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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Schluß, und der moralische Eindruck, den er hervorbringt, ist in seiner Be¬
deutung unberechenbar und unschätzbar.

Es handelte sich nun darum, wo, wie und wann man sich schlagen
wollte. La Tremouille bestand darauf, den Angriff des Feindes keinenfalls
im Lager abzuwarten, sondern ihm im Sinne altfranzösischer Kampfesweise
entschlossen entgegenzurücken. Dazu aber mangelte nun wieder dem Könige
wie Bonnivet die Sicherheit des Willens. Man blieb dabei stehn, den An¬
griff im wohlbefestigten Lager, welches alle Zugänge nach Pavia sperrte,
abzuwarten, und während der König fortfuhr, seine Zeit wie bisher in
müssigen Spielen zu vertändeln, traf Bonnivet, in Ermangelung des fehlenden
Connetable, alle Vorkehrungen zum nahenden Schlachttage.

Fassen wir nun noch einmal das Gelände um Pavia ins Auge und ver¬
gegenwärtigen uns namentlich die Veränderungen, welche während der Be¬
lagerung in der Wegsamkeit und innern Verbindung des Terrains vor¬
genommen worden waren. Ueber den Tessin und seine südlichen Arme, den
Gravellone und den sog. "todten Tessin" hatte man Brückenübergänge her¬
gestellt. Der eine Tessin-Uebergang lag ober-, der andere unterhalb der Stadt.
Was den nördlich von Pavia liegenden Park von Certosa betrifft, so scheint
nicht das ganze bedeutende Terrain dieses Parks mit Holz bestanden gewesen
zu sein; namentlich in der Nähe des Jagdschlosses Mirabella war der Wald¬
bestand sehr dünn, und bis zur Ostmauer dehnte sich eine bedeutende Lichtung.
Durch diese Lichtung floß in nordsüdlicher Richtung das im Parke ent¬
springende Flüßchen Vernavola oder Vernacula in ziemlich tief eingeschnittenen
Rinnsal, der Ostmauer des Thiergartens fast parallel, um außerhalb desselben
bei Se. Pietra in den Tessin zu münden. Die Südmauer des Parks war,
wie schon erwähnt, während der Belagerung an mehreren Stellen durchbrochen
worden, um bequeme Verbindungen zwischen den im Thiergarten stehenden
Truppen und den die Stadt von der Ostseite her umlagernden Corps her¬
zustellen.

Bisher hatte die französische Armee in abgesonderten Lagern vor Pavia
gelegen; angesichts des Anmarsches der Kaiserlichen wurde aber das ganze
Heer im Osten der Stadt, Front gegen Mailand Z, cheval der Straße von
Lodi, welche der Feind marschierte, in ein Lager zusammengezogen, das auf
Bonnivet's Anordnung stark befestigt ward. Gegen die Stadt wurden Schanzen
aufgeworfen, um etwaigen Ausfällen Leyva's zu begegnen; die Südseite
sicherte der Strom; nach Osten wurden bis an den Park Wall und Graben
mit vorspringenden Basteien hergestellt und mit 65 Geschützen besetzt, von
denen wahrscheinlich 32 Stück zur Belagerungsartillerie gehörten. Weiter
nach Norden bildete die starke Parkmauer ein sehr bedeutendes Annciherungs-


Schluß, und der moralische Eindruck, den er hervorbringt, ist in seiner Be¬
deutung unberechenbar und unschätzbar.

Es handelte sich nun darum, wo, wie und wann man sich schlagen
wollte. La Tremouille bestand darauf, den Angriff des Feindes keinenfalls
im Lager abzuwarten, sondern ihm im Sinne altfranzösischer Kampfesweise
entschlossen entgegenzurücken. Dazu aber mangelte nun wieder dem Könige
wie Bonnivet die Sicherheit des Willens. Man blieb dabei stehn, den An¬
griff im wohlbefestigten Lager, welches alle Zugänge nach Pavia sperrte,
abzuwarten, und während der König fortfuhr, seine Zeit wie bisher in
müssigen Spielen zu vertändeln, traf Bonnivet, in Ermangelung des fehlenden
Connetable, alle Vorkehrungen zum nahenden Schlachttage.

Fassen wir nun noch einmal das Gelände um Pavia ins Auge und ver¬
gegenwärtigen uns namentlich die Veränderungen, welche während der Be¬
lagerung in der Wegsamkeit und innern Verbindung des Terrains vor¬
genommen worden waren. Ueber den Tessin und seine südlichen Arme, den
Gravellone und den sog. „todten Tessin" hatte man Brückenübergänge her¬
gestellt. Der eine Tessin-Uebergang lag ober-, der andere unterhalb der Stadt.
Was den nördlich von Pavia liegenden Park von Certosa betrifft, so scheint
nicht das ganze bedeutende Terrain dieses Parks mit Holz bestanden gewesen
zu sein; namentlich in der Nähe des Jagdschlosses Mirabella war der Wald¬
bestand sehr dünn, und bis zur Ostmauer dehnte sich eine bedeutende Lichtung.
Durch diese Lichtung floß in nordsüdlicher Richtung das im Parke ent¬
springende Flüßchen Vernavola oder Vernacula in ziemlich tief eingeschnittenen
Rinnsal, der Ostmauer des Thiergartens fast parallel, um außerhalb desselben
bei Se. Pietra in den Tessin zu münden. Die Südmauer des Parks war,
wie schon erwähnt, während der Belagerung an mehreren Stellen durchbrochen
worden, um bequeme Verbindungen zwischen den im Thiergarten stehenden
Truppen und den die Stadt von der Ostseite her umlagernden Corps her¬
zustellen.

Bisher hatte die französische Armee in abgesonderten Lagern vor Pavia
gelegen; angesichts des Anmarsches der Kaiserlichen wurde aber das ganze
Heer im Osten der Stadt, Front gegen Mailand Z, cheval der Straße von
Lodi, welche der Feind marschierte, in ein Lager zusammengezogen, das auf
Bonnivet's Anordnung stark befestigt ward. Gegen die Stadt wurden Schanzen
aufgeworfen, um etwaigen Ausfällen Leyva's zu begegnen; die Südseite
sicherte der Strom; nach Osten wurden bis an den Park Wall und Graben
mit vorspringenden Basteien hergestellt und mit 65 Geschützen besetzt, von
denen wahrscheinlich 32 Stück zur Belagerungsartillerie gehörten. Weiter
nach Norden bildete die starke Parkmauer ein sehr bedeutendes Annciherungs-


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[0068] Schluß, und der moralische Eindruck, den er hervorbringt, ist in seiner Be¬ deutung unberechenbar und unschätzbar. Es handelte sich nun darum, wo, wie und wann man sich schlagen wollte. La Tremouille bestand darauf, den Angriff des Feindes keinenfalls im Lager abzuwarten, sondern ihm im Sinne altfranzösischer Kampfesweise entschlossen entgegenzurücken. Dazu aber mangelte nun wieder dem Könige wie Bonnivet die Sicherheit des Willens. Man blieb dabei stehn, den An¬ griff im wohlbefestigten Lager, welches alle Zugänge nach Pavia sperrte, abzuwarten, und während der König fortfuhr, seine Zeit wie bisher in müssigen Spielen zu vertändeln, traf Bonnivet, in Ermangelung des fehlenden Connetable, alle Vorkehrungen zum nahenden Schlachttage. Fassen wir nun noch einmal das Gelände um Pavia ins Auge und ver¬ gegenwärtigen uns namentlich die Veränderungen, welche während der Be¬ lagerung in der Wegsamkeit und innern Verbindung des Terrains vor¬ genommen worden waren. Ueber den Tessin und seine südlichen Arme, den Gravellone und den sog. „todten Tessin" hatte man Brückenübergänge her¬ gestellt. Der eine Tessin-Uebergang lag ober-, der andere unterhalb der Stadt. Was den nördlich von Pavia liegenden Park von Certosa betrifft, so scheint nicht das ganze bedeutende Terrain dieses Parks mit Holz bestanden gewesen zu sein; namentlich in der Nähe des Jagdschlosses Mirabella war der Wald¬ bestand sehr dünn, und bis zur Ostmauer dehnte sich eine bedeutende Lichtung. Durch diese Lichtung floß in nordsüdlicher Richtung das im Parke ent¬ springende Flüßchen Vernavola oder Vernacula in ziemlich tief eingeschnittenen Rinnsal, der Ostmauer des Thiergartens fast parallel, um außerhalb desselben bei Se. Pietra in den Tessin zu münden. Die Südmauer des Parks war, wie schon erwähnt, während der Belagerung an mehreren Stellen durchbrochen worden, um bequeme Verbindungen zwischen den im Thiergarten stehenden Truppen und den die Stadt von der Ostseite her umlagernden Corps her¬ zustellen. Bisher hatte die französische Armee in abgesonderten Lagern vor Pavia gelegen; angesichts des Anmarsches der Kaiserlichen wurde aber das ganze Heer im Osten der Stadt, Front gegen Mailand Z, cheval der Straße von Lodi, welche der Feind marschierte, in ein Lager zusammengezogen, das auf Bonnivet's Anordnung stark befestigt ward. Gegen die Stadt wurden Schanzen aufgeworfen, um etwaigen Ausfällen Leyva's zu begegnen; die Südseite sicherte der Strom; nach Osten wurden bis an den Park Wall und Graben mit vorspringenden Basteien hergestellt und mit 65 Geschützen besetzt, von denen wahrscheinlich 32 Stück zur Belagerungsartillerie gehörten. Weiter nach Norden bildete die starke Parkmauer ein sehr bedeutendes Annciherungs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/68>, abgerufen am 22.07.2024.