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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Die Offenbachiaden und Lecoq's "Mannheit Angot" sind neuerdings -- eine
recht erfreuliche Erscheinung -- durch zwei Operetten in den Hintergrund ge¬
drängt worden, die, in der Handlung harmlos lustig, sich durch eine Musik
von durchweg anmuthiger Frische und Natürlichkeit, stellenweise sogar von
wirklicher Schönheit auszeichnen, nämlich durch "Der Carneval in Rom" von
Johann Strauß, und "Die Pilger" von Max Wolf (Text von R. Genie).
In welchem Style das Werk des berühmten Walzercomponisten gehalten ist,
bedarf kaum einer Erwähnung; bei Licht besehen, ist es eine bunte Kette
melodischer Tanzweisen, die eine immer noch gefälliger, als die andere. So
war es ihm leicht, den Beifall eines nicht gerade anspruchsvollen und im
Voraus captivirten Publikums zu gewinnen. Auch kamen ihm in der Hand¬
lung mehrere pikante Momente, u. A. eine recht drastische Parodie auf den
römischen Reliquienhandel, zu Statten. Von derartigen tendenziösen Bei¬
mischungen ist das zweitgenannte Stück allerdings vollkommen frei. Sein
Titel läßt wohl Aehnliches vermuthen, aber in Wirklichkeit handelt es sich
um ein zu Maskenbällen verwandtes Mönchsgewand, welches von einem
jungen Manne, der in demselben eine große Summe Geldes eingenäht glaubt,
drei Akte hindurch gesucht wird. Die Handlung ist voll drolliger Situationen
und trotz ihrer Einfachheit niemals langweilig. Das Beste aber hat der
Componist gethan. Seine Musik ähnelt vielfach dem Strauß'schen Genre, im
Allgemeinen aber trägt sie einen etwas polyphoneren Charakter und in ver¬
schiedenen Piecen gewahrt man deutlich den Anflug eines höheren Styls.
Die "Pilger" sind die erste größere Composition Max Wulf's, die hier gehört
wurde. Vielleicht erhebt sich der Componist in künftigen Schöpfungen ganz
auf das Niveau der klassischen Spieloper.

Während in der Friedrich-Wilhelmsstadt die Wiener Operetteneomponisten
Triumphe feiern, wird uns im Victoriatheater die Wiener Posse, resp, das
Wiener Volksstück von Nationalwienern, nämlich von den Mitgliedern des
Strampfertheaters, geboten. Die Gesellschaft war von ihrem Auftreten vor
zwei Jahren her hier im besten Andenken. Was sie uns aber Heuer bisher
Gutes geboten hat, waren eben nur wieder die alten Sachen; mit dem Neuen
hat sie. trotz ihrer zum Theil ganz vorzüglichen Kräfte, kein Glück gehabt.
Doch warten wir Weiteres ab!




Die Offenbachiaden und Lecoq's „Mannheit Angot" sind neuerdings — eine
recht erfreuliche Erscheinung — durch zwei Operetten in den Hintergrund ge¬
drängt worden, die, in der Handlung harmlos lustig, sich durch eine Musik
von durchweg anmuthiger Frische und Natürlichkeit, stellenweise sogar von
wirklicher Schönheit auszeichnen, nämlich durch „Der Carneval in Rom" von
Johann Strauß, und „Die Pilger" von Max Wolf (Text von R. Genie).
In welchem Style das Werk des berühmten Walzercomponisten gehalten ist,
bedarf kaum einer Erwähnung; bei Licht besehen, ist es eine bunte Kette
melodischer Tanzweisen, die eine immer noch gefälliger, als die andere. So
war es ihm leicht, den Beifall eines nicht gerade anspruchsvollen und im
Voraus captivirten Publikums zu gewinnen. Auch kamen ihm in der Hand¬
lung mehrere pikante Momente, u. A. eine recht drastische Parodie auf den
römischen Reliquienhandel, zu Statten. Von derartigen tendenziösen Bei¬
mischungen ist das zweitgenannte Stück allerdings vollkommen frei. Sein
Titel läßt wohl Aehnliches vermuthen, aber in Wirklichkeit handelt es sich
um ein zu Maskenbällen verwandtes Mönchsgewand, welches von einem
jungen Manne, der in demselben eine große Summe Geldes eingenäht glaubt,
drei Akte hindurch gesucht wird. Die Handlung ist voll drolliger Situationen
und trotz ihrer Einfachheit niemals langweilig. Das Beste aber hat der
Componist gethan. Seine Musik ähnelt vielfach dem Strauß'schen Genre, im
Allgemeinen aber trägt sie einen etwas polyphoneren Charakter und in ver¬
schiedenen Piecen gewahrt man deutlich den Anflug eines höheren Styls.
Die „Pilger" sind die erste größere Composition Max Wulf's, die hier gehört
wurde. Vielleicht erhebt sich der Componist in künftigen Schöpfungen ganz
auf das Niveau der klassischen Spieloper.

Während in der Friedrich-Wilhelmsstadt die Wiener Operetteneomponisten
Triumphe feiern, wird uns im Victoriatheater die Wiener Posse, resp, das
Wiener Volksstück von Nationalwienern, nämlich von den Mitgliedern des
Strampfertheaters, geboten. Die Gesellschaft war von ihrem Auftreten vor
zwei Jahren her hier im besten Andenken. Was sie uns aber Heuer bisher
Gutes geboten hat, waren eben nur wieder die alten Sachen; mit dem Neuen
hat sie. trotz ihrer zum Theil ganz vorzüglichen Kräfte, kein Glück gehabt.
Doch warten wir Weiteres ab!




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[0083] Die Offenbachiaden und Lecoq's „Mannheit Angot" sind neuerdings — eine recht erfreuliche Erscheinung — durch zwei Operetten in den Hintergrund ge¬ drängt worden, die, in der Handlung harmlos lustig, sich durch eine Musik von durchweg anmuthiger Frische und Natürlichkeit, stellenweise sogar von wirklicher Schönheit auszeichnen, nämlich durch „Der Carneval in Rom" von Johann Strauß, und „Die Pilger" von Max Wolf (Text von R. Genie). In welchem Style das Werk des berühmten Walzercomponisten gehalten ist, bedarf kaum einer Erwähnung; bei Licht besehen, ist es eine bunte Kette melodischer Tanzweisen, die eine immer noch gefälliger, als die andere. So war es ihm leicht, den Beifall eines nicht gerade anspruchsvollen und im Voraus captivirten Publikums zu gewinnen. Auch kamen ihm in der Hand¬ lung mehrere pikante Momente, u. A. eine recht drastische Parodie auf den römischen Reliquienhandel, zu Statten. Von derartigen tendenziösen Bei¬ mischungen ist das zweitgenannte Stück allerdings vollkommen frei. Sein Titel läßt wohl Aehnliches vermuthen, aber in Wirklichkeit handelt es sich um ein zu Maskenbällen verwandtes Mönchsgewand, welches von einem jungen Manne, der in demselben eine große Summe Geldes eingenäht glaubt, drei Akte hindurch gesucht wird. Die Handlung ist voll drolliger Situationen und trotz ihrer Einfachheit niemals langweilig. Das Beste aber hat der Componist gethan. Seine Musik ähnelt vielfach dem Strauß'schen Genre, im Allgemeinen aber trägt sie einen etwas polyphoneren Charakter und in ver¬ schiedenen Piecen gewahrt man deutlich den Anflug eines höheren Styls. Die „Pilger" sind die erste größere Composition Max Wulf's, die hier gehört wurde. Vielleicht erhebt sich der Componist in künftigen Schöpfungen ganz auf das Niveau der klassischen Spieloper. Während in der Friedrich-Wilhelmsstadt die Wiener Operetteneomponisten Triumphe feiern, wird uns im Victoriatheater die Wiener Posse, resp, das Wiener Volksstück von Nationalwienern, nämlich von den Mitgliedern des Strampfertheaters, geboten. Die Gesellschaft war von ihrem Auftreten vor zwei Jahren her hier im besten Andenken. Was sie uns aber Heuer bisher Gutes geboten hat, waren eben nur wieder die alten Sachen; mit dem Neuen hat sie. trotz ihrer zum Theil ganz vorzüglichen Kräfte, kein Glück gehabt. Doch warten wir Weiteres ab!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/83>, abgerufen am 22.07.2024.