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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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sammeln, unsere Kräfte nicht zersplittern, uns nicht gegenseitig reizen, sondern
in Eintracht durch Arbeit und Selbstaufopferung den Feind bekämpfen.
Dies ist in der That eine große Aufgabe, deren Erfüllung der größte Dienst
ist, welchen wir der Menschheit und Polen zu leisten haben.

Die andern Provinzen unseres Vaterlandes müssen fleißig ihr Augen¬
merk auf die Vorgänge im Posen'schen. in Ost- und Westpreußen und in
Oberschlesien richten und unseren Landsleuten, welche dort den Andrang der
Deutschen abzuwehren haben, so viel wie möglich hülfreiche Hand leisten.

Ausdauer, Vertrauen und Eintracht in der Abwehr! -- und wir werden
die Deutschen dereinst zurückdrängen; ihre Fürsorge aber um uns, welche sie
verwenden, wird deren Gewissen mit Vorwürfen belasten."

Unverkennbar ist es nicht Religiosität, was dem Verfasser und seinen
Gesinnungsgenossen in dem Kulturkampf den Platz anweist; in der Macht¬
stellung der römischen Hierarchie sieht der Pole vor Allem den letzten Halt
seiner nationalen Hoffnungen bedroht; so erklärt es sich denn auch, daß
polnische Protestanten, wie Herr von Kureatowski vor dem katholischen
Klerus in die Kniee sinken und den Nacken beugen!




Briefe aus der Kaiserstadt.

Nun ist auch der letzte maßgebende Factor unseres politischen Lebens,
der Bundesrath, in alle Winde zerstreut und die Zeit der sauern Gurken
ist mit ihrem ganzen Jammer über uns hereingebrochen. "Mit ihrem gan¬
zen Jammer"; freilich nur über jene Beklagenswerthen, die dem aufregungs-
und amusementsbedürftigen Publikum in den öffentlichen Blättern Tag
für Tag etwas Neues bieten sollen. Was Wunder, daß unter solchen Um¬
ständen das Geschlecht der politischen Enten gar trefflich gedeiht? Die Frie¬
densschalmet, welche angesichts der Fuldaer Bischofsconferenz so vielfach an¬
gestimmt oder wenigstens probirt wurde, ist deß Zeugniß. Welch ein herr¬
licher Zustand wäre es doch, wenn unsere Zeitungen, wenigstens die großen,
in der dürren Sommerzeit, gleichzeitig einen oder zwei Monate Ferien machten
und nur das Allernothwendigste, etwa die "telegraphischen Depeschen" und
die wichtigsten Localnachrichten, auf den Markt brächten! Aber es verlohnt
nicht der Mühe, diesen Gedanken weiter zu erörtern: nicht an der lieben


sammeln, unsere Kräfte nicht zersplittern, uns nicht gegenseitig reizen, sondern
in Eintracht durch Arbeit und Selbstaufopferung den Feind bekämpfen.
Dies ist in der That eine große Aufgabe, deren Erfüllung der größte Dienst
ist, welchen wir der Menschheit und Polen zu leisten haben.

Die andern Provinzen unseres Vaterlandes müssen fleißig ihr Augen¬
merk auf die Vorgänge im Posen'schen. in Ost- und Westpreußen und in
Oberschlesien richten und unseren Landsleuten, welche dort den Andrang der
Deutschen abzuwehren haben, so viel wie möglich hülfreiche Hand leisten.

Ausdauer, Vertrauen und Eintracht in der Abwehr! — und wir werden
die Deutschen dereinst zurückdrängen; ihre Fürsorge aber um uns, welche sie
verwenden, wird deren Gewissen mit Vorwürfen belasten."

Unverkennbar ist es nicht Religiosität, was dem Verfasser und seinen
Gesinnungsgenossen in dem Kulturkampf den Platz anweist; in der Macht¬
stellung der römischen Hierarchie sieht der Pole vor Allem den letzten Halt
seiner nationalen Hoffnungen bedroht; so erklärt es sich denn auch, daß
polnische Protestanten, wie Herr von Kureatowski vor dem katholischen
Klerus in die Kniee sinken und den Nacken beugen!




Briefe aus der Kaiserstadt.

Nun ist auch der letzte maßgebende Factor unseres politischen Lebens,
der Bundesrath, in alle Winde zerstreut und die Zeit der sauern Gurken
ist mit ihrem ganzen Jammer über uns hereingebrochen. „Mit ihrem gan¬
zen Jammer"; freilich nur über jene Beklagenswerthen, die dem aufregungs-
und amusementsbedürftigen Publikum in den öffentlichen Blättern Tag
für Tag etwas Neues bieten sollen. Was Wunder, daß unter solchen Um¬
ständen das Geschlecht der politischen Enten gar trefflich gedeiht? Die Frie¬
densschalmet, welche angesichts der Fuldaer Bischofsconferenz so vielfach an¬
gestimmt oder wenigstens probirt wurde, ist deß Zeugniß. Welch ein herr¬
licher Zustand wäre es doch, wenn unsere Zeitungen, wenigstens die großen,
in der dürren Sommerzeit, gleichzeitig einen oder zwei Monate Ferien machten
und nur das Allernothwendigste, etwa die „telegraphischen Depeschen" und
die wichtigsten Localnachrichten, auf den Markt brächten! Aber es verlohnt
nicht der Mühe, diesen Gedanken weiter zu erörtern: nicht an der lieben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/80>, abgerufen am 22.07.2024.