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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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seinem dichterischen Genius den Weg gewiesen, den er eingeschlagen. Denn
wenn die Sprache ihm die Richtung seiner Kunst vorschrieb, so ist es andrer¬
seits doch ein unvergängliches Verdienst, welches er nur mit Dante, und für
die Prosa mit Boccaccio theilt, die Volkssprache zum geschmeidigen Werkzeug
der künstlerischen Darstellung ausgebildet zu haben. Den vor ihnen lebenden,
längst der Vergessenheit anheimgefallenen Dichtern, war dies nicht gelungen;
und mit Recht werden Dante, Petrarca, Boccaccio stets als die Gründer der
italienischen Literatur genannt werden, die zugleich in ihnen einen Höhepunkt
erreicht hat. dem bald eine Zeit des Verfalles folgte und den auch die neuere
Literatur noch nicht wieder erreicht hat. Die drei großen Dichter des
14. Jahrhunderts bleiben die Leitsterne für die italienische Poesie, die. so oft
sie sich neu erfrischen will, zu ihnen als den ewig fließenden lauteren Quellen
zurückkehrt und aus ihnen den Trank der Wiederbelebung und Wiedergenesung
schöpft.

Italien erfüllt daher nur eine nationale Pflicht, wenn es den Gedächt¬
nißtag des Dichters, der wie wenig andere an seiner geistigen Wiedergeburt
vorbereitet hat, feiert; und es unterliegt keinem Zweifel, daß es ihn würdig
feiern wird. Aber auch wir haben alle Ursache, des rüstigen muthigen Vor¬
kämpfers für Bildung und Menschenwürde, der rastlos thätig gewesen ist,
die Quellen der Wiederbelebung zu eröffnen, aus denen auch unsere großen
Humanisten und Reformatoren geschöpft haben, dankbar zu gedenken. Und
auch den Einfluß des Dichters auf die Entwickelung unserer Poesie dürfen
wir nicht gering anschlagen. Unsere Sprache mit ihrer unvergleichlichen An¬
eignungsgabe, hat der italienischen Kunstform volles Bürgerrecht gewährt,
und auch in den härteren Stoff unsres Idioms hat das Sonett, haben Can-
zone und Octone den Zauber ihres Wohllauts nicht eingebüßt. Möge die
treffliche Schrift Ludwig Geiger's dazu beitragen, die Theilnahme für den
Ehrentag unserer Verbündeten von 1866 in möglichst weiten Kreisen zu er-
erwecken. Italien aber möge, wenn es seinen zartesten Dichter feiert, wohl
bedenken, daß in Petrarca mit der vollendeten Anmuth sich die Kraft paarte,
und daß die Huld der Musen nur dem Volke dauernd zu Theil wird, das
seine Freiheit und Selbständigkeit gegen jeden Feind und Neider mit dem
Schwerte zu schützen jeder Zeit bereit und gerüstet ist.


Georg Zelle.


seinem dichterischen Genius den Weg gewiesen, den er eingeschlagen. Denn
wenn die Sprache ihm die Richtung seiner Kunst vorschrieb, so ist es andrer¬
seits doch ein unvergängliches Verdienst, welches er nur mit Dante, und für
die Prosa mit Boccaccio theilt, die Volkssprache zum geschmeidigen Werkzeug
der künstlerischen Darstellung ausgebildet zu haben. Den vor ihnen lebenden,
längst der Vergessenheit anheimgefallenen Dichtern, war dies nicht gelungen;
und mit Recht werden Dante, Petrarca, Boccaccio stets als die Gründer der
italienischen Literatur genannt werden, die zugleich in ihnen einen Höhepunkt
erreicht hat. dem bald eine Zeit des Verfalles folgte und den auch die neuere
Literatur noch nicht wieder erreicht hat. Die drei großen Dichter des
14. Jahrhunderts bleiben die Leitsterne für die italienische Poesie, die. so oft
sie sich neu erfrischen will, zu ihnen als den ewig fließenden lauteren Quellen
zurückkehrt und aus ihnen den Trank der Wiederbelebung und Wiedergenesung
schöpft.

Italien erfüllt daher nur eine nationale Pflicht, wenn es den Gedächt¬
nißtag des Dichters, der wie wenig andere an seiner geistigen Wiedergeburt
vorbereitet hat, feiert; und es unterliegt keinem Zweifel, daß es ihn würdig
feiern wird. Aber auch wir haben alle Ursache, des rüstigen muthigen Vor¬
kämpfers für Bildung und Menschenwürde, der rastlos thätig gewesen ist,
die Quellen der Wiederbelebung zu eröffnen, aus denen auch unsere großen
Humanisten und Reformatoren geschöpft haben, dankbar zu gedenken. Und
auch den Einfluß des Dichters auf die Entwickelung unserer Poesie dürfen
wir nicht gering anschlagen. Unsere Sprache mit ihrer unvergleichlichen An¬
eignungsgabe, hat der italienischen Kunstform volles Bürgerrecht gewährt,
und auch in den härteren Stoff unsres Idioms hat das Sonett, haben Can-
zone und Octone den Zauber ihres Wohllauts nicht eingebüßt. Möge die
treffliche Schrift Ludwig Geiger's dazu beitragen, die Theilnahme für den
Ehrentag unserer Verbündeten von 1866 in möglichst weiten Kreisen zu er-
erwecken. Italien aber möge, wenn es seinen zartesten Dichter feiert, wohl
bedenken, daß in Petrarca mit der vollendeten Anmuth sich die Kraft paarte,
und daß die Huld der Musen nur dem Volke dauernd zu Theil wird, das
seine Freiheit und Selbständigkeit gegen jeden Feind und Neider mit dem
Schwerte zu schützen jeder Zeit bereit und gerüstet ist.


Georg Zelle.


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[0099] seinem dichterischen Genius den Weg gewiesen, den er eingeschlagen. Denn wenn die Sprache ihm die Richtung seiner Kunst vorschrieb, so ist es andrer¬ seits doch ein unvergängliches Verdienst, welches er nur mit Dante, und für die Prosa mit Boccaccio theilt, die Volkssprache zum geschmeidigen Werkzeug der künstlerischen Darstellung ausgebildet zu haben. Den vor ihnen lebenden, längst der Vergessenheit anheimgefallenen Dichtern, war dies nicht gelungen; und mit Recht werden Dante, Petrarca, Boccaccio stets als die Gründer der italienischen Literatur genannt werden, die zugleich in ihnen einen Höhepunkt erreicht hat. dem bald eine Zeit des Verfalles folgte und den auch die neuere Literatur noch nicht wieder erreicht hat. Die drei großen Dichter des 14. Jahrhunderts bleiben die Leitsterne für die italienische Poesie, die. so oft sie sich neu erfrischen will, zu ihnen als den ewig fließenden lauteren Quellen zurückkehrt und aus ihnen den Trank der Wiederbelebung und Wiedergenesung schöpft. Italien erfüllt daher nur eine nationale Pflicht, wenn es den Gedächt¬ nißtag des Dichters, der wie wenig andere an seiner geistigen Wiedergeburt vorbereitet hat, feiert; und es unterliegt keinem Zweifel, daß es ihn würdig feiern wird. Aber auch wir haben alle Ursache, des rüstigen muthigen Vor¬ kämpfers für Bildung und Menschenwürde, der rastlos thätig gewesen ist, die Quellen der Wiederbelebung zu eröffnen, aus denen auch unsere großen Humanisten und Reformatoren geschöpft haben, dankbar zu gedenken. Und auch den Einfluß des Dichters auf die Entwickelung unserer Poesie dürfen wir nicht gering anschlagen. Unsere Sprache mit ihrer unvergleichlichen An¬ eignungsgabe, hat der italienischen Kunstform volles Bürgerrecht gewährt, und auch in den härteren Stoff unsres Idioms hat das Sonett, haben Can- zone und Octone den Zauber ihres Wohllauts nicht eingebüßt. Möge die treffliche Schrift Ludwig Geiger's dazu beitragen, die Theilnahme für den Ehrentag unserer Verbündeten von 1866 in möglichst weiten Kreisen zu er- erwecken. Italien aber möge, wenn es seinen zartesten Dichter feiert, wohl bedenken, daß in Petrarca mit der vollendeten Anmuth sich die Kraft paarte, und daß die Huld der Musen nur dem Volke dauernd zu Theil wird, das seine Freiheit und Selbständigkeit gegen jeden Feind und Neider mit dem Schwerte zu schützen jeder Zeit bereit und gerüstet ist. Georg Zelle.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/99>, abgerufen am 24.08.2024.