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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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freilich auch mit Boccaccio, dem Schöpfer der italienischen Prosa, der ja in
vieler Beziehung recht eigentlich als die Ergänzung Petrarca's zu betrachten
ist. Schon in der äußern Form zeigt sich Petrarca's Einfluß unverkennbar.
Die prachtvolle achtzeilige Stanze ist ganz demselben Boden entsprossen, wie
das Sonett und die schwungvolle Canzone. In ihr wie im Sonett ist das
musikalische Element des Wohllauts das bindende gewissermaßen abrundende
Princip. Sie trägt daher auch in das Epos ein stark entwickeltes lyrisches
Element. Schon die relative Selbständigkeit der Strophe, die für die Archi¬
tektonik des Epos bestimmend ist, fordert zur lyrischen Ausgestaltung des er-
zählten thatsächlichen Inhalts heraus. Denn die größere Strophe bedingt
ein längeres Verweilen bei demselben Gedanken, sie begünstigt das malerische
wie das betrachtende Element. Dazu kommt der außerordentliche, das Ohr
bestrickende Wohllaut des Reimes, der im Sonett vor Allem seinen höchsten
Triumph feiert. Es ist nicht zu leugnen, daß, wie in allen kunstvollen
Strophen, so vor Allem im Sonett die Form oft den Inhalt beherrscht und
eine ganz bestimmte stets wiederkehrende Gliederung des poetischen Grund¬
gedankens zur Folge hat. Die ersten acht Zeilen des Sonetts entwickeln den
Grundgedanken in verhältnißmäßiger Breite und doppelter Gliederung und
ohne ihn zum Abschluß zu bringen, aber sie spannen die Aufmerksamkeit und
Phantasie auf den Abschluß, der in den sechs Schlußreihen bald als Folgerung
oder um einen sehr prosaischen Ausdruck zu gebrauchen, gleichsam als Nutz¬
anwendung, die aus der Exposition gezogen wird, erscheint, bald als
Steigerung und Verschärfung der einleitenden Gedankenreihen, bald zu ihr in
einem überraschenden und dadurch um so wirksameren Gegensatze steht. Eine
Lyrik, die sich mit Vorliebe in einer so kunstvoll verschlungenen Form bewegt,
in einer Form, die auch von dem Gedanken und der Empfindung eine kunst¬
volle, gleichsam rhythmisch gegliederte, nach bestimmten Gesetzen melodisch aus¬
lautende Entwickelung heischt, die darauf berechnet ist, bald geistreich mit dem
Gefühl zu spielen, bald dasselbe in kunstvoll gegliederter, streng abgerundeter
Durcharbeitung zum Ausdruck zu bringen, die aber immer auch in der Dar¬
stellung der glühendsten Leidenschaft den Dichter an ein überaus strenges
Gesetz bindet, -- in einer solchen Lyrik wird natürlich stets der kunstgemäße
Charakter vorherrschen, und die kunstvolle Grazie ist denn auch das Erbtheil
der italienischen Poesie geblieben. Der reichen Anmuth der Sprache entspricht
die Anmuth der Dichtung, die auch im Affect der rhythmischen Gliederung
des Gedankens und dem melodischen Wohlklange der äußeren Form nicht zu
entsagen vermag.

Als der wahre Schöpfer dieser kunstvollen Lyrik muß man Petrarca be¬
trachten, und es thut seinem Ruhm keinen Eintrag, daß die Sprache selbst


freilich auch mit Boccaccio, dem Schöpfer der italienischen Prosa, der ja in
vieler Beziehung recht eigentlich als die Ergänzung Petrarca's zu betrachten
ist. Schon in der äußern Form zeigt sich Petrarca's Einfluß unverkennbar.
Die prachtvolle achtzeilige Stanze ist ganz demselben Boden entsprossen, wie
das Sonett und die schwungvolle Canzone. In ihr wie im Sonett ist das
musikalische Element des Wohllauts das bindende gewissermaßen abrundende
Princip. Sie trägt daher auch in das Epos ein stark entwickeltes lyrisches
Element. Schon die relative Selbständigkeit der Strophe, die für die Archi¬
tektonik des Epos bestimmend ist, fordert zur lyrischen Ausgestaltung des er-
zählten thatsächlichen Inhalts heraus. Denn die größere Strophe bedingt
ein längeres Verweilen bei demselben Gedanken, sie begünstigt das malerische
wie das betrachtende Element. Dazu kommt der außerordentliche, das Ohr
bestrickende Wohllaut des Reimes, der im Sonett vor Allem seinen höchsten
Triumph feiert. Es ist nicht zu leugnen, daß, wie in allen kunstvollen
Strophen, so vor Allem im Sonett die Form oft den Inhalt beherrscht und
eine ganz bestimmte stets wiederkehrende Gliederung des poetischen Grund¬
gedankens zur Folge hat. Die ersten acht Zeilen des Sonetts entwickeln den
Grundgedanken in verhältnißmäßiger Breite und doppelter Gliederung und
ohne ihn zum Abschluß zu bringen, aber sie spannen die Aufmerksamkeit und
Phantasie auf den Abschluß, der in den sechs Schlußreihen bald als Folgerung
oder um einen sehr prosaischen Ausdruck zu gebrauchen, gleichsam als Nutz¬
anwendung, die aus der Exposition gezogen wird, erscheint, bald als
Steigerung und Verschärfung der einleitenden Gedankenreihen, bald zu ihr in
einem überraschenden und dadurch um so wirksameren Gegensatze steht. Eine
Lyrik, die sich mit Vorliebe in einer so kunstvoll verschlungenen Form bewegt,
in einer Form, die auch von dem Gedanken und der Empfindung eine kunst¬
volle, gleichsam rhythmisch gegliederte, nach bestimmten Gesetzen melodisch aus¬
lautende Entwickelung heischt, die darauf berechnet ist, bald geistreich mit dem
Gefühl zu spielen, bald dasselbe in kunstvoll gegliederter, streng abgerundeter
Durcharbeitung zum Ausdruck zu bringen, die aber immer auch in der Dar¬
stellung der glühendsten Leidenschaft den Dichter an ein überaus strenges
Gesetz bindet, — in einer solchen Lyrik wird natürlich stets der kunstgemäße
Charakter vorherrschen, und die kunstvolle Grazie ist denn auch das Erbtheil
der italienischen Poesie geblieben. Der reichen Anmuth der Sprache entspricht
die Anmuth der Dichtung, die auch im Affect der rhythmischen Gliederung
des Gedankens und dem melodischen Wohlklange der äußeren Form nicht zu
entsagen vermag.

Als der wahre Schöpfer dieser kunstvollen Lyrik muß man Petrarca be¬
trachten, und es thut seinem Ruhm keinen Eintrag, daß die Sprache selbst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/98>, abgerufen am 22.07.2024.