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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Bekanntschaft aber, welche die Eidgenossen im Februar 1871 mit den Gambetta-
Bourbakischen Legionen machen mußten, hat ihre Schwärmerei für die "Hüter
der europäischen Civilisation" empfindlich abgekühlt und man braucht, we¬
nigstens in der deutschen Schweiz, nicht mehr zu befürchten, daß der Franzose
als der Privilegirte der Schöpfung betrachtet werde. Es gibt nur noch eine
Nation, für welche das freie Volk der Berge eine ausgeprägte Vorliebe hegt
-- der englische Geldbeutel. Schade nur, daß die Franzosen, seitdem die
Schweiz Sonne und Wind zwischen ihnen und uns gleich getheilt hat, die
Begegnung mit uns wie die Sünde hassen. Truge mich mein Urtheil nicht,
so hat der Besuch der Schweiz von Frankreich aus seit dem Kriege auffallend
nachgelassen. Die zahlreichen französischredenden Touristen, denen man auch
jetzt noch begegnet, sind, wenn man näher zusieht, meist Schweizer; trifft man
einmal auf echte Franzosen, so kann man sicher sein, daß sie, sobald sie über
das Nationale des deutschen Wanderers im Klaren sind, Absperrungsma߬
regeln treffen, als ob die schwarze Pest im Anrücken wäre. Recht traurig in
der That, daß Galliens anmuthige Töchter "aus patriotischen Rücksichten"
auch in der freien Schweiz das Ammenmärchen vom deutschen Barbarenthuw
nicht vergessen dürfen! Zu einigem Trost mag uns gereichen, daß uns doch
noch reichlich Gelegenheit bleibt, aus der Neutralität des helvetischen Bodens
Nutzen zu ziehen. Haben wir Deutsche doch -- Gott sei's geklagt! -- selbst
bald nöthig, ins Ausland zu gehen, um uns als Söhne einer Mutter
wiederzuerkennen!

Es war am 2. September. Strahlend lachte die Sonne vom wolken¬
losen Himmel und in majestätischer Pracht erglänzte die Bergriesin des Ober¬
landes, als wir uns zur Fahrt von Bern nach Jnterlaken anschickten. Und
welcher Zauber erst lag über dem Thuner See. Uns war, als hätte selbst
die alte Erde ihr Feierkleid angelegt, den deutschen Siegestag mitzufeiern und
urfröhlichen Sinnes tranken wir das Wohl des Vaterlandes, derweil uns
der Dampfer durch die tiefblaue Fluth dahintrug. Nur ein dunkler Punkt
mischte sich in dies Meer von Lust und Freude. Auf dem Schiffe befanden
sich zwei katholische Geistliche, ältere Herren, der Mundart nach Deutsche-
Wie hätten wir, mein süddeutscher Freund und ich, beide "Kulturkämpfe^
vom reinsten Wasser, er mit der Schneide des Gesetzes, ich mit der Feder
wie hätten wir, eben erst dem wüsten Schlachtgetümmel entronnen, die
schrillen Töne des großen Rufers im Streit, des grimmen Ketteler, noch lo
Ohr, die ehrwürdigen Priester anders als "mit gemischten Gefühlen" betrachte"
können? Wir kommen nach Jnterlaken. Im Omnibus des "Schweizerhofts"
sperrte uns der Zufall mit den beiden Geistlichen zusammen, bei Tisch machte
er uns zu ihren Nachbarn. Das Wetter war es an diesem Tage zehnfach
werth, die Unterhaltung zu eröffnen; sie fing denn auch richtig alsbald damit


Bekanntschaft aber, welche die Eidgenossen im Februar 1871 mit den Gambetta-
Bourbakischen Legionen machen mußten, hat ihre Schwärmerei für die „Hüter
der europäischen Civilisation" empfindlich abgekühlt und man braucht, we¬
nigstens in der deutschen Schweiz, nicht mehr zu befürchten, daß der Franzose
als der Privilegirte der Schöpfung betrachtet werde. Es gibt nur noch eine
Nation, für welche das freie Volk der Berge eine ausgeprägte Vorliebe hegt
— der englische Geldbeutel. Schade nur, daß die Franzosen, seitdem die
Schweiz Sonne und Wind zwischen ihnen und uns gleich getheilt hat, die
Begegnung mit uns wie die Sünde hassen. Truge mich mein Urtheil nicht,
so hat der Besuch der Schweiz von Frankreich aus seit dem Kriege auffallend
nachgelassen. Die zahlreichen französischredenden Touristen, denen man auch
jetzt noch begegnet, sind, wenn man näher zusieht, meist Schweizer; trifft man
einmal auf echte Franzosen, so kann man sicher sein, daß sie, sobald sie über
das Nationale des deutschen Wanderers im Klaren sind, Absperrungsma߬
regeln treffen, als ob die schwarze Pest im Anrücken wäre. Recht traurig in
der That, daß Galliens anmuthige Töchter „aus patriotischen Rücksichten"
auch in der freien Schweiz das Ammenmärchen vom deutschen Barbarenthuw
nicht vergessen dürfen! Zu einigem Trost mag uns gereichen, daß uns doch
noch reichlich Gelegenheit bleibt, aus der Neutralität des helvetischen Bodens
Nutzen zu ziehen. Haben wir Deutsche doch — Gott sei's geklagt! — selbst
bald nöthig, ins Ausland zu gehen, um uns als Söhne einer Mutter
wiederzuerkennen!

Es war am 2. September. Strahlend lachte die Sonne vom wolken¬
losen Himmel und in majestätischer Pracht erglänzte die Bergriesin des Ober¬
landes, als wir uns zur Fahrt von Bern nach Jnterlaken anschickten. Und
welcher Zauber erst lag über dem Thuner See. Uns war, als hätte selbst
die alte Erde ihr Feierkleid angelegt, den deutschen Siegestag mitzufeiern und
urfröhlichen Sinnes tranken wir das Wohl des Vaterlandes, derweil uns
der Dampfer durch die tiefblaue Fluth dahintrug. Nur ein dunkler Punkt
mischte sich in dies Meer von Lust und Freude. Auf dem Schiffe befanden
sich zwei katholische Geistliche, ältere Herren, der Mundart nach Deutsche-
Wie hätten wir, mein süddeutscher Freund und ich, beide „Kulturkämpfe^
vom reinsten Wasser, er mit der Schneide des Gesetzes, ich mit der Feder
wie hätten wir, eben erst dem wüsten Schlachtgetümmel entronnen, die
schrillen Töne des großen Rufers im Streit, des grimmen Ketteler, noch lo
Ohr, die ehrwürdigen Priester anders als „mit gemischten Gefühlen" betrachte"
können? Wir kommen nach Jnterlaken. Im Omnibus des „Schweizerhofts"
sperrte uns der Zufall mit den beiden Geistlichen zusammen, bei Tisch machte
er uns zu ihren Nachbarn. Das Wetter war es an diesem Tage zehnfach
werth, die Unterhaltung zu eröffnen; sie fing denn auch richtig alsbald damit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/158>, abgerufen am 27.07.2024.