Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

digkeit. Wenn eS der noch jungen Dame gelingt, im Gesang einzelne Un¬
ebenheiten und Manirirtheiten abzustreifen und im Spiel die zuweilen ein
wenig übersprudelnde Leidenschaft besser im Zaume zu halten, so mag ihr
leicht beschieden sein, bis zum Gipfel künstlerischer Vollendung emporzusteigen.
Schade nur, daß sie Berlin so rasch wieder verlassen hat.

Weit sonderbarer noch, als die große Oper bei Kroll, muß im ersten
Augenblick der Gedanke berühren, daß in den sonst so lustigen Räumen des
Wallnertheaters die hehre Tragödie ihren Einzug gehalten. Und doch ist es
keine Geringere, als Clara Ziegler, die seit Mitte vorigen Monats vor den
Brettern Helmerding's eine zahlreiche und andächtige Gemeinde versammelt.
Thut es noch noth, das Lob dieser gottbegnadeter Künstlerin zu singen? Sie
hat uns von ihren Glanzrollen bisher Medea, Iphigenie und Deborah vor¬
geführt, und ich denke, unter denen die sie gesehen, werden nur Wenige sein,
die nicht gleich mir der Ueberzeugung wären, daß sie unter den heutigen
deutschen Tragödinnen die bedeutendste ist. Die schwere Krankheit, welche
Fräulein Ziegler erst vor Kurzem überstanden, scheint eher von nützlicher, als
von schädlicher Wirkung für sie gewesen zu sein. Der wunderbare Wohllaut
ihrer Stimme hat nichts eingebüßt, wohl aber bewahrt sie jetzt auch in dem
Augenblicke des höchsten Affects jenes schöne Ebenmaß, welches allein dem
dramatischen Spiel das Wahrzeichen vollendeter Kunst aufprägt. Leider ist
es aber eine bei schauspielerischen Größen immer zu oft wiederkehrende Er¬
scheinung, daß sie die Grenzen ihrer Befähigung nicht zu erkennen vermögen.
Fräulein Ziegler ist nicht allein durch ihre ganze Geistesrichtung, sondern
schon durch ihre äußere Erscheinung in den Rahmen der hohen Tragödie ge¬
bannt. Aber es scheint einen dämonischen Reiz für sie zu haben, sich auch
auf dem Boden des Lustspiels bewundern zu lassen. Ohne Zweifel ist sie
auch dort im Stande, die Talente des gewöhnlichen Schlages zu übertreffen.
Aber ihre Absicht kann doch nur sein, das Höchste zu leisten, und das ist ihr
von der Natur versagt. Höchstens in Stücken wie Moreto's "Donna Diana"
darf sie auf vollen Erfolg hoffen. Auch an ihrer Donna Diana freilich hat
man hier zu großen Ernst und Schwerfälligkeit der Sprache wie der Be¬
wegung getadelt; meines Erachtens mit Unrecht. Donna Diana kann mit
mehr Grazie und Humor gespielt werden; aber weder Geist noch Sprache des
Stückes verbieten, daß die Darstellerin in erster Linie die Grandezza hervor¬
kehre. -- Versäumen wir übrigens bei dieser Gelegenheit nicht, dem vortreff¬
lichen "Perim" unsere Reverenz zu machen, den der Director des Wallner¬
theaters, Herr Lebrun, bei der Aufführung von "Donna Diana" zum
Besten gab.

Auf dem Gebiete der komischen Operette behauptet auch zu dieser schönen
Sommerszeit das Friedrich-Wilhelmstädtische Theater seinen bewährten Rang.


digkeit. Wenn eS der noch jungen Dame gelingt, im Gesang einzelne Un¬
ebenheiten und Manirirtheiten abzustreifen und im Spiel die zuweilen ein
wenig übersprudelnde Leidenschaft besser im Zaume zu halten, so mag ihr
leicht beschieden sein, bis zum Gipfel künstlerischer Vollendung emporzusteigen.
Schade nur, daß sie Berlin so rasch wieder verlassen hat.

Weit sonderbarer noch, als die große Oper bei Kroll, muß im ersten
Augenblick der Gedanke berühren, daß in den sonst so lustigen Räumen des
Wallnertheaters die hehre Tragödie ihren Einzug gehalten. Und doch ist es
keine Geringere, als Clara Ziegler, die seit Mitte vorigen Monats vor den
Brettern Helmerding's eine zahlreiche und andächtige Gemeinde versammelt.
Thut es noch noth, das Lob dieser gottbegnadeter Künstlerin zu singen? Sie
hat uns von ihren Glanzrollen bisher Medea, Iphigenie und Deborah vor¬
geführt, und ich denke, unter denen die sie gesehen, werden nur Wenige sein,
die nicht gleich mir der Ueberzeugung wären, daß sie unter den heutigen
deutschen Tragödinnen die bedeutendste ist. Die schwere Krankheit, welche
Fräulein Ziegler erst vor Kurzem überstanden, scheint eher von nützlicher, als
von schädlicher Wirkung für sie gewesen zu sein. Der wunderbare Wohllaut
ihrer Stimme hat nichts eingebüßt, wohl aber bewahrt sie jetzt auch in dem
Augenblicke des höchsten Affects jenes schöne Ebenmaß, welches allein dem
dramatischen Spiel das Wahrzeichen vollendeter Kunst aufprägt. Leider ist
es aber eine bei schauspielerischen Größen immer zu oft wiederkehrende Er¬
scheinung, daß sie die Grenzen ihrer Befähigung nicht zu erkennen vermögen.
Fräulein Ziegler ist nicht allein durch ihre ganze Geistesrichtung, sondern
schon durch ihre äußere Erscheinung in den Rahmen der hohen Tragödie ge¬
bannt. Aber es scheint einen dämonischen Reiz für sie zu haben, sich auch
auf dem Boden des Lustspiels bewundern zu lassen. Ohne Zweifel ist sie
auch dort im Stande, die Talente des gewöhnlichen Schlages zu übertreffen.
Aber ihre Absicht kann doch nur sein, das Höchste zu leisten, und das ist ihr
von der Natur versagt. Höchstens in Stücken wie Moreto's „Donna Diana"
darf sie auf vollen Erfolg hoffen. Auch an ihrer Donna Diana freilich hat
man hier zu großen Ernst und Schwerfälligkeit der Sprache wie der Be¬
wegung getadelt; meines Erachtens mit Unrecht. Donna Diana kann mit
mehr Grazie und Humor gespielt werden; aber weder Geist noch Sprache des
Stückes verbieten, daß die Darstellerin in erster Linie die Grandezza hervor¬
kehre. — Versäumen wir übrigens bei dieser Gelegenheit nicht, dem vortreff¬
lichen „Perim" unsere Reverenz zu machen, den der Director des Wallner¬
theaters, Herr Lebrun, bei der Aufführung von „Donna Diana" zum
Besten gab.

Auf dem Gebiete der komischen Operette behauptet auch zu dieser schönen
Sommerszeit das Friedrich-Wilhelmstädtische Theater seinen bewährten Rang.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0082" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/131776"/>
          <p xml:id="ID_312" prev="#ID_311"> digkeit. Wenn eS der noch jungen Dame gelingt, im Gesang einzelne Un¬<lb/>
ebenheiten und Manirirtheiten abzustreifen und im Spiel die zuweilen ein<lb/>
wenig übersprudelnde Leidenschaft besser im Zaume zu halten, so mag ihr<lb/>
leicht beschieden sein, bis zum Gipfel künstlerischer Vollendung emporzusteigen.<lb/>
Schade nur, daß sie Berlin so rasch wieder verlassen hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_313"> Weit sonderbarer noch, als die große Oper bei Kroll, muß im ersten<lb/>
Augenblick der Gedanke berühren, daß in den sonst so lustigen Räumen des<lb/>
Wallnertheaters die hehre Tragödie ihren Einzug gehalten. Und doch ist es<lb/>
keine Geringere, als Clara Ziegler, die seit Mitte vorigen Monats vor den<lb/>
Brettern Helmerding's eine zahlreiche und andächtige Gemeinde versammelt.<lb/>
Thut es noch noth, das Lob dieser gottbegnadeter Künstlerin zu singen? Sie<lb/>
hat uns von ihren Glanzrollen bisher Medea, Iphigenie und Deborah vor¬<lb/>
geführt, und ich denke, unter denen die sie gesehen, werden nur Wenige sein,<lb/>
die nicht gleich mir der Ueberzeugung wären, daß sie unter den heutigen<lb/>
deutschen Tragödinnen die bedeutendste ist. Die schwere Krankheit, welche<lb/>
Fräulein Ziegler erst vor Kurzem überstanden, scheint eher von nützlicher, als<lb/>
von schädlicher Wirkung für sie gewesen zu sein. Der wunderbare Wohllaut<lb/>
ihrer Stimme hat nichts eingebüßt, wohl aber bewahrt sie jetzt auch in dem<lb/>
Augenblicke des höchsten Affects jenes schöne Ebenmaß, welches allein dem<lb/>
dramatischen Spiel das Wahrzeichen vollendeter Kunst aufprägt. Leider ist<lb/>
es aber eine bei schauspielerischen Größen immer zu oft wiederkehrende Er¬<lb/>
scheinung, daß sie die Grenzen ihrer Befähigung nicht zu erkennen vermögen.<lb/>
Fräulein Ziegler ist nicht allein durch ihre ganze Geistesrichtung, sondern<lb/>
schon durch ihre äußere Erscheinung in den Rahmen der hohen Tragödie ge¬<lb/>
bannt. Aber es scheint einen dämonischen Reiz für sie zu haben, sich auch<lb/>
auf dem Boden des Lustspiels bewundern zu lassen. Ohne Zweifel ist sie<lb/>
auch dort im Stande, die Talente des gewöhnlichen Schlages zu übertreffen.<lb/>
Aber ihre Absicht kann doch nur sein, das Höchste zu leisten, und das ist ihr<lb/>
von der Natur versagt. Höchstens in Stücken wie Moreto's &#x201E;Donna Diana"<lb/>
darf sie auf vollen Erfolg hoffen. Auch an ihrer Donna Diana freilich hat<lb/>
man hier zu großen Ernst und Schwerfälligkeit der Sprache wie der Be¬<lb/>
wegung getadelt; meines Erachtens mit Unrecht. Donna Diana kann mit<lb/>
mehr Grazie und Humor gespielt werden; aber weder Geist noch Sprache des<lb/>
Stückes verbieten, daß die Darstellerin in erster Linie die Grandezza hervor¬<lb/>
kehre. &#x2014; Versäumen wir übrigens bei dieser Gelegenheit nicht, dem vortreff¬<lb/>
lichen &#x201E;Perim" unsere Reverenz zu machen, den der Director des Wallner¬<lb/>
theaters, Herr Lebrun, bei der Aufführung von &#x201E;Donna Diana" zum<lb/>
Besten gab.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_314" next="#ID_315"> Auf dem Gebiete der komischen Operette behauptet auch zu dieser schönen<lb/>
Sommerszeit das Friedrich-Wilhelmstädtische Theater seinen bewährten Rang.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0082] digkeit. Wenn eS der noch jungen Dame gelingt, im Gesang einzelne Un¬ ebenheiten und Manirirtheiten abzustreifen und im Spiel die zuweilen ein wenig übersprudelnde Leidenschaft besser im Zaume zu halten, so mag ihr leicht beschieden sein, bis zum Gipfel künstlerischer Vollendung emporzusteigen. Schade nur, daß sie Berlin so rasch wieder verlassen hat. Weit sonderbarer noch, als die große Oper bei Kroll, muß im ersten Augenblick der Gedanke berühren, daß in den sonst so lustigen Räumen des Wallnertheaters die hehre Tragödie ihren Einzug gehalten. Und doch ist es keine Geringere, als Clara Ziegler, die seit Mitte vorigen Monats vor den Brettern Helmerding's eine zahlreiche und andächtige Gemeinde versammelt. Thut es noch noth, das Lob dieser gottbegnadeter Künstlerin zu singen? Sie hat uns von ihren Glanzrollen bisher Medea, Iphigenie und Deborah vor¬ geführt, und ich denke, unter denen die sie gesehen, werden nur Wenige sein, die nicht gleich mir der Ueberzeugung wären, daß sie unter den heutigen deutschen Tragödinnen die bedeutendste ist. Die schwere Krankheit, welche Fräulein Ziegler erst vor Kurzem überstanden, scheint eher von nützlicher, als von schädlicher Wirkung für sie gewesen zu sein. Der wunderbare Wohllaut ihrer Stimme hat nichts eingebüßt, wohl aber bewahrt sie jetzt auch in dem Augenblicke des höchsten Affects jenes schöne Ebenmaß, welches allein dem dramatischen Spiel das Wahrzeichen vollendeter Kunst aufprägt. Leider ist es aber eine bei schauspielerischen Größen immer zu oft wiederkehrende Er¬ scheinung, daß sie die Grenzen ihrer Befähigung nicht zu erkennen vermögen. Fräulein Ziegler ist nicht allein durch ihre ganze Geistesrichtung, sondern schon durch ihre äußere Erscheinung in den Rahmen der hohen Tragödie ge¬ bannt. Aber es scheint einen dämonischen Reiz für sie zu haben, sich auch auf dem Boden des Lustspiels bewundern zu lassen. Ohne Zweifel ist sie auch dort im Stande, die Talente des gewöhnlichen Schlages zu übertreffen. Aber ihre Absicht kann doch nur sein, das Höchste zu leisten, und das ist ihr von der Natur versagt. Höchstens in Stücken wie Moreto's „Donna Diana" darf sie auf vollen Erfolg hoffen. Auch an ihrer Donna Diana freilich hat man hier zu großen Ernst und Schwerfälligkeit der Sprache wie der Be¬ wegung getadelt; meines Erachtens mit Unrecht. Donna Diana kann mit mehr Grazie und Humor gespielt werden; aber weder Geist noch Sprache des Stückes verbieten, daß die Darstellerin in erster Linie die Grandezza hervor¬ kehre. — Versäumen wir übrigens bei dieser Gelegenheit nicht, dem vortreff¬ lichen „Perim" unsere Reverenz zu machen, den der Director des Wallner¬ theaters, Herr Lebrun, bei der Aufführung von „Donna Diana" zum Besten gab. Auf dem Gebiete der komischen Operette behauptet auch zu dieser schönen Sommerszeit das Friedrich-Wilhelmstädtische Theater seinen bewährten Rang.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/82
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/82>, abgerufen am 22.07.2024.