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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Schlacht erreicht werden, ja das Vermeiden einer solchen werde die größte
Widerwärtigkeit sein, welche dem Feinde begegnen könne. Das königliche
Heer möge hinter dem Naviglio ti Pavia bei Binasco oder Certosa eine
Defensivstellung beziehn oder gar, unter Räumung Mailands, jenseits des
Tessin Winterquartiere nehmen, Verstärkungen aus Frankreich und der Schweiz
an sich ziehn, um dann im Frühjahr als einziger und alleingebietender Macht¬
haber im Po-Gebiete dazustehn. Denn das kaiserliche Heer sei mittellos; der
Kommandant von Pavia habe jedoch seiner Garnison vorgespiegelt, das
Entsatzheer bringe reichlich Geld mit, um alle ihre Ansprüche zu befriedigen,
ebenso sei das Feldheer auf die Summen vertröstet, die im französischen Lager
erbeutet werden würden; erwiese sich nun diese Verheißung als trügerisch, so
könne man gewiß sein, daß sich die Garnison von Pavia sofort, die Truppen
des Entsatzheeres aber binnen kurzer Frist verlaufen würden. -- Eine solche
Speculation war jedoch ganz und gar nicht nach dem Geschmack des Roi
Mntilliolnms, welcher wiederholt prahlerisch ausgesprochen und geschrieben
hatte, daß er Pavia nehmen oder unter dessen Mauern sterben werde. Weit
besser als die alten Herren verstand sich auf die Stimmung Franz I., des
Königs Liebling, der Admiral von Bonnivet, den wir von dem unglücklichen
Rückzüge bei Gattinana her kennen. Dieser Herr, der liebenswürdigste Cavalier
des Hofes, der aber wahrscheinlich ein besserer Ceremonienmeister als Feldherr
war. erklärte sich entschieden für die Fortsetzung der Belagerung und Annahme
der Schlacht vor Pavia, weil da, wo die königliche Würde Gefahr laufe,
compromittirt zu werden, alle anderen Rücksichten zu weichen hätten. Wie!
An der Spitze des ganzen Adels von Frankreich sollte der König vor dem
Verräther Bourbon fliehen!? La Paliee wollte entgegen, aber er ward von
Montmorency, Se. Marsault und Brion zum Schweigen gebracht, und der
Admiral warf ihm sogar vor, er habe bei seinem Rathe mehr sein hohes
Alter als sein großes Herz befragt. Franz I. blieb nach dieser Debatte bei
seiner ursprünglichen, der Schlacht geneigten Ansicht stehen und hatte sicherlich
Recht, es zu thun: Nicht aus dem Grunde, den Bonnivet geltend machte,
sondern weil die Sachlage an sich aufforderte, den Kampf anzunehmen.
Franz war der Stärkere, war vortrefflich verschanzt; seine Verbindungen rück¬
wärts konnten vom Feinde unter keinen Umständen gefährdet werden, und
wenn die Calculation der alten Herren, welche auf das Auseinanderlaufen
des Feindes rechneten, auch richtig sein mochte, so hatte der König doch ein
natürliches Gefühl dafür, daß ein Sieg mehr werth sei, als ein solches
gewissermaßen negatives Resultat. Allerdings geht ja auch der Sieg aus
der Vernichtung oder dem Niederwerfen des Gegners hervor; aber er hat
auch an sich einen positiven Werth; er gewährt einen großartigen Ab-


Schlacht erreicht werden, ja das Vermeiden einer solchen werde die größte
Widerwärtigkeit sein, welche dem Feinde begegnen könne. Das königliche
Heer möge hinter dem Naviglio ti Pavia bei Binasco oder Certosa eine
Defensivstellung beziehn oder gar, unter Räumung Mailands, jenseits des
Tessin Winterquartiere nehmen, Verstärkungen aus Frankreich und der Schweiz
an sich ziehn, um dann im Frühjahr als einziger und alleingebietender Macht¬
haber im Po-Gebiete dazustehn. Denn das kaiserliche Heer sei mittellos; der
Kommandant von Pavia habe jedoch seiner Garnison vorgespiegelt, das
Entsatzheer bringe reichlich Geld mit, um alle ihre Ansprüche zu befriedigen,
ebenso sei das Feldheer auf die Summen vertröstet, die im französischen Lager
erbeutet werden würden; erwiese sich nun diese Verheißung als trügerisch, so
könne man gewiß sein, daß sich die Garnison von Pavia sofort, die Truppen
des Entsatzheeres aber binnen kurzer Frist verlaufen würden. — Eine solche
Speculation war jedoch ganz und gar nicht nach dem Geschmack des Roi
Mntilliolnms, welcher wiederholt prahlerisch ausgesprochen und geschrieben
hatte, daß er Pavia nehmen oder unter dessen Mauern sterben werde. Weit
besser als die alten Herren verstand sich auf die Stimmung Franz I., des
Königs Liebling, der Admiral von Bonnivet, den wir von dem unglücklichen
Rückzüge bei Gattinana her kennen. Dieser Herr, der liebenswürdigste Cavalier
des Hofes, der aber wahrscheinlich ein besserer Ceremonienmeister als Feldherr
war. erklärte sich entschieden für die Fortsetzung der Belagerung und Annahme
der Schlacht vor Pavia, weil da, wo die königliche Würde Gefahr laufe,
compromittirt zu werden, alle anderen Rücksichten zu weichen hätten. Wie!
An der Spitze des ganzen Adels von Frankreich sollte der König vor dem
Verräther Bourbon fliehen!? La Paliee wollte entgegen, aber er ward von
Montmorency, Se. Marsault und Brion zum Schweigen gebracht, und der
Admiral warf ihm sogar vor, er habe bei seinem Rathe mehr sein hohes
Alter als sein großes Herz befragt. Franz I. blieb nach dieser Debatte bei
seiner ursprünglichen, der Schlacht geneigten Ansicht stehen und hatte sicherlich
Recht, es zu thun: Nicht aus dem Grunde, den Bonnivet geltend machte,
sondern weil die Sachlage an sich aufforderte, den Kampf anzunehmen.
Franz war der Stärkere, war vortrefflich verschanzt; seine Verbindungen rück¬
wärts konnten vom Feinde unter keinen Umständen gefährdet werden, und
wenn die Calculation der alten Herren, welche auf das Auseinanderlaufen
des Feindes rechneten, auch richtig sein mochte, so hatte der König doch ein
natürliches Gefühl dafür, daß ein Sieg mehr werth sei, als ein solches
gewissermaßen negatives Resultat. Allerdings geht ja auch der Sieg aus
der Vernichtung oder dem Niederwerfen des Gegners hervor; aber er hat
auch an sich einen positiven Werth; er gewährt einen großartigen Ab-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/67>, abgerufen am 22.07.2024.