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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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das Meer werfen konnte, überzeugte ihn, daß neue Prüfungen seiner warteten.
Widrige Winde hatten es den Schiffen unmöglich gemacht, von Mgo, wo sie
gelegen, nach Coruna zu segeln. Als seine Truppen, die er nur mit der
äußersten Anstrengung durch die Aussicht auf die rettende Flotte vorwärts
getrieben hatte, sich am Meere so hilflos sahen wie im Lande, ja hilfloser,
Weil jetzt das Meer sie hemmte und die Macht der Franzosen die Möglichkeit
gab, sie zu erdrücken, erlagen sie vollständiger Muthlosigkeit. Sogar einige
Generale drangen in Moore, mit dem Feinde zu verhandeln, der am 12. und
13. Januar Zeit hatte, seine Kräfte zum Angriff zu sammeln. Moore blieb
unerschütterlich. Zu seinem Glücke war Soult jetzt so unentschlossen und be¬
denklich wie vor Lugo. Er ließ den 14. und 15. ungenützt verstreichen, und
am 14. erschienen die ersten Segel der englischen Flotte. Am Is. konnte
Moore die Einschiffung seiner Geschütze und Pferde beginnen. Jetzt aber war
die Ungeduld der Franzosen nicht mehr zu halten, die sich einen gehaßten
Feind in dem Augenblicke entschlüpfen sahen, wo sie ihn endlich gepackt zu
haben meinten. Am 16. befahl Soult den Angriff. Moore begegnete ihm
wie herrlicher Bravour: er selber führte seine Leute an dem zumeist bedrohten
Punkte und schlug den Sturm des überlegenen Feindes blutig zurück, der
auch jetzt nicht mit der nachhaltigen Energie geführt wurde, wie sie sonst
französischen Marschällen eigen gewesen war. Moore krönte an diesem Tage
das Werk, dessen erdrückende Last er seit drei Monaten mit wahrer Seelen¬
größe getragen hatte; sein Heldenmuth sicherte die Einschiffung der Armee bis
auf den letzten Kranken. Doch erleben sollte er diesen Triumph nicht. Un¬
mittelbar nachdem es ihm gelungen, das entscheidende Manoeuvre beim Dorfe
Elvira auszuführen, traf ihn eine Kanonenkugel und zerschmetterte ihm die
Schulter; nach wenigen Stunden verschied er. "Ich hoffe, das Volk von Eng¬
land wird zufrieden mir mir sein" -- war sein letztes Wort.

"So endete" -- sagt Baumgarten*) -- "ein Mann von fast antiker
Harmonie der Geistes- und Gemüthsbildung, so liebenswürdig, edel, wahr und
selbstlos, daß man den Menschen noch höher in ihm schätzen muß als den
Feldherrn. Keiner der Engländer, die in diesem spanischen Kampfe in leitender
Stellung mitwirkten, hatte von der Anarchie und den bösen Zügen und Zu¬
ständen des unglücklichen Volkes grausamer zu leiden, als Sir John Moore,
und eben er war von allen seinen Landsleuten, so viel ich weiß, der einzige,
der sich bis zuletzt ein ungetrübtes Urtheil über die Natur dieses Volkes be¬
wahrte, den Glauben an seine Tüchtigkeit festhielt, unbeirrt durch die häßlichen
Gewohnheiten, welche unter einer mehrhundertjährigen Mißregierung waren
großgezogen worden. Diese freundliche, wahrhaft humane Art lohnten ihm



-) A. a, O. I, S. 334.

das Meer werfen konnte, überzeugte ihn, daß neue Prüfungen seiner warteten.
Widrige Winde hatten es den Schiffen unmöglich gemacht, von Mgo, wo sie
gelegen, nach Coruna zu segeln. Als seine Truppen, die er nur mit der
äußersten Anstrengung durch die Aussicht auf die rettende Flotte vorwärts
getrieben hatte, sich am Meere so hilflos sahen wie im Lande, ja hilfloser,
Weil jetzt das Meer sie hemmte und die Macht der Franzosen die Möglichkeit
gab, sie zu erdrücken, erlagen sie vollständiger Muthlosigkeit. Sogar einige
Generale drangen in Moore, mit dem Feinde zu verhandeln, der am 12. und
13. Januar Zeit hatte, seine Kräfte zum Angriff zu sammeln. Moore blieb
unerschütterlich. Zu seinem Glücke war Soult jetzt so unentschlossen und be¬
denklich wie vor Lugo. Er ließ den 14. und 15. ungenützt verstreichen, und
am 14. erschienen die ersten Segel der englischen Flotte. Am Is. konnte
Moore die Einschiffung seiner Geschütze und Pferde beginnen. Jetzt aber war
die Ungeduld der Franzosen nicht mehr zu halten, die sich einen gehaßten
Feind in dem Augenblicke entschlüpfen sahen, wo sie ihn endlich gepackt zu
haben meinten. Am 16. befahl Soult den Angriff. Moore begegnete ihm
wie herrlicher Bravour: er selber führte seine Leute an dem zumeist bedrohten
Punkte und schlug den Sturm des überlegenen Feindes blutig zurück, der
auch jetzt nicht mit der nachhaltigen Energie geführt wurde, wie sie sonst
französischen Marschällen eigen gewesen war. Moore krönte an diesem Tage
das Werk, dessen erdrückende Last er seit drei Monaten mit wahrer Seelen¬
größe getragen hatte; sein Heldenmuth sicherte die Einschiffung der Armee bis
auf den letzten Kranken. Doch erleben sollte er diesen Triumph nicht. Un¬
mittelbar nachdem es ihm gelungen, das entscheidende Manoeuvre beim Dorfe
Elvira auszuführen, traf ihn eine Kanonenkugel und zerschmetterte ihm die
Schulter; nach wenigen Stunden verschied er. „Ich hoffe, das Volk von Eng¬
land wird zufrieden mir mir sein" — war sein letztes Wort.

„So endete" — sagt Baumgarten*) — „ein Mann von fast antiker
Harmonie der Geistes- und Gemüthsbildung, so liebenswürdig, edel, wahr und
selbstlos, daß man den Menschen noch höher in ihm schätzen muß als den
Feldherrn. Keiner der Engländer, die in diesem spanischen Kampfe in leitender
Stellung mitwirkten, hatte von der Anarchie und den bösen Zügen und Zu¬
ständen des unglücklichen Volkes grausamer zu leiden, als Sir John Moore,
und eben er war von allen seinen Landsleuten, so viel ich weiß, der einzige,
der sich bis zuletzt ein ungetrübtes Urtheil über die Natur dieses Volkes be¬
wahrte, den Glauben an seine Tüchtigkeit festhielt, unbeirrt durch die häßlichen
Gewohnheiten, welche unter einer mehrhundertjährigen Mißregierung waren
großgezogen worden. Diese freundliche, wahrhaft humane Art lohnten ihm



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[0137] das Meer werfen konnte, überzeugte ihn, daß neue Prüfungen seiner warteten. Widrige Winde hatten es den Schiffen unmöglich gemacht, von Mgo, wo sie gelegen, nach Coruna zu segeln. Als seine Truppen, die er nur mit der äußersten Anstrengung durch die Aussicht auf die rettende Flotte vorwärts getrieben hatte, sich am Meere so hilflos sahen wie im Lande, ja hilfloser, Weil jetzt das Meer sie hemmte und die Macht der Franzosen die Möglichkeit gab, sie zu erdrücken, erlagen sie vollständiger Muthlosigkeit. Sogar einige Generale drangen in Moore, mit dem Feinde zu verhandeln, der am 12. und 13. Januar Zeit hatte, seine Kräfte zum Angriff zu sammeln. Moore blieb unerschütterlich. Zu seinem Glücke war Soult jetzt so unentschlossen und be¬ denklich wie vor Lugo. Er ließ den 14. und 15. ungenützt verstreichen, und am 14. erschienen die ersten Segel der englischen Flotte. Am Is. konnte Moore die Einschiffung seiner Geschütze und Pferde beginnen. Jetzt aber war die Ungeduld der Franzosen nicht mehr zu halten, die sich einen gehaßten Feind in dem Augenblicke entschlüpfen sahen, wo sie ihn endlich gepackt zu haben meinten. Am 16. befahl Soult den Angriff. Moore begegnete ihm wie herrlicher Bravour: er selber führte seine Leute an dem zumeist bedrohten Punkte und schlug den Sturm des überlegenen Feindes blutig zurück, der auch jetzt nicht mit der nachhaltigen Energie geführt wurde, wie sie sonst französischen Marschällen eigen gewesen war. Moore krönte an diesem Tage das Werk, dessen erdrückende Last er seit drei Monaten mit wahrer Seelen¬ größe getragen hatte; sein Heldenmuth sicherte die Einschiffung der Armee bis auf den letzten Kranken. Doch erleben sollte er diesen Triumph nicht. Un¬ mittelbar nachdem es ihm gelungen, das entscheidende Manoeuvre beim Dorfe Elvira auszuführen, traf ihn eine Kanonenkugel und zerschmetterte ihm die Schulter; nach wenigen Stunden verschied er. „Ich hoffe, das Volk von Eng¬ land wird zufrieden mir mir sein" — war sein letztes Wort. „So endete" — sagt Baumgarten*) — „ein Mann von fast antiker Harmonie der Geistes- und Gemüthsbildung, so liebenswürdig, edel, wahr und selbstlos, daß man den Menschen noch höher in ihm schätzen muß als den Feldherrn. Keiner der Engländer, die in diesem spanischen Kampfe in leitender Stellung mitwirkten, hatte von der Anarchie und den bösen Zügen und Zu¬ ständen des unglücklichen Volkes grausamer zu leiden, als Sir John Moore, und eben er war von allen seinen Landsleuten, so viel ich weiß, der einzige, der sich bis zuletzt ein ungetrübtes Urtheil über die Natur dieses Volkes be¬ wahrte, den Glauben an seine Tüchtigkeit festhielt, unbeirrt durch die häßlichen Gewohnheiten, welche unter einer mehrhundertjährigen Mißregierung waren großgezogen worden. Diese freundliche, wahrhaft humane Art lohnten ihm -) A. a, O. I, S. 334.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/137>, abgerufen am 29.12.2024.