Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

hat, hat die Schweiz vor uns besessen. Vor Allem aber im Eisenbahnwesen
herrscht eine Zweckmäßigkeit und ein Entgegenkommen gegen die Wünsche und
Bedürfnisse des Publikums, welches wir in Deutschland größtentheils noch
schmerzlich vermissen. "Ja", wendet man ein, "die Schweiz muß eben von
den Fremden leben." Als ob unsere Eisenbahnen nicht auch von dem reisen¬
den Publikum ihre Existenz fristen müßten! Oder dürfen wir an die Coulanz
deutscher Bahnen nur deshalb nicht so hohe Anforderungen stellen, weil wir
Deutsche und nicht "Fremde" sind? Noch mehr aber, als unsere Eisenbahn-
Verwaltungen dürfen sich unsere Gasthofbesitzer ihre schweizer College" zum
Muster nehmen. Man kann heutzutage dreist behaupten, daß die Schweiz
die besten Hotels der Welt besitzt. Ich habe dabei nicht einmal jene fürstlich
eingerichteten Paläste von Jnterlaken, Genf, Luzern u. s. w. im Auge; nein
auch die bescheidenen, theils nur mit Bretterwänden versehenen Häuser tief in
den Thälern oder auf sechstausend Fuß hoher Alp sind vortrefflich. Ich habe
nie ein zweckmäßiger eingerichtetes Gasthaus, eine exactere und freundlichere
Bedienung, schmackhaftere Speisen und verhältnißmäßig wohlfeilere Preise ge¬
funden, als weit hinten im Madaranerthal, dicht vor dem ewigen Eise des
Hüfigletschers, mit dem vier Stunden entfernten Flecken Amsteg nur durch
einen schlechten Saumpfad verbunden. Auch hier freilich wendet man ein, daß
die Vortrefflichkeit der Gasthöfe ja doch nur eine selbstverständliche Folge des
großen Fremdenandrangs sei. Nun, es giebt Gegenden im Schwarzwalde, in
Kelchen der Fremdenandrang schon seit Jahren ebenso groß, im letzten Sommer
^gar größer war; trotzdem dürfen die Schwarzwälder Wirthe getrost glauben,
daß sie mit ihren Hotels hinter den schweizerischen noch weit zurückstehen,
während von ihren Rechnungen, namentlich wenn man die ungleich schwieri¬
geren Verhältnisse, mit denen die Schweizer zu kämpfen haben, in Anschlag
b^ngt. sich ein Gleiches leider nicht sagen läßt. Hoffen wir, daß dieser Un¬
terschied zu Nutz und Frommen der reisenden Menschheit recht bald gehoben
wird. Einstweilen aber darf den schweizer Wirthen nicht bestritten werden,
daß sie. wenn auch schwerlich aus idealer Nächstenliebe, emsiger als alle
äderen darauf bedacht sind, den Fremden den Aufenthalt angenehm zu
Machen. --

So haben die Natur und die Menschen ihr Möglichstes gethan, der
Schweiz eine ganz aparte Anziehungskraft zu verleihen. Und das gesittete
Europa erweist sich nicht spröde gegen dieselbe. Wohl auf keinem Fleck der
Erde begegnen sich die Angehörigen der verschiedensten Nationen in solcher
Nasse, wie in der Schweiz. Und die politische Neutralität des Landes be-
wirkt, daß man sich leichter mit einander verträgt. Im Jahre 1870 haben
allerdings viele Deutsche über diese Neutralität, wenigstens über die neutrale
Besinnung der Schweizer ihre eigenen Gedanken gehabt. Die unerwartete


Mrmzboten IV. 1"7">. 20

hat, hat die Schweiz vor uns besessen. Vor Allem aber im Eisenbahnwesen
herrscht eine Zweckmäßigkeit und ein Entgegenkommen gegen die Wünsche und
Bedürfnisse des Publikums, welches wir in Deutschland größtentheils noch
schmerzlich vermissen. „Ja", wendet man ein, „die Schweiz muß eben von
den Fremden leben." Als ob unsere Eisenbahnen nicht auch von dem reisen¬
den Publikum ihre Existenz fristen müßten! Oder dürfen wir an die Coulanz
deutscher Bahnen nur deshalb nicht so hohe Anforderungen stellen, weil wir
Deutsche und nicht „Fremde" sind? Noch mehr aber, als unsere Eisenbahn-
Verwaltungen dürfen sich unsere Gasthofbesitzer ihre schweizer College» zum
Muster nehmen. Man kann heutzutage dreist behaupten, daß die Schweiz
die besten Hotels der Welt besitzt. Ich habe dabei nicht einmal jene fürstlich
eingerichteten Paläste von Jnterlaken, Genf, Luzern u. s. w. im Auge; nein
auch die bescheidenen, theils nur mit Bretterwänden versehenen Häuser tief in
den Thälern oder auf sechstausend Fuß hoher Alp sind vortrefflich. Ich habe
nie ein zweckmäßiger eingerichtetes Gasthaus, eine exactere und freundlichere
Bedienung, schmackhaftere Speisen und verhältnißmäßig wohlfeilere Preise ge¬
funden, als weit hinten im Madaranerthal, dicht vor dem ewigen Eise des
Hüfigletschers, mit dem vier Stunden entfernten Flecken Amsteg nur durch
einen schlechten Saumpfad verbunden. Auch hier freilich wendet man ein, daß
die Vortrefflichkeit der Gasthöfe ja doch nur eine selbstverständliche Folge des
großen Fremdenandrangs sei. Nun, es giebt Gegenden im Schwarzwalde, in
Kelchen der Fremdenandrang schon seit Jahren ebenso groß, im letzten Sommer
^gar größer war; trotzdem dürfen die Schwarzwälder Wirthe getrost glauben,
daß sie mit ihren Hotels hinter den schweizerischen noch weit zurückstehen,
während von ihren Rechnungen, namentlich wenn man die ungleich schwieri¬
geren Verhältnisse, mit denen die Schweizer zu kämpfen haben, in Anschlag
b^ngt. sich ein Gleiches leider nicht sagen läßt. Hoffen wir, daß dieser Un¬
terschied zu Nutz und Frommen der reisenden Menschheit recht bald gehoben
wird. Einstweilen aber darf den schweizer Wirthen nicht bestritten werden,
daß sie. wenn auch schwerlich aus idealer Nächstenliebe, emsiger als alle
äderen darauf bedacht sind, den Fremden den Aufenthalt angenehm zu
Machen. —

So haben die Natur und die Menschen ihr Möglichstes gethan, der
Schweiz eine ganz aparte Anziehungskraft zu verleihen. Und das gesittete
Europa erweist sich nicht spröde gegen dieselbe. Wohl auf keinem Fleck der
Erde begegnen sich die Angehörigen der verschiedensten Nationen in solcher
Nasse, wie in der Schweiz. Und die politische Neutralität des Landes be-
wirkt, daß man sich leichter mit einander verträgt. Im Jahre 1870 haben
allerdings viele Deutsche über diese Neutralität, wenigstens über die neutrale
Besinnung der Schweizer ihre eigenen Gedanken gehabt. Die unerwartete


Mrmzboten IV. 1«7">. 20
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0157" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132379"/>
          <p xml:id="ID_536" prev="#ID_535"> hat, hat die Schweiz vor uns besessen.  Vor Allem aber im Eisenbahnwesen<lb/>
herrscht eine Zweckmäßigkeit und ein Entgegenkommen gegen die Wünsche und<lb/>
Bedürfnisse des Publikums, welches wir in Deutschland größtentheils noch<lb/>
schmerzlich vermissen.  &#x201E;Ja", wendet man ein, &#x201E;die Schweiz muß eben von<lb/>
den Fremden leben." Als ob unsere Eisenbahnen nicht auch von dem reisen¬<lb/>
den Publikum ihre Existenz fristen müßten! Oder dürfen wir an die Coulanz<lb/>
deutscher Bahnen nur deshalb nicht so hohe Anforderungen stellen, weil wir<lb/>
Deutsche und nicht &#x201E;Fremde" sind?  Noch mehr aber, als unsere Eisenbahn-<lb/>
Verwaltungen dürfen sich unsere Gasthofbesitzer ihre schweizer College» zum<lb/>
Muster nehmen.  Man kann heutzutage dreist behaupten, daß die Schweiz<lb/>
die besten Hotels der Welt besitzt. Ich habe dabei nicht einmal jene fürstlich<lb/>
eingerichteten Paläste von Jnterlaken, Genf, Luzern u. s. w. im Auge; nein<lb/>
auch die bescheidenen, theils nur mit Bretterwänden versehenen Häuser tief in<lb/>
den Thälern oder auf sechstausend Fuß hoher Alp sind vortrefflich. Ich habe<lb/>
nie ein zweckmäßiger eingerichtetes Gasthaus, eine exactere und freundlichere<lb/>
Bedienung, schmackhaftere Speisen und verhältnißmäßig wohlfeilere Preise ge¬<lb/>
funden, als weit hinten im Madaranerthal, dicht vor dem ewigen Eise des<lb/>
Hüfigletschers, mit dem vier Stunden entfernten Flecken Amsteg nur durch<lb/>
einen schlechten Saumpfad verbunden. Auch hier freilich wendet man ein, daß<lb/>
die Vortrefflichkeit der Gasthöfe ja doch nur eine selbstverständliche Folge des<lb/>
großen Fremdenandrangs sei. Nun, es giebt Gegenden im Schwarzwalde, in<lb/>
Kelchen der Fremdenandrang schon seit Jahren ebenso groß, im letzten Sommer<lb/>
^gar größer war; trotzdem dürfen die Schwarzwälder Wirthe getrost glauben,<lb/>
daß sie mit ihren Hotels hinter den schweizerischen noch weit zurückstehen,<lb/>
während von ihren Rechnungen, namentlich wenn man die ungleich schwieri¬<lb/>
geren Verhältnisse, mit denen die Schweizer zu kämpfen haben, in Anschlag<lb/>
b^ngt. sich ein Gleiches leider nicht sagen läßt.  Hoffen wir, daß dieser Un¬<lb/>
terschied zu Nutz und Frommen der reisenden Menschheit recht bald gehoben<lb/>
wird.  Einstweilen aber darf den schweizer Wirthen nicht bestritten werden,<lb/>
daß sie. wenn auch schwerlich aus idealer Nächstenliebe, emsiger als alle<lb/>
äderen darauf bedacht sind, den Fremden den Aufenthalt angenehm zu<lb/>
Machen. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_537" next="#ID_538"> So haben die Natur und die Menschen ihr Möglichstes gethan, der<lb/>
Schweiz eine ganz aparte Anziehungskraft zu verleihen. Und das gesittete<lb/>
Europa erweist sich nicht spröde gegen dieselbe. Wohl auf keinem Fleck der<lb/>
Erde begegnen sich die Angehörigen der verschiedensten Nationen in solcher<lb/>
Nasse, wie in der Schweiz. Und die politische Neutralität des Landes be-<lb/>
wirkt, daß man sich leichter mit einander verträgt. Im Jahre 1870 haben<lb/>
allerdings viele Deutsche über diese Neutralität, wenigstens über die neutrale<lb/>
Besinnung der Schweizer ihre eigenen Gedanken gehabt. Die unerwartete</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Mrmzboten IV. 1«7"&gt;. 20</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0157] hat, hat die Schweiz vor uns besessen. Vor Allem aber im Eisenbahnwesen herrscht eine Zweckmäßigkeit und ein Entgegenkommen gegen die Wünsche und Bedürfnisse des Publikums, welches wir in Deutschland größtentheils noch schmerzlich vermissen. „Ja", wendet man ein, „die Schweiz muß eben von den Fremden leben." Als ob unsere Eisenbahnen nicht auch von dem reisen¬ den Publikum ihre Existenz fristen müßten! Oder dürfen wir an die Coulanz deutscher Bahnen nur deshalb nicht so hohe Anforderungen stellen, weil wir Deutsche und nicht „Fremde" sind? Noch mehr aber, als unsere Eisenbahn- Verwaltungen dürfen sich unsere Gasthofbesitzer ihre schweizer College» zum Muster nehmen. Man kann heutzutage dreist behaupten, daß die Schweiz die besten Hotels der Welt besitzt. Ich habe dabei nicht einmal jene fürstlich eingerichteten Paläste von Jnterlaken, Genf, Luzern u. s. w. im Auge; nein auch die bescheidenen, theils nur mit Bretterwänden versehenen Häuser tief in den Thälern oder auf sechstausend Fuß hoher Alp sind vortrefflich. Ich habe nie ein zweckmäßiger eingerichtetes Gasthaus, eine exactere und freundlichere Bedienung, schmackhaftere Speisen und verhältnißmäßig wohlfeilere Preise ge¬ funden, als weit hinten im Madaranerthal, dicht vor dem ewigen Eise des Hüfigletschers, mit dem vier Stunden entfernten Flecken Amsteg nur durch einen schlechten Saumpfad verbunden. Auch hier freilich wendet man ein, daß die Vortrefflichkeit der Gasthöfe ja doch nur eine selbstverständliche Folge des großen Fremdenandrangs sei. Nun, es giebt Gegenden im Schwarzwalde, in Kelchen der Fremdenandrang schon seit Jahren ebenso groß, im letzten Sommer ^gar größer war; trotzdem dürfen die Schwarzwälder Wirthe getrost glauben, daß sie mit ihren Hotels hinter den schweizerischen noch weit zurückstehen, während von ihren Rechnungen, namentlich wenn man die ungleich schwieri¬ geren Verhältnisse, mit denen die Schweizer zu kämpfen haben, in Anschlag b^ngt. sich ein Gleiches leider nicht sagen läßt. Hoffen wir, daß dieser Un¬ terschied zu Nutz und Frommen der reisenden Menschheit recht bald gehoben wird. Einstweilen aber darf den schweizer Wirthen nicht bestritten werden, daß sie. wenn auch schwerlich aus idealer Nächstenliebe, emsiger als alle äderen darauf bedacht sind, den Fremden den Aufenthalt angenehm zu Machen. — So haben die Natur und die Menschen ihr Möglichstes gethan, der Schweiz eine ganz aparte Anziehungskraft zu verleihen. Und das gesittete Europa erweist sich nicht spröde gegen dieselbe. Wohl auf keinem Fleck der Erde begegnen sich die Angehörigen der verschiedensten Nationen in solcher Nasse, wie in der Schweiz. Und die politische Neutralität des Landes be- wirkt, daß man sich leichter mit einander verträgt. Im Jahre 1870 haben allerdings viele Deutsche über diese Neutralität, wenigstens über die neutrale Besinnung der Schweizer ihre eigenen Gedanken gehabt. Die unerwartete Mrmzboten IV. 1«7">. 20

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/157
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/157>, abgerufen am 27.07.2024.