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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Deutschen Reichsstrafgesetzbuchs. Nach einigen ziemlich consequent in gut¬
unterrichteten Preßorganen auftretenden Nachrichten soll dem Grafen außer
diesen Bergehen auch das Verbrechen des Verrathes von Staatsgeheimnissen
Zum Nachtheile des deutschen Reiches zur Last fallen (§ 92 des Deutschen
Reichsstrafgesetzbuchs). Dieses Verbrechen unterscheidet sich von anderen sog.
politischen Bergehen dadurch, daß das Gesetz die Strafe auf Zuchthaus nicht
unter zwei Jahren normirt, und Festungshaft nur bei Annahme mildernder
Umstände zuläßt, d. h. mit anderen Worten, bis zum Beweise des Gegen¬
theils annimmt, daß die verbrecherische Handlung "aus einer ehrlosen Ge¬
sinnung entsprungen" sei (K 20.). --

Wir wollen freudig ausathmen, wenn am Ende der begonnenen Woche
nur die erste der beiden Anklagen Bestätigung findet, und der Angeklagte,
so lange einen der höchsten Vertrauensposten des Reiches inne hatte,
nicht eines Verbrechens verdächtig erscheint, welches das deutsche Strafgesetz
Aaas der Höhe des Mindeststrafmaßes unter die schwersten und gemeinsten
Verbrechen zählt. Aber im Grunde ändert das leider an der Ungeheuerlich¬
st und dem skandalösen Charakter des Falles nur wenig. Man wird
Gottlob lange suchen müssen, bevor man im Preußischen Beamtenthum einen
Diplomaten der höchsten Rangstufe findet, welcher unter der nämlichen An¬
lage stand, wie heute der Graf Harry von Arnim. Und der vorliegende
Takt ist sicherlich der denkbar häßlichste.

Denn vor Allem -- so selbstverständlich auch wir mit dem Urtheil über
Schuld oder Nichtschuld und das Maß der Verschuldung zurückhalten, bis der
dichter seinen Spruch gefällt hat -- ist es kaum mehr zweifelhaft, daß der
Angeschuldigte den Thatbestand der Entfremdung von Ackerstücken aus den
Archiven und Actenbeständen der Botschaft des deutschen Reiches in Paris
^bst unumwunden eingesteht. Die Manöver seiner ungeschickten Freunde aus
Kreuzzeitungslager, seine Weigerung der Herausgabe dieser Actenstücke bald
als civilrechtliches Retentionsrecht, bald als berechtigte Zurückhaltung von
^rivatbriefen des Kanzlers an Arnim darzustellen, können bei keinem Un¬
parteiischen mehr verfangen, seitdem man weiß, daß das Auswärtige Amt
bon der Reelamirung der civilrechtlichen Correspondenz ganz abgesehen hat,
Und die angeblichen Privatbriefe des Kanzlers an den vormaligen Botschafter
deutschen Reiches fortlaufende Registrandennummern tragen und in den
Etlichen Documenten des Auswärtigen Amtes gebucht sind. Damit steht
^ Einklang, daß die Haft des Grafen keineswegs den Zweck verfolgt, etwaige
Fluchtversuche oder die Verdunkelung des Thatbestandes zu verhindern, sondern
^ Herausgabe jener Staatsschriften zu erzwingen, deren Besitz der Graf
träumt, und deren Herausgabe an seine vorgesetzte Behörde er trotzdem ver-
^gerd, bis ein Richterspruch ihn dazu zwingen werde. Es ist auch geringe


Deutschen Reichsstrafgesetzbuchs. Nach einigen ziemlich consequent in gut¬
unterrichteten Preßorganen auftretenden Nachrichten soll dem Grafen außer
diesen Bergehen auch das Verbrechen des Verrathes von Staatsgeheimnissen
Zum Nachtheile des deutschen Reiches zur Last fallen (§ 92 des Deutschen
Reichsstrafgesetzbuchs). Dieses Verbrechen unterscheidet sich von anderen sog.
politischen Bergehen dadurch, daß das Gesetz die Strafe auf Zuchthaus nicht
unter zwei Jahren normirt, und Festungshaft nur bei Annahme mildernder
Umstände zuläßt, d. h. mit anderen Worten, bis zum Beweise des Gegen¬
theils annimmt, daß die verbrecherische Handlung „aus einer ehrlosen Ge¬
sinnung entsprungen" sei (K 20.). —

Wir wollen freudig ausathmen, wenn am Ende der begonnenen Woche
nur die erste der beiden Anklagen Bestätigung findet, und der Angeklagte,
so lange einen der höchsten Vertrauensposten des Reiches inne hatte,
nicht eines Verbrechens verdächtig erscheint, welches das deutsche Strafgesetz
Aaas der Höhe des Mindeststrafmaßes unter die schwersten und gemeinsten
Verbrechen zählt. Aber im Grunde ändert das leider an der Ungeheuerlich¬
st und dem skandalösen Charakter des Falles nur wenig. Man wird
Gottlob lange suchen müssen, bevor man im Preußischen Beamtenthum einen
Diplomaten der höchsten Rangstufe findet, welcher unter der nämlichen An¬
lage stand, wie heute der Graf Harry von Arnim. Und der vorliegende
Takt ist sicherlich der denkbar häßlichste.

Denn vor Allem — so selbstverständlich auch wir mit dem Urtheil über
Schuld oder Nichtschuld und das Maß der Verschuldung zurückhalten, bis der
dichter seinen Spruch gefällt hat — ist es kaum mehr zweifelhaft, daß der
Angeschuldigte den Thatbestand der Entfremdung von Ackerstücken aus den
Archiven und Actenbeständen der Botschaft des deutschen Reiches in Paris
^bst unumwunden eingesteht. Die Manöver seiner ungeschickten Freunde aus
Kreuzzeitungslager, seine Weigerung der Herausgabe dieser Actenstücke bald
als civilrechtliches Retentionsrecht, bald als berechtigte Zurückhaltung von
^rivatbriefen des Kanzlers an Arnim darzustellen, können bei keinem Un¬
parteiischen mehr verfangen, seitdem man weiß, daß das Auswärtige Amt
bon der Reelamirung der civilrechtlichen Correspondenz ganz abgesehen hat,
Und die angeblichen Privatbriefe des Kanzlers an den vormaligen Botschafter
deutschen Reiches fortlaufende Registrandennummern tragen und in den
Etlichen Documenten des Auswärtigen Amtes gebucht sind. Damit steht
^ Einklang, daß die Haft des Grafen keineswegs den Zweck verfolgt, etwaige
Fluchtversuche oder die Verdunkelung des Thatbestandes zu verhindern, sondern
^ Herausgabe jener Staatsschriften zu erzwingen, deren Besitz der Graf
träumt, und deren Herausgabe an seine vorgesetzte Behörde er trotzdem ver-
^gerd, bis ein Richterspruch ihn dazu zwingen werde. Es ist auch geringe


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[0123] Deutschen Reichsstrafgesetzbuchs. Nach einigen ziemlich consequent in gut¬ unterrichteten Preßorganen auftretenden Nachrichten soll dem Grafen außer diesen Bergehen auch das Verbrechen des Verrathes von Staatsgeheimnissen Zum Nachtheile des deutschen Reiches zur Last fallen (§ 92 des Deutschen Reichsstrafgesetzbuchs). Dieses Verbrechen unterscheidet sich von anderen sog. politischen Bergehen dadurch, daß das Gesetz die Strafe auf Zuchthaus nicht unter zwei Jahren normirt, und Festungshaft nur bei Annahme mildernder Umstände zuläßt, d. h. mit anderen Worten, bis zum Beweise des Gegen¬ theils annimmt, daß die verbrecherische Handlung „aus einer ehrlosen Ge¬ sinnung entsprungen" sei (K 20.). — Wir wollen freudig ausathmen, wenn am Ende der begonnenen Woche nur die erste der beiden Anklagen Bestätigung findet, und der Angeklagte, so lange einen der höchsten Vertrauensposten des Reiches inne hatte, nicht eines Verbrechens verdächtig erscheint, welches das deutsche Strafgesetz Aaas der Höhe des Mindeststrafmaßes unter die schwersten und gemeinsten Verbrechen zählt. Aber im Grunde ändert das leider an der Ungeheuerlich¬ st und dem skandalösen Charakter des Falles nur wenig. Man wird Gottlob lange suchen müssen, bevor man im Preußischen Beamtenthum einen Diplomaten der höchsten Rangstufe findet, welcher unter der nämlichen An¬ lage stand, wie heute der Graf Harry von Arnim. Und der vorliegende Takt ist sicherlich der denkbar häßlichste. Denn vor Allem — so selbstverständlich auch wir mit dem Urtheil über Schuld oder Nichtschuld und das Maß der Verschuldung zurückhalten, bis der dichter seinen Spruch gefällt hat — ist es kaum mehr zweifelhaft, daß der Angeschuldigte den Thatbestand der Entfremdung von Ackerstücken aus den Archiven und Actenbeständen der Botschaft des deutschen Reiches in Paris ^bst unumwunden eingesteht. Die Manöver seiner ungeschickten Freunde aus Kreuzzeitungslager, seine Weigerung der Herausgabe dieser Actenstücke bald als civilrechtliches Retentionsrecht, bald als berechtigte Zurückhaltung von ^rivatbriefen des Kanzlers an Arnim darzustellen, können bei keinem Un¬ parteiischen mehr verfangen, seitdem man weiß, daß das Auswärtige Amt bon der Reelamirung der civilrechtlichen Correspondenz ganz abgesehen hat, Und die angeblichen Privatbriefe des Kanzlers an den vormaligen Botschafter deutschen Reiches fortlaufende Registrandennummern tragen und in den Etlichen Documenten des Auswärtigen Amtes gebucht sind. Damit steht ^ Einklang, daß die Haft des Grafen keineswegs den Zweck verfolgt, etwaige Fluchtversuche oder die Verdunkelung des Thatbestandes zu verhindern, sondern ^ Herausgabe jener Staatsschriften zu erzwingen, deren Besitz der Graf träumt, und deren Herausgabe an seine vorgesetzte Behörde er trotzdem ver- ^gerd, bis ein Richterspruch ihn dazu zwingen werde. Es ist auch geringe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/123>, abgerufen am 27.07.2024.