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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Händen und Füßen u. tgi. in. zu sehen bekommen hätten. Mit welchem
Jubel würde nicht jedes neue Abzeichen von der lieben Straßenjugend begrüßt
und durch ein bedeutendes Comitat beehrt worden sein! Um dies große Ver¬
gnügen haben Sie uns durch Ihr Schreiben nicht allein gebracht, sondern
Sie haben uns dadurch zugleich der Gelegenheit beraubt, eine große Zahl der
Leute kennen zu lernen, welche des bunten Rocks wegen Bürgergardisten ge¬
worden sind. Das ist unverantwortlich von Ihnen gehandelt." --

Inzwischen tönte wieder die scheltende Stimme des alten Vicekanzlei-
directors. Er hatte bet der letzten Exercirübung nur noch 20 Mann gezählt.
Es muß danach die Autorität der Hauptleute nicht groß gewesen sein.
Hauptleute existirten nämlich damals wirklich schon; sie waren nach einem
allgemeinen Ausmarsch des gesammten Bürgercorps auf freiem Felde gewählt
worden. Augenzeugen können nicht genug davon erzählen, wie stolz und
martialisch die erwählten Hauptleute (in Ermangelung eines Degens mit dem
Spazierstock über die Schulter), an der Seite ihrer neuen Compagnie in die
Stadt heim marschirten. Das waren die Hauptleute; nun fehlten aber wieder
die Lieutenants und die Unteroffiziere. Neue Klagen in der Zeitung geben
hiervon Zeugniß.

In diesem Wirrwarr setzte die Commission für die Organisirung der
Bürgergarde gemächlich ihren Weg fort. Sie kümmerte sich mehr um die
Uniform als um die Gardisten. Ein Zornausbruch der Zeitung vom 23. April
macht sich in der Anfrage Lust: "Wie lange es wohl noch währt, daß acht,
sage acht Compagnien Bürgergarde sich bei der Nase herumführen lassen?"

Endlich, nach langer Pause, und kurz vor der Auflösung der ganzen
Garde in ein Nichts, fährt neues Leben in die Glieder. Die Commission
ermannt sich. Das Menstreglement wird zur Hand genommen, die zum Dienst
verpflichteten Bürger werden für die Garde ausgehoben, man revidirt die
Compagnielisten und ladet die saumseligen Gardisten zur Verantwortung.
wie dies Alles schon der alte Vieekanzleidireetor in der Zettung wiederholt ge¬
predigt hatte. So kamen endlich im Monat Juni seine Worte noch zur Gel¬
tung. Inzwischen waren auch Offiziere und Unteroffiziere gewählt. Am
7. Juli rückte denn zum ersten Male die ganze Bürgergarde in voller Uni¬
form zum Manöver ins Feld. Ein Zeitungsartikel rühmt die Garde als ein
schönes Corps, das seiner Vaterstadt gewiß Ehre mache. "Die kräftigen
Männer imponiren und werden ihren Zweck nicht verfehlen," sagt der Bericht¬
erstatter. Es fragte sich nur: welchen Zweck? Auch der alte Vieekanzleidireetor
sprach jetzt in einem etwas sanfteren Ton. Auch er nennt in dem Zeitungs¬
blatte die Garde ein hübsches, ja ein imponirendes Corps. Es fehlte nach
seinem Bericht nur noch an tausend kleinen militairischen Anordnungen, na¬
mentlich bei der Schießübung. Es wurde mit unbegreiflicher Unkunde und


Händen und Füßen u. tgi. in. zu sehen bekommen hätten. Mit welchem
Jubel würde nicht jedes neue Abzeichen von der lieben Straßenjugend begrüßt
und durch ein bedeutendes Comitat beehrt worden sein! Um dies große Ver¬
gnügen haben Sie uns durch Ihr Schreiben nicht allein gebracht, sondern
Sie haben uns dadurch zugleich der Gelegenheit beraubt, eine große Zahl der
Leute kennen zu lernen, welche des bunten Rocks wegen Bürgergardisten ge¬
worden sind. Das ist unverantwortlich von Ihnen gehandelt." —

Inzwischen tönte wieder die scheltende Stimme des alten Vicekanzlei-
directors. Er hatte bet der letzten Exercirübung nur noch 20 Mann gezählt.
Es muß danach die Autorität der Hauptleute nicht groß gewesen sein.
Hauptleute existirten nämlich damals wirklich schon; sie waren nach einem
allgemeinen Ausmarsch des gesammten Bürgercorps auf freiem Felde gewählt
worden. Augenzeugen können nicht genug davon erzählen, wie stolz und
martialisch die erwählten Hauptleute (in Ermangelung eines Degens mit dem
Spazierstock über die Schulter), an der Seite ihrer neuen Compagnie in die
Stadt heim marschirten. Das waren die Hauptleute; nun fehlten aber wieder
die Lieutenants und die Unteroffiziere. Neue Klagen in der Zeitung geben
hiervon Zeugniß.

In diesem Wirrwarr setzte die Commission für die Organisirung der
Bürgergarde gemächlich ihren Weg fort. Sie kümmerte sich mehr um die
Uniform als um die Gardisten. Ein Zornausbruch der Zeitung vom 23. April
macht sich in der Anfrage Lust: „Wie lange es wohl noch währt, daß acht,
sage acht Compagnien Bürgergarde sich bei der Nase herumführen lassen?"

Endlich, nach langer Pause, und kurz vor der Auflösung der ganzen
Garde in ein Nichts, fährt neues Leben in die Glieder. Die Commission
ermannt sich. Das Menstreglement wird zur Hand genommen, die zum Dienst
verpflichteten Bürger werden für die Garde ausgehoben, man revidirt die
Compagnielisten und ladet die saumseligen Gardisten zur Verantwortung.
wie dies Alles schon der alte Vieekanzleidireetor in der Zettung wiederholt ge¬
predigt hatte. So kamen endlich im Monat Juni seine Worte noch zur Gel¬
tung. Inzwischen waren auch Offiziere und Unteroffiziere gewählt. Am
7. Juli rückte denn zum ersten Male die ganze Bürgergarde in voller Uni¬
form zum Manöver ins Feld. Ein Zeitungsartikel rühmt die Garde als ein
schönes Corps, das seiner Vaterstadt gewiß Ehre mache. „Die kräftigen
Männer imponiren und werden ihren Zweck nicht verfehlen," sagt der Bericht¬
erstatter. Es fragte sich nur: welchen Zweck? Auch der alte Vieekanzleidireetor
sprach jetzt in einem etwas sanfteren Ton. Auch er nennt in dem Zeitungs¬
blatte die Garde ein hübsches, ja ein imponirendes Corps. Es fehlte nach
seinem Bericht nur noch an tausend kleinen militairischen Anordnungen, na¬
mentlich bei der Schießübung. Es wurde mit unbegreiflicher Unkunde und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/120>, abgerufen am 29.12.2024.