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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Pulver, zweihundert Schlangenbüchsen, drei mächtige Hauptbüchsen. Die
Summe der erbeuteten Kostbarkeiten und des baaren Geldes wird auf
300,000 Gulden angegeben. --

Die Erwartung, die Hans Viel oder wer der Dichter des oben mit¬
getheilten Liedes ist, in unserer 16. Strophe ausspricht, der Herzog werde sich
nun wohl länger besinnen, ehe er an einen Rachezug denke, sollte sich nicht
bestätigen. Die treffliche militärische Verfassung seiner Lande befähigte ihn,
auf der Stelle ein neues Heer zu organistren. Galeazzo von Mailand und
die Venediger leisteten Zuzug, Herzogin Jolante unterstützte ihn auf alle
Weise. Jakob von Romont erschien zuerst wieder im Feld und besetzte die
Waal aufs Neue. Karl lag von Mitte März bis Anfang Juni vor Lau¬
sanne, die Zuzüge der Bundesgenossen erwartend und das Berner Gebiet von
Süden her bedrohend. Hier war die Beste Murten am gleichnamigen See
die Grenzmarke des Landes. Hierher hatten die Berner, die strategische
Wichtigkeit des Ortes erkennend, eine Besatzung von 1S00 Mann unter Adrian
von Bubenberg geworfen. Dieser, ein warmer Patriot und Führer der
nationalen Partei in Bern, hatte sich, seit dem Siege der französisch Gesinnten,
auf sein Schloß Spiez am Thuner See zurückgezogen, jetzt aber, da ihn die
Wahl seiner Mitbürger auf den gefährlichsten Posten berief, zögerte er keinen
Augenblick. Am 9. Juni erschien die Vorhut des Herzogs von Süden her
vor Murten; am 11. war die Veste rings mit Ausnahme der Wasserseite
eingeschlossen. Im Süden und Osten lag der Herzog selbst mit der Haupt¬
macht, im Norden der Graf von Romont, der um die Nordspitze des Sees
gegangen war, mit schwerem Geschütz. Wiederholt wurde von den Herzog¬
lichen gestürmt, besonders heftig, aber vergeblich und unter schweren Verlusten
an einem Dienstag, den 20. Juni, in der Nacht. Man schrieb Drohbriefe
an die Besatzung und schoß sie" mit Pfeilen über die Mauer. Aber der
Bubenberg ließ sich nicht schrecken. Er befahl der Besatzung, sich still zu
halten, damit der Feind nicht ihre Schwäche merke. An die Berner aber
schrieb er, sie möchten sich "nur nicht übereilen, sondern ruhig die Zuzüge der
Eidgenossen und des obern Bundes abwarten. Wir fügen hier aus dem
trefflichen Liede Veit Weber's "von dem Streit von Murten" gleich die bezüg¬
lichen Strophen ein:


[Beginn Spaltensatz]
Mein Herz ist aller Freuden voll,
Darum ich aber singen soll
Und wie es ist ergangen.
Mich hat verlanget Tag und Nacht,
Bis sich der Schimpf") nun hat gemacht,
Nach dem ich hab' Verlangen.
[Spaltenumbruch]
Der Herzog, von Burgund genannt,
Der kam vor Murten hingerannt,
Sein'n Schaden wollt' er rächen, ^
Den man vor Granson ihm gethan;
Seine Zelte spannt' er auf den Plan,
Murten wollt' er zerbrechen.
[Ende Spaltensatz]

") Scherz.

Pulver, zweihundert Schlangenbüchsen, drei mächtige Hauptbüchsen. Die
Summe der erbeuteten Kostbarkeiten und des baaren Geldes wird auf
300,000 Gulden angegeben. —

Die Erwartung, die Hans Viel oder wer der Dichter des oben mit¬
getheilten Liedes ist, in unserer 16. Strophe ausspricht, der Herzog werde sich
nun wohl länger besinnen, ehe er an einen Rachezug denke, sollte sich nicht
bestätigen. Die treffliche militärische Verfassung seiner Lande befähigte ihn,
auf der Stelle ein neues Heer zu organistren. Galeazzo von Mailand und
die Venediger leisteten Zuzug, Herzogin Jolante unterstützte ihn auf alle
Weise. Jakob von Romont erschien zuerst wieder im Feld und besetzte die
Waal aufs Neue. Karl lag von Mitte März bis Anfang Juni vor Lau¬
sanne, die Zuzüge der Bundesgenossen erwartend und das Berner Gebiet von
Süden her bedrohend. Hier war die Beste Murten am gleichnamigen See
die Grenzmarke des Landes. Hierher hatten die Berner, die strategische
Wichtigkeit des Ortes erkennend, eine Besatzung von 1S00 Mann unter Adrian
von Bubenberg geworfen. Dieser, ein warmer Patriot und Führer der
nationalen Partei in Bern, hatte sich, seit dem Siege der französisch Gesinnten,
auf sein Schloß Spiez am Thuner See zurückgezogen, jetzt aber, da ihn die
Wahl seiner Mitbürger auf den gefährlichsten Posten berief, zögerte er keinen
Augenblick. Am 9. Juni erschien die Vorhut des Herzogs von Süden her
vor Murten; am 11. war die Veste rings mit Ausnahme der Wasserseite
eingeschlossen. Im Süden und Osten lag der Herzog selbst mit der Haupt¬
macht, im Norden der Graf von Romont, der um die Nordspitze des Sees
gegangen war, mit schwerem Geschütz. Wiederholt wurde von den Herzog¬
lichen gestürmt, besonders heftig, aber vergeblich und unter schweren Verlusten
an einem Dienstag, den 20. Juni, in der Nacht. Man schrieb Drohbriefe
an die Besatzung und schoß sie« mit Pfeilen über die Mauer. Aber der
Bubenberg ließ sich nicht schrecken. Er befahl der Besatzung, sich still zu
halten, damit der Feind nicht ihre Schwäche merke. An die Berner aber
schrieb er, sie möchten sich "nur nicht übereilen, sondern ruhig die Zuzüge der
Eidgenossen und des obern Bundes abwarten. Wir fügen hier aus dem
trefflichen Liede Veit Weber's „von dem Streit von Murten" gleich die bezüg¬
lichen Strophen ein:


[Beginn Spaltensatz]
Mein Herz ist aller Freuden voll,
Darum ich aber singen soll
Und wie es ist ergangen.
Mich hat verlanget Tag und Nacht,
Bis sich der Schimpf") nun hat gemacht,
Nach dem ich hab' Verlangen.
[Spaltenumbruch]
Der Herzog, von Burgund genannt,
Der kam vor Murten hingerannt,
Sein'n Schaden wollt' er rächen, ^
Den man vor Granson ihm gethan;
Seine Zelte spannt' er auf den Plan,
Murten wollt' er zerbrechen.
[Ende Spaltensatz]

") Scherz.
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[0518] Pulver, zweihundert Schlangenbüchsen, drei mächtige Hauptbüchsen. Die Summe der erbeuteten Kostbarkeiten und des baaren Geldes wird auf 300,000 Gulden angegeben. — Die Erwartung, die Hans Viel oder wer der Dichter des oben mit¬ getheilten Liedes ist, in unserer 16. Strophe ausspricht, der Herzog werde sich nun wohl länger besinnen, ehe er an einen Rachezug denke, sollte sich nicht bestätigen. Die treffliche militärische Verfassung seiner Lande befähigte ihn, auf der Stelle ein neues Heer zu organistren. Galeazzo von Mailand und die Venediger leisteten Zuzug, Herzogin Jolante unterstützte ihn auf alle Weise. Jakob von Romont erschien zuerst wieder im Feld und besetzte die Waal aufs Neue. Karl lag von Mitte März bis Anfang Juni vor Lau¬ sanne, die Zuzüge der Bundesgenossen erwartend und das Berner Gebiet von Süden her bedrohend. Hier war die Beste Murten am gleichnamigen See die Grenzmarke des Landes. Hierher hatten die Berner, die strategische Wichtigkeit des Ortes erkennend, eine Besatzung von 1S00 Mann unter Adrian von Bubenberg geworfen. Dieser, ein warmer Patriot und Führer der nationalen Partei in Bern, hatte sich, seit dem Siege der französisch Gesinnten, auf sein Schloß Spiez am Thuner See zurückgezogen, jetzt aber, da ihn die Wahl seiner Mitbürger auf den gefährlichsten Posten berief, zögerte er keinen Augenblick. Am 9. Juni erschien die Vorhut des Herzogs von Süden her vor Murten; am 11. war die Veste rings mit Ausnahme der Wasserseite eingeschlossen. Im Süden und Osten lag der Herzog selbst mit der Haupt¬ macht, im Norden der Graf von Romont, der um die Nordspitze des Sees gegangen war, mit schwerem Geschütz. Wiederholt wurde von den Herzog¬ lichen gestürmt, besonders heftig, aber vergeblich und unter schweren Verlusten an einem Dienstag, den 20. Juni, in der Nacht. Man schrieb Drohbriefe an die Besatzung und schoß sie« mit Pfeilen über die Mauer. Aber der Bubenberg ließ sich nicht schrecken. Er befahl der Besatzung, sich still zu halten, damit der Feind nicht ihre Schwäche merke. An die Berner aber schrieb er, sie möchten sich "nur nicht übereilen, sondern ruhig die Zuzüge der Eidgenossen und des obern Bundes abwarten. Wir fügen hier aus dem trefflichen Liede Veit Weber's „von dem Streit von Murten" gleich die bezüg¬ lichen Strophen ein: Mein Herz ist aller Freuden voll, Darum ich aber singen soll Und wie es ist ergangen. Mich hat verlanget Tag und Nacht, Bis sich der Schimpf") nun hat gemacht, Nach dem ich hab' Verlangen. Der Herzog, von Burgund genannt, Der kam vor Murten hingerannt, Sein'n Schaden wollt' er rächen, ^ Den man vor Granson ihm gethan; Seine Zelte spannt' er auf den Plan, Murten wollt' er zerbrechen. ") Scherz.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/518>, abgerufen am 23.07.2024.