Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

im Gange, und wie lange wird's noch dauern, dann saust der Weltverkehr
von Hamburg und Ostende nach Brindisi durch die stillen Thäler der Ur-
kantone! Wie stiegen ehedem die Fahrgäste des Dampfboots bei Wäggis so
friedlich ans Land und wie gemüthlich zogen dann die Karawanen den Berg
hinauf! Jetzt liegt Wäggis fast verödet, beim Anlegen in Viznau aber ent¬
spinnt sich auf dem Boot eine wahre Völkerschlacht, die sich am Eisen¬
bahnwagen und im Hotel auf Rigi-Kulm wiederholt. Die Bahn macht
glänzende Geschäfte, die Wirthe nicht minder; aber der Freund des echten
Naturgenusses wird sich mit dem Eisenbahnunternehmer niemals recht be¬
freunden können. Von den verschiedenen Punkten der Schweiz, die eine um¬
fassende Alpenansicht gewähren, ist keiner so leicht, so bequem zugänglich, wie
der Rigi; die abgesagtesten Feinde des Bergsteigens konnten hier den ver¬
lockenden Verheißungen ihrer Bädeker nicht wiederstehen und so hatte der
Berg das Verdienst, Tausenden und aber Tausenden doch wenigstens einmal
die Wohlthat jener für den Stoffwechsel so segensreichen Schwitztvuren zu
verschaffen; heute steigen die meisten dieser Leute keine tausend Fuß mehr.
Und andererseits: früher konnte man mit ruhigem Gewissen bis zum Nach¬
mittag in Luzern die Entwickelung des Wetters abwarten, gelangte man
Abends nach Staffel oder Kulm, so konnte man immer sicher sein, noch ein
Passables Unterkommen zu finden; heute ist, wenigstens an schönen Tagen,
Nicht mehr daran zu denken. Was Einen halbwegs mit der Rigibahn ver¬
söhnen kann, ist der Gedanke, daß sie wohl manchen körperlich Gebrechlichen
die Möglichkeit gewährt, ein Schauspiel zu genießen, dessen Anblick ihm sonst
vielleicht sein Lebtag nicht vergönnt sein würde; aber der fröhliche Wanderer,
dem der unvergleichliche See sammt seinen Ufern ans Herz gewachsen, den es,
wohin er auch sonst die Schritte lenke, immer von Neuem an seine lachenden
Gestade zurückzieht, er würde es doch kaum jemals verschmerzen, wenn ihm
eine der schönsten Zugaben dieser zaubervollen Landschaft, das hehre Alpen¬
panorama, durch die Ueberfluthung mit Eisenbahntouristen ganz geraubt oder
wenigstens gründlich verdorben würde. Und das wäre, da auch der Pilatus
Zahnrade auf die Dauer schwerlich entgehen wird, in der That der Fall,
Wenn nicht glücklicher Weise für Rigi wie Pilatus bereits glänzender Ersatz
gefunden wäre.

Von all den wechselnden Perspektiven, die sich dem Wanderer bei der
Fahrt über den Vterwaldstättersee öffnen, ist keine, die sich mit dem wunder-
lieblicher Thal der Muotta vergleichen könnte. Im Vordergrunde der Hafen-
ort Brunnen, dahinter ein breiter, saftiger Wiesenteppich, hier und da von
Eisfeldern durchzogen, mit Nuß- und Obstbäumen besät, weiterhin terrassen-
^rnig aufsteigend, die schimmernden Häuser von Schwyz und Rickenbach
Und als Abschluß die bis zur Höhe von 6000 Fuß senkrecht emporsteigenden


im Gange, und wie lange wird's noch dauern, dann saust der Weltverkehr
von Hamburg und Ostende nach Brindisi durch die stillen Thäler der Ur-
kantone! Wie stiegen ehedem die Fahrgäste des Dampfboots bei Wäggis so
friedlich ans Land und wie gemüthlich zogen dann die Karawanen den Berg
hinauf! Jetzt liegt Wäggis fast verödet, beim Anlegen in Viznau aber ent¬
spinnt sich auf dem Boot eine wahre Völkerschlacht, die sich am Eisen¬
bahnwagen und im Hotel auf Rigi-Kulm wiederholt. Die Bahn macht
glänzende Geschäfte, die Wirthe nicht minder; aber der Freund des echten
Naturgenusses wird sich mit dem Eisenbahnunternehmer niemals recht be¬
freunden können. Von den verschiedenen Punkten der Schweiz, die eine um¬
fassende Alpenansicht gewähren, ist keiner so leicht, so bequem zugänglich, wie
der Rigi; die abgesagtesten Feinde des Bergsteigens konnten hier den ver¬
lockenden Verheißungen ihrer Bädeker nicht wiederstehen und so hatte der
Berg das Verdienst, Tausenden und aber Tausenden doch wenigstens einmal
die Wohlthat jener für den Stoffwechsel so segensreichen Schwitztvuren zu
verschaffen; heute steigen die meisten dieser Leute keine tausend Fuß mehr.
Und andererseits: früher konnte man mit ruhigem Gewissen bis zum Nach¬
mittag in Luzern die Entwickelung des Wetters abwarten, gelangte man
Abends nach Staffel oder Kulm, so konnte man immer sicher sein, noch ein
Passables Unterkommen zu finden; heute ist, wenigstens an schönen Tagen,
Nicht mehr daran zu denken. Was Einen halbwegs mit der Rigibahn ver¬
söhnen kann, ist der Gedanke, daß sie wohl manchen körperlich Gebrechlichen
die Möglichkeit gewährt, ein Schauspiel zu genießen, dessen Anblick ihm sonst
vielleicht sein Lebtag nicht vergönnt sein würde; aber der fröhliche Wanderer,
dem der unvergleichliche See sammt seinen Ufern ans Herz gewachsen, den es,
wohin er auch sonst die Schritte lenke, immer von Neuem an seine lachenden
Gestade zurückzieht, er würde es doch kaum jemals verschmerzen, wenn ihm
eine der schönsten Zugaben dieser zaubervollen Landschaft, das hehre Alpen¬
panorama, durch die Ueberfluthung mit Eisenbahntouristen ganz geraubt oder
wenigstens gründlich verdorben würde. Und das wäre, da auch der Pilatus
Zahnrade auf die Dauer schwerlich entgehen wird, in der That der Fall,
Wenn nicht glücklicher Weise für Rigi wie Pilatus bereits glänzender Ersatz
gefunden wäre.

Von all den wechselnden Perspektiven, die sich dem Wanderer bei der
Fahrt über den Vterwaldstättersee öffnen, ist keine, die sich mit dem wunder-
lieblicher Thal der Muotta vergleichen könnte. Im Vordergrunde der Hafen-
ort Brunnen, dahinter ein breiter, saftiger Wiesenteppich, hier und da von
Eisfeldern durchzogen, mit Nuß- und Obstbäumen besät, weiterhin terrassen-
^rnig aufsteigend, die schimmernden Häuser von Schwyz und Rickenbach
Und als Abschluß die bis zur Höhe von 6000 Fuß senkrecht emporsteigenden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0161" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132383"/>
          <p xml:id="ID_544" prev="#ID_543"> im Gange, und wie lange wird's noch dauern, dann saust der Weltverkehr<lb/>
von Hamburg und Ostende nach Brindisi durch die stillen Thäler der Ur-<lb/>
kantone! Wie stiegen ehedem die Fahrgäste des Dampfboots bei Wäggis so<lb/>
friedlich ans Land und wie gemüthlich zogen dann die Karawanen den Berg<lb/>
hinauf! Jetzt liegt Wäggis fast verödet, beim Anlegen in Viznau aber ent¬<lb/>
spinnt sich auf dem Boot eine wahre Völkerschlacht, die sich am Eisen¬<lb/>
bahnwagen und im Hotel auf Rigi-Kulm wiederholt. Die Bahn macht<lb/>
glänzende Geschäfte, die Wirthe nicht minder; aber der Freund des echten<lb/>
Naturgenusses wird sich mit dem Eisenbahnunternehmer niemals recht be¬<lb/>
freunden können. Von den verschiedenen Punkten der Schweiz, die eine um¬<lb/>
fassende Alpenansicht gewähren, ist keiner so leicht, so bequem zugänglich, wie<lb/>
der Rigi; die abgesagtesten Feinde des Bergsteigens konnten hier den ver¬<lb/>
lockenden Verheißungen ihrer Bädeker nicht wiederstehen und so hatte der<lb/>
Berg das Verdienst, Tausenden und aber Tausenden doch wenigstens einmal<lb/>
die Wohlthat jener für den Stoffwechsel so segensreichen Schwitztvuren zu<lb/>
verschaffen; heute steigen die meisten dieser Leute keine tausend Fuß mehr.<lb/>
Und andererseits: früher konnte man mit ruhigem Gewissen bis zum Nach¬<lb/>
mittag in Luzern die Entwickelung des Wetters abwarten, gelangte man<lb/>
Abends nach Staffel oder Kulm, so konnte man immer sicher sein, noch ein<lb/>
Passables Unterkommen zu finden; heute ist, wenigstens an schönen Tagen,<lb/>
Nicht mehr daran zu denken. Was Einen halbwegs mit der Rigibahn ver¬<lb/>
söhnen kann, ist der Gedanke, daß sie wohl manchen körperlich Gebrechlichen<lb/>
die Möglichkeit gewährt, ein Schauspiel zu genießen, dessen Anblick ihm sonst<lb/>
vielleicht sein Lebtag nicht vergönnt sein würde; aber der fröhliche Wanderer,<lb/>
dem der unvergleichliche See sammt seinen Ufern ans Herz gewachsen, den es,<lb/>
wohin er auch sonst die Schritte lenke, immer von Neuem an seine lachenden<lb/>
Gestade zurückzieht, er würde es doch kaum jemals verschmerzen, wenn ihm<lb/>
eine der schönsten Zugaben dieser zaubervollen Landschaft, das hehre Alpen¬<lb/>
panorama, durch die Ueberfluthung mit Eisenbahntouristen ganz geraubt oder<lb/>
wenigstens gründlich verdorben würde. Und das wäre, da auch der Pilatus<lb/>
Zahnrade auf die Dauer schwerlich entgehen wird, in der That der Fall,<lb/>
Wenn nicht glücklicher Weise für Rigi wie Pilatus bereits glänzender Ersatz<lb/>
gefunden wäre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_545" next="#ID_546"> Von all den wechselnden Perspektiven, die sich dem Wanderer bei der<lb/>
Fahrt über den Vterwaldstättersee öffnen, ist keine, die sich mit dem wunder-<lb/>
lieblicher Thal der Muotta vergleichen könnte. Im Vordergrunde der Hafen-<lb/>
ort Brunnen, dahinter ein breiter, saftiger Wiesenteppich, hier und da von<lb/>
Eisfeldern durchzogen, mit Nuß- und Obstbäumen besät, weiterhin terrassen-<lb/>
^rnig aufsteigend, die schimmernden Häuser von Schwyz und Rickenbach<lb/>
Und als Abschluß die bis zur Höhe von 6000 Fuß senkrecht emporsteigenden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0161] im Gange, und wie lange wird's noch dauern, dann saust der Weltverkehr von Hamburg und Ostende nach Brindisi durch die stillen Thäler der Ur- kantone! Wie stiegen ehedem die Fahrgäste des Dampfboots bei Wäggis so friedlich ans Land und wie gemüthlich zogen dann die Karawanen den Berg hinauf! Jetzt liegt Wäggis fast verödet, beim Anlegen in Viznau aber ent¬ spinnt sich auf dem Boot eine wahre Völkerschlacht, die sich am Eisen¬ bahnwagen und im Hotel auf Rigi-Kulm wiederholt. Die Bahn macht glänzende Geschäfte, die Wirthe nicht minder; aber der Freund des echten Naturgenusses wird sich mit dem Eisenbahnunternehmer niemals recht be¬ freunden können. Von den verschiedenen Punkten der Schweiz, die eine um¬ fassende Alpenansicht gewähren, ist keiner so leicht, so bequem zugänglich, wie der Rigi; die abgesagtesten Feinde des Bergsteigens konnten hier den ver¬ lockenden Verheißungen ihrer Bädeker nicht wiederstehen und so hatte der Berg das Verdienst, Tausenden und aber Tausenden doch wenigstens einmal die Wohlthat jener für den Stoffwechsel so segensreichen Schwitztvuren zu verschaffen; heute steigen die meisten dieser Leute keine tausend Fuß mehr. Und andererseits: früher konnte man mit ruhigem Gewissen bis zum Nach¬ mittag in Luzern die Entwickelung des Wetters abwarten, gelangte man Abends nach Staffel oder Kulm, so konnte man immer sicher sein, noch ein Passables Unterkommen zu finden; heute ist, wenigstens an schönen Tagen, Nicht mehr daran zu denken. Was Einen halbwegs mit der Rigibahn ver¬ söhnen kann, ist der Gedanke, daß sie wohl manchen körperlich Gebrechlichen die Möglichkeit gewährt, ein Schauspiel zu genießen, dessen Anblick ihm sonst vielleicht sein Lebtag nicht vergönnt sein würde; aber der fröhliche Wanderer, dem der unvergleichliche See sammt seinen Ufern ans Herz gewachsen, den es, wohin er auch sonst die Schritte lenke, immer von Neuem an seine lachenden Gestade zurückzieht, er würde es doch kaum jemals verschmerzen, wenn ihm eine der schönsten Zugaben dieser zaubervollen Landschaft, das hehre Alpen¬ panorama, durch die Ueberfluthung mit Eisenbahntouristen ganz geraubt oder wenigstens gründlich verdorben würde. Und das wäre, da auch der Pilatus Zahnrade auf die Dauer schwerlich entgehen wird, in der That der Fall, Wenn nicht glücklicher Weise für Rigi wie Pilatus bereits glänzender Ersatz gefunden wäre. Von all den wechselnden Perspektiven, die sich dem Wanderer bei der Fahrt über den Vterwaldstättersee öffnen, ist keine, die sich mit dem wunder- lieblicher Thal der Muotta vergleichen könnte. Im Vordergrunde der Hafen- ort Brunnen, dahinter ein breiter, saftiger Wiesenteppich, hier und da von Eisfeldern durchzogen, mit Nuß- und Obstbäumen besät, weiterhin terrassen- ^rnig aufsteigend, die schimmernden Häuser von Schwyz und Rickenbach Und als Abschluß die bis zur Höhe von 6000 Fuß senkrecht emporsteigenden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/161
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/161>, abgerufen am 27.07.2024.