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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Berner Oberlande das sehnsüchtige Verlangen nach kleiner Münze regelmäßig
von dem Angebot einer Gegenleistung -- Alpenrosen- und Edelweißsträußchen,
Gesang, Echoerzeugung, Oeffnen der Gatterthüren auf den Weidealpen u. s. to.
-- begleitet. Auch der Geduldigste wird Momente haben, wo ihm diese viel¬
gestaltigen Anfechtungen lästig werden; doch fehlt es auch nicht an Bildern,
deren naiver Komik selbst die galligste Natur nicht widerstehen wird. Wer
könnte z. B. ernst bleiben, wenn auf dem AbHange zwischen Wengernalp und
Grindelwald aus einer Hütte urplötzlich zwei ehrwürdige Matronen hervor¬
schießen, sich feierlich in Positur stellen und mit heiseren Contraalt ein Duett
anstimmen! Etwas höher als diese ordinäre Wegelagerung steht die Echo'
industrie mit Alphornklang und Böllerschuß. Sie bringt nicht selten höchst
überraschende Effecte hervor. Aber sie fällt bereits in das Gebiet der Kunst,
die Natur zu unterstützen oder gar zu corrigiren, und diese hat immer ihre
sehr bedenklichen Seiten. Am großartigsten und zugleich am geschmackvollsten
und am discretesten hat man sie am Gießbach angewandt. Die abendliche
Beleuchtung dieses prächtigen Wasserfalls, wie oft man sie auch gesehen habe,
ist und bleibt ein Schauspiel von überwältigender Wirkung. Jene Leute, die
überall kritisiren müssen, sind natürlich mit dem Anathem "Theatereffekt!"
zur Hand. Jawohl, es ist ein Theatereffekt, aber einer, den zu sehen der
Mühe werth ist. Wenn ich daheim es übers Herz bringe, der magischen
Decorationen wegen eine Feerie zu besuchen, weshalb soll ich nicht in der
Schweiz mit noch viel größerem Vergnügen den Anblick einer Scenerie g?"
nießen, deren erhabene Pracht auch nur entfernt wiederzugeben für unsers
Theaterdecorationstechnik denn doch eine Unmöglichkett ist? Wer das Seba^
spiel am Gießbach seinem vollen ästhetischen Werthe nach würdigen will, der
muß das Pendant desselben, die Beleuchtung des unteren Reichenbachfa^
bei Meiringen gesehen haben -- eine in jeder Beziehung klägliche Leistung'
Leider ist aber zu befürchten, daß es bei dieser einzigen Nachahmung des
luerativen Geschäfts nicht bleiben wird. Ich wette darauf, wenn einmal die
projectirten Gebirgsbahnen des Oberlandes vollendet sind, so wird den Gäste"
der Wengernalp mit der Zeit noch die Illumination der Jungfrau ZU^
Dessert servirt werden. In der That, wer kann sagen, was vor der indU'
strickten Speculation der Berner noch sicher ist? Traurige Perspective! Wen"
unsere Enkel einmal der alten Mutter Natur ungehindert in das ehrliche
ewig jugendschöne Gesicht schauen wollen, werden sie sie schwerlich im Bern^
Oberlande aufsuchen dürfen. --

Ein hartes Schicksal ist es, daß den naturverderbenden Fortschritten de
Kultur gerade die Krone der schweizerischen Naturschönheiten, die hochromaN'
lische und zugleich so wunderbar idyllische Landschaft des Merwaldstätterse^
zuerst zum Opfer fallen mußte. Die Rigivahn ist bereits das zweite J"^


Berner Oberlande das sehnsüchtige Verlangen nach kleiner Münze regelmäßig
von dem Angebot einer Gegenleistung — Alpenrosen- und Edelweißsträußchen,
Gesang, Echoerzeugung, Oeffnen der Gatterthüren auf den Weidealpen u. s. to.
— begleitet. Auch der Geduldigste wird Momente haben, wo ihm diese viel¬
gestaltigen Anfechtungen lästig werden; doch fehlt es auch nicht an Bildern,
deren naiver Komik selbst die galligste Natur nicht widerstehen wird. Wer
könnte z. B. ernst bleiben, wenn auf dem AbHange zwischen Wengernalp und
Grindelwald aus einer Hütte urplötzlich zwei ehrwürdige Matronen hervor¬
schießen, sich feierlich in Positur stellen und mit heiseren Contraalt ein Duett
anstimmen! Etwas höher als diese ordinäre Wegelagerung steht die Echo'
industrie mit Alphornklang und Böllerschuß. Sie bringt nicht selten höchst
überraschende Effecte hervor. Aber sie fällt bereits in das Gebiet der Kunst,
die Natur zu unterstützen oder gar zu corrigiren, und diese hat immer ihre
sehr bedenklichen Seiten. Am großartigsten und zugleich am geschmackvollsten
und am discretesten hat man sie am Gießbach angewandt. Die abendliche
Beleuchtung dieses prächtigen Wasserfalls, wie oft man sie auch gesehen habe,
ist und bleibt ein Schauspiel von überwältigender Wirkung. Jene Leute, die
überall kritisiren müssen, sind natürlich mit dem Anathem „Theatereffekt!"
zur Hand. Jawohl, es ist ein Theatereffekt, aber einer, den zu sehen der
Mühe werth ist. Wenn ich daheim es übers Herz bringe, der magischen
Decorationen wegen eine Feerie zu besuchen, weshalb soll ich nicht in der
Schweiz mit noch viel größerem Vergnügen den Anblick einer Scenerie g?"
nießen, deren erhabene Pracht auch nur entfernt wiederzugeben für unsers
Theaterdecorationstechnik denn doch eine Unmöglichkett ist? Wer das Seba^
spiel am Gießbach seinem vollen ästhetischen Werthe nach würdigen will, der
muß das Pendant desselben, die Beleuchtung des unteren Reichenbachfa^
bei Meiringen gesehen haben — eine in jeder Beziehung klägliche Leistung'
Leider ist aber zu befürchten, daß es bei dieser einzigen Nachahmung des
luerativen Geschäfts nicht bleiben wird. Ich wette darauf, wenn einmal die
projectirten Gebirgsbahnen des Oberlandes vollendet sind, so wird den Gäste"
der Wengernalp mit der Zeit noch die Illumination der Jungfrau ZU^
Dessert servirt werden. In der That, wer kann sagen, was vor der indU'
strickten Speculation der Berner noch sicher ist? Traurige Perspective! Wen"
unsere Enkel einmal der alten Mutter Natur ungehindert in das ehrliche
ewig jugendschöne Gesicht schauen wollen, werden sie sie schwerlich im Bern^
Oberlande aufsuchen dürfen. —

Ein hartes Schicksal ist es, daß den naturverderbenden Fortschritten de
Kultur gerade die Krone der schweizerischen Naturschönheiten, die hochromaN'
lische und zugleich so wunderbar idyllische Landschaft des Merwaldstätterse^
zuerst zum Opfer fallen mußte. Die Rigivahn ist bereits das zweite J«^


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[0160] Berner Oberlande das sehnsüchtige Verlangen nach kleiner Münze regelmäßig von dem Angebot einer Gegenleistung — Alpenrosen- und Edelweißsträußchen, Gesang, Echoerzeugung, Oeffnen der Gatterthüren auf den Weidealpen u. s. to. — begleitet. Auch der Geduldigste wird Momente haben, wo ihm diese viel¬ gestaltigen Anfechtungen lästig werden; doch fehlt es auch nicht an Bildern, deren naiver Komik selbst die galligste Natur nicht widerstehen wird. Wer könnte z. B. ernst bleiben, wenn auf dem AbHange zwischen Wengernalp und Grindelwald aus einer Hütte urplötzlich zwei ehrwürdige Matronen hervor¬ schießen, sich feierlich in Positur stellen und mit heiseren Contraalt ein Duett anstimmen! Etwas höher als diese ordinäre Wegelagerung steht die Echo' industrie mit Alphornklang und Böllerschuß. Sie bringt nicht selten höchst überraschende Effecte hervor. Aber sie fällt bereits in das Gebiet der Kunst, die Natur zu unterstützen oder gar zu corrigiren, und diese hat immer ihre sehr bedenklichen Seiten. Am großartigsten und zugleich am geschmackvollsten und am discretesten hat man sie am Gießbach angewandt. Die abendliche Beleuchtung dieses prächtigen Wasserfalls, wie oft man sie auch gesehen habe, ist und bleibt ein Schauspiel von überwältigender Wirkung. Jene Leute, die überall kritisiren müssen, sind natürlich mit dem Anathem „Theatereffekt!" zur Hand. Jawohl, es ist ein Theatereffekt, aber einer, den zu sehen der Mühe werth ist. Wenn ich daheim es übers Herz bringe, der magischen Decorationen wegen eine Feerie zu besuchen, weshalb soll ich nicht in der Schweiz mit noch viel größerem Vergnügen den Anblick einer Scenerie g?" nießen, deren erhabene Pracht auch nur entfernt wiederzugeben für unsers Theaterdecorationstechnik denn doch eine Unmöglichkett ist? Wer das Seba^ spiel am Gießbach seinem vollen ästhetischen Werthe nach würdigen will, der muß das Pendant desselben, die Beleuchtung des unteren Reichenbachfa^ bei Meiringen gesehen haben — eine in jeder Beziehung klägliche Leistung' Leider ist aber zu befürchten, daß es bei dieser einzigen Nachahmung des luerativen Geschäfts nicht bleiben wird. Ich wette darauf, wenn einmal die projectirten Gebirgsbahnen des Oberlandes vollendet sind, so wird den Gäste" der Wengernalp mit der Zeit noch die Illumination der Jungfrau ZU^ Dessert servirt werden. In der That, wer kann sagen, was vor der indU' strickten Speculation der Berner noch sicher ist? Traurige Perspective! Wen" unsere Enkel einmal der alten Mutter Natur ungehindert in das ehrliche ewig jugendschöne Gesicht schauen wollen, werden sie sie schwerlich im Bern^ Oberlande aufsuchen dürfen. — Ein hartes Schicksal ist es, daß den naturverderbenden Fortschritten de Kultur gerade die Krone der schweizerischen Naturschönheiten, die hochromaN' lische und zugleich so wunderbar idyllische Landschaft des Merwaldstätterse^ zuerst zum Opfer fallen mußte. Die Rigivahn ist bereits das zweite J«^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/160>, abgerufen am 27.07.2024.