Lippen fließen werde, gedeutet wurde. Auch Pindar, de^ große lyrische Dichter der Griechen, soll, da er als Kind ausgesetzt worden war, von Bienen mit Honig ernährt worden sein, in welchem Umstände den Sangeszauber vorgedeutet sah, mit dem er einst die Herzen entzück^ werde. Unter anderen Thieren, welche als bedeutsam galten, nennen noch Heuschrecken, Eber, Hasen, Schlangen und Kröten. Für höchst bedeutsam und auf zukünftige Dinge in entscheidender Weise einwirkend galten fern^ auch auffallende Naturerscheinungen. Das Erscheinen eines Kometen schon den Griechen, wie noch heute dem ungebildeten, abergläubigen Volke- ein Bote furchtbaren, allgemeinen Unglücks; mit gleicher Angst des Abe? 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/168>, abgerufen am 27.07.2024.