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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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ganz besonders empfänglich. Allein noch keineswegs etwa für die Person
des Predigers und das, was er sagen wollte. Im Gegentheil, dank der
langen Amtsdauer und Beliebtheit seines Vorgängers hatte Herr Dillingham
einer so kritischen und unsympathischen Gemeinde gegenüberzutreten, als nur
möglich war. Dafür aber war es an jenem Morgen in der Ziegel-Kirche
ebenso voll, wie in allen andern Kirchen der Stadt leer. "Josias Jones,
Hochwürden, der sich bei der Ausarbeitung seiner Predigt für den Vormittag
nicht geschont hatte, sah mit übel verfehlten Aerger, daß der größere Theil
seiner Heerde sich auf die benachbarte Weide verlaufen hatte." Schon als
Herr Dillingham die Kanzelstufen hinaufstieg, machte er, wie sich später
herausstellte, einige Eroberungen. Er war "ein schlanker junger Mann, fast
sechs Fuß lang, mit sanftem blauem Auge und langen Haaren von dunkel¬
blonder Farbe, die er hinter die Ohren gebürstet trug. Der festgeschnittne
Mund und das Entschlossenheit verrathende Kinn bewahrten sein Gesicht
davor, weibisch auszusehen. Er war neunundzwanzig oder dreißig Jahr alt,
aber sah nicht so aus." Sein Erfolg wächst, als er das Gebet gesprochen
und den Grundtext zu seiner Predigt in der heil. Schrift markirt hat "und
das mildheitere bleiche Gesicht, das so wenig zu versprechen geschienen, von
geistigem Leben erfüllt" war. Die Predigt vervollständigte den Sieg-
Nur Seth Wiggins blieb unbezwungen. "da er in alles vergessenden
Schlummer gefallen war und instinctmäßig mit einem Ruck .erst erwachü'-
um den Segen zu empfangen, und jenen halb um Verzeihung bittenden-
halb trotzigen Gesichtsausdruck annahm, der den chronischen Missethäter
bezeichnet." Wir übergehen die köstliche Schilderung von dem. was die
Leute, namentlich die Frauen, zur ersten Predigt des neuen Pastors sagten-
Genug, den nächsten Sonntag fiel der Talar des hochwürdigen Past^
Wirbid Hawkins über ihn, und er war wohlbestallter Geistlicher in der
Ziegelkirche. "Wie ich die Dinge ansehe, war es eine Art Feuerprobe, die
Herr Dillingham in den ersten drei Monaten zu bestehen hatte;" -- ^
war nämlich herausgekommen, daß er unverheirathet sei -- "ein eitler Man"
hätte binnen Wochenfrist Schiffbruch gelitten. Aber der hochwürdige He"
Dillingham war. wie Ralph Dent erklärt hatte, ohne kleinliche Einbildung-
Die Aufmerksamkeiten, die Herrn Dillingham von allen Seiten zu Theil
wurden, würden von zehn Männern, die in seine Stellung gelangt waren-
acht verdorben haben. Es ist so leicht, der hohen Meinungwelche andere
Leute von uns haben, noch ein Stockwerk aufzusetzen. Es wurden ^
den Honoratioren -- Abendgesellschaften für Herrn Dillingham gegeben; ^
gab Picniks den Fluß hinauf und Ausflüge nach der Rhede und unzählbar
Theeabende am Ufer. Ich weiß nicht, ob Herr Dillingham einen stark aus¬
geprägten Sinn für Humor hatte, aber selbst wenn er nur mäßig hum"'


ganz besonders empfänglich. Allein noch keineswegs etwa für die Person
des Predigers und das, was er sagen wollte. Im Gegentheil, dank der
langen Amtsdauer und Beliebtheit seines Vorgängers hatte Herr Dillingham
einer so kritischen und unsympathischen Gemeinde gegenüberzutreten, als nur
möglich war. Dafür aber war es an jenem Morgen in der Ziegel-Kirche
ebenso voll, wie in allen andern Kirchen der Stadt leer. „Josias Jones,
Hochwürden, der sich bei der Ausarbeitung seiner Predigt für den Vormittag
nicht geschont hatte, sah mit übel verfehlten Aerger, daß der größere Theil
seiner Heerde sich auf die benachbarte Weide verlaufen hatte." Schon als
Herr Dillingham die Kanzelstufen hinaufstieg, machte er, wie sich später
herausstellte, einige Eroberungen. Er war „ein schlanker junger Mann, fast
sechs Fuß lang, mit sanftem blauem Auge und langen Haaren von dunkel¬
blonder Farbe, die er hinter die Ohren gebürstet trug. Der festgeschnittne
Mund und das Entschlossenheit verrathende Kinn bewahrten sein Gesicht
davor, weibisch auszusehen. Er war neunundzwanzig oder dreißig Jahr alt,
aber sah nicht so aus." Sein Erfolg wächst, als er das Gebet gesprochen
und den Grundtext zu seiner Predigt in der heil. Schrift markirt hat „und
das mildheitere bleiche Gesicht, das so wenig zu versprechen geschienen, von
geistigem Leben erfüllt" war. Die Predigt vervollständigte den Sieg-
Nur Seth Wiggins blieb unbezwungen. „da er in alles vergessenden
Schlummer gefallen war und instinctmäßig mit einem Ruck .erst erwachü'-
um den Segen zu empfangen, und jenen halb um Verzeihung bittenden-
halb trotzigen Gesichtsausdruck annahm, der den chronischen Missethäter
bezeichnet." Wir übergehen die köstliche Schilderung von dem. was die
Leute, namentlich die Frauen, zur ersten Predigt des neuen Pastors sagten-
Genug, den nächsten Sonntag fiel der Talar des hochwürdigen Past^
Wirbid Hawkins über ihn, und er war wohlbestallter Geistlicher in der
Ziegelkirche. „Wie ich die Dinge ansehe, war es eine Art Feuerprobe, die
Herr Dillingham in den ersten drei Monaten zu bestehen hatte;" — ^
war nämlich herausgekommen, daß er unverheirathet sei — „ein eitler Man»
hätte binnen Wochenfrist Schiffbruch gelitten. Aber der hochwürdige He"
Dillingham war. wie Ralph Dent erklärt hatte, ohne kleinliche Einbildung-
Die Aufmerksamkeiten, die Herrn Dillingham von allen Seiten zu Theil
wurden, würden von zehn Männern, die in seine Stellung gelangt waren-
acht verdorben haben. Es ist so leicht, der hohen Meinungwelche andere
Leute von uns haben, noch ein Stockwerk aufzusetzen. Es wurden ^
den Honoratioren — Abendgesellschaften für Herrn Dillingham gegeben; ^
gab Picniks den Fluß hinauf und Ausflüge nach der Rhede und unzählbar
Theeabende am Ufer. Ich weiß nicht, ob Herr Dillingham einen stark aus¬
geprägten Sinn für Humor hatte, aber selbst wenn er nur mäßig hum"'


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[0106] ganz besonders empfänglich. Allein noch keineswegs etwa für die Person des Predigers und das, was er sagen wollte. Im Gegentheil, dank der langen Amtsdauer und Beliebtheit seines Vorgängers hatte Herr Dillingham einer so kritischen und unsympathischen Gemeinde gegenüberzutreten, als nur möglich war. Dafür aber war es an jenem Morgen in der Ziegel-Kirche ebenso voll, wie in allen andern Kirchen der Stadt leer. „Josias Jones, Hochwürden, der sich bei der Ausarbeitung seiner Predigt für den Vormittag nicht geschont hatte, sah mit übel verfehlten Aerger, daß der größere Theil seiner Heerde sich auf die benachbarte Weide verlaufen hatte." Schon als Herr Dillingham die Kanzelstufen hinaufstieg, machte er, wie sich später herausstellte, einige Eroberungen. Er war „ein schlanker junger Mann, fast sechs Fuß lang, mit sanftem blauem Auge und langen Haaren von dunkel¬ blonder Farbe, die er hinter die Ohren gebürstet trug. Der festgeschnittne Mund und das Entschlossenheit verrathende Kinn bewahrten sein Gesicht davor, weibisch auszusehen. Er war neunundzwanzig oder dreißig Jahr alt, aber sah nicht so aus." Sein Erfolg wächst, als er das Gebet gesprochen und den Grundtext zu seiner Predigt in der heil. Schrift markirt hat „und das mildheitere bleiche Gesicht, das so wenig zu versprechen geschienen, von geistigem Leben erfüllt" war. Die Predigt vervollständigte den Sieg- Nur Seth Wiggins blieb unbezwungen. „da er in alles vergessenden Schlummer gefallen war und instinctmäßig mit einem Ruck .erst erwachü'- um den Segen zu empfangen, und jenen halb um Verzeihung bittenden- halb trotzigen Gesichtsausdruck annahm, der den chronischen Missethäter bezeichnet." Wir übergehen die köstliche Schilderung von dem. was die Leute, namentlich die Frauen, zur ersten Predigt des neuen Pastors sagten- Genug, den nächsten Sonntag fiel der Talar des hochwürdigen Past^ Wirbid Hawkins über ihn, und er war wohlbestallter Geistlicher in der Ziegelkirche. „Wie ich die Dinge ansehe, war es eine Art Feuerprobe, die Herr Dillingham in den ersten drei Monaten zu bestehen hatte;" — ^ war nämlich herausgekommen, daß er unverheirathet sei — „ein eitler Man» hätte binnen Wochenfrist Schiffbruch gelitten. Aber der hochwürdige He" Dillingham war. wie Ralph Dent erklärt hatte, ohne kleinliche Einbildung- Die Aufmerksamkeiten, die Herrn Dillingham von allen Seiten zu Theil wurden, würden von zehn Männern, die in seine Stellung gelangt waren- acht verdorben haben. Es ist so leicht, der hohen Meinungwelche andere Leute von uns haben, noch ein Stockwerk aufzusetzen. Es wurden ^ den Honoratioren — Abendgesellschaften für Herrn Dillingham gegeben; ^ gab Picniks den Fluß hinauf und Ausflüge nach der Rhede und unzählbar Theeabende am Ufer. Ich weiß nicht, ob Herr Dillingham einen stark aus¬ geprägten Sinn für Humor hatte, aber selbst wenn er nur mäßig hum"'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/106>, abgerufen am 29.12.2024.