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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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macht vor den südlichen Jurapässen, nahm ohne Widerstand Jougne und
Orbe und legte sich mit einem Heere von 50,000 Mann und großem Geschütz¬
park vor Granson, das von 300 Bernern besetzt war. Sein befestigtes Lager,
das wegen der Menge der Zelte einer Stadt glich, umfaßte im Norden und
Westen die Stadt und war nordwärts durch das Flüßchen Amor gedeckt.
Granson ward wiederholt bestürmt und die Stadt genommen. Darauf ergab
sich am 28. Februar die Besatzung des Schlosses, nachdem ihnen Hoffnung
auf freien Abzug erregt worden war. Aber der Herzog ließ sie bis auf den
letzten Mann theils an den Bäumen um Granson aufhängen, theils im See
ertränken. Die unnöthige Grausamkeit erbitterte die gesammte Eidgenossen¬
schaft aufs äußerste. Bern hatte schon in den ersten Tagen des Februar
überallhin schleunige Mahnbriefe geschickt. Freiburg, Solothurn und Biel
stellten sich zuerst; bald kamen auch die Waldstätte, die Zürcher, Luzerner,
Glarner, Baseler und die Städte aus Oberelsaß. Oesterreich ließ lange auf
sich warten und kam zur Schlacht zu spät; die schwäbischen Städte sandten
ausweichende Antworten, das Reich kümmerte sich gar nicht um die Bedrängniß
der Eidgenossen, was gerechte Erbitterung erregte.

Am 1. März zog das bundesgenössische Heer bei Neufchatel um die
Spitze des Sees. Nordwärts vor Karl's Lager, das sich über eine Hügelreihe
erstreckte, dehnte sich eine mit Weinbergen besetzte, hügelige Ebene bis zur
Karthause la Laune, wo die Berge dichter an den See treten, so daß für die
nach Norden ziehende Straße nur ein schmaler Raum bleibt. Hier hatte
Karl das feste Schloß Vauxmarcus (Famerkus) besetzt, um von hier aus
seinen Weg auf Bern zu nehmen. Als er hörte, daß die Schweizer heran¬
zögen, verließ er unvorsichtiger Weise seine feste Stellung und ging mit dem
Heere über den Amor. Es war an einem Samstag (2. März). Die Eid¬
genossen waren in aller Frühe aufgebrochen, um das Defile' bei la Laune vor
den Burgundern zu erreichen. Ein Haufe Schwyzer und Thuner zog west¬
wärts auf Bergpfaden über Vernea und stieg über die nordwestlichen Abhänge
in die Ebene hinab. Sofort wurden sie mit den Spitzen des burgundischen
Heeres handgemein, aber sie standen, trotz ihrer geringen Anzahl, im Ringe
um ihre Banner geschaart. mit vorgestreckten Hellebarten unerschütterlich fest.
Indem kam das Gros des Heeres an dem Defile an und hörte oder sah das
Getümmel des Kampfes. "Da kniete", erzählt der Chronist, "männiglich
nieder mit ausgebreiteten Armen und riefen den allmächtigen Gott an mit
großem Ernste, daß er ihnen den Wütherich von Burgund, der mit so großer
Macht vor ihnen hielt, hülfe überwinden. Und da sie also mit ausgebreiteten
Armen beteten, da vermeinten die Feinde, sie begehrten Gnade und wollten
sich an sie ergeben." -- Jetzt aber drängte die Masse mit der größten Hast,
die Berner voran, auf dem durch Schlackwetter aufgeweichten Wege durch die


macht vor den südlichen Jurapässen, nahm ohne Widerstand Jougne und
Orbe und legte sich mit einem Heere von 50,000 Mann und großem Geschütz¬
park vor Granson, das von 300 Bernern besetzt war. Sein befestigtes Lager,
das wegen der Menge der Zelte einer Stadt glich, umfaßte im Norden und
Westen die Stadt und war nordwärts durch das Flüßchen Amor gedeckt.
Granson ward wiederholt bestürmt und die Stadt genommen. Darauf ergab
sich am 28. Februar die Besatzung des Schlosses, nachdem ihnen Hoffnung
auf freien Abzug erregt worden war. Aber der Herzog ließ sie bis auf den
letzten Mann theils an den Bäumen um Granson aufhängen, theils im See
ertränken. Die unnöthige Grausamkeit erbitterte die gesammte Eidgenossen¬
schaft aufs äußerste. Bern hatte schon in den ersten Tagen des Februar
überallhin schleunige Mahnbriefe geschickt. Freiburg, Solothurn und Biel
stellten sich zuerst; bald kamen auch die Waldstätte, die Zürcher, Luzerner,
Glarner, Baseler und die Städte aus Oberelsaß. Oesterreich ließ lange auf
sich warten und kam zur Schlacht zu spät; die schwäbischen Städte sandten
ausweichende Antworten, das Reich kümmerte sich gar nicht um die Bedrängniß
der Eidgenossen, was gerechte Erbitterung erregte.

Am 1. März zog das bundesgenössische Heer bei Neufchatel um die
Spitze des Sees. Nordwärts vor Karl's Lager, das sich über eine Hügelreihe
erstreckte, dehnte sich eine mit Weinbergen besetzte, hügelige Ebene bis zur
Karthause la Laune, wo die Berge dichter an den See treten, so daß für die
nach Norden ziehende Straße nur ein schmaler Raum bleibt. Hier hatte
Karl das feste Schloß Vauxmarcus (Famerkus) besetzt, um von hier aus
seinen Weg auf Bern zu nehmen. Als er hörte, daß die Schweizer heran¬
zögen, verließ er unvorsichtiger Weise seine feste Stellung und ging mit dem
Heere über den Amor. Es war an einem Samstag (2. März). Die Eid¬
genossen waren in aller Frühe aufgebrochen, um das Defile' bei la Laune vor
den Burgundern zu erreichen. Ein Haufe Schwyzer und Thuner zog west¬
wärts auf Bergpfaden über Vernea und stieg über die nordwestlichen Abhänge
in die Ebene hinab. Sofort wurden sie mit den Spitzen des burgundischen
Heeres handgemein, aber sie standen, trotz ihrer geringen Anzahl, im Ringe
um ihre Banner geschaart. mit vorgestreckten Hellebarten unerschütterlich fest.
Indem kam das Gros des Heeres an dem Defile an und hörte oder sah das
Getümmel des Kampfes. „Da kniete", erzählt der Chronist, „männiglich
nieder mit ausgebreiteten Armen und riefen den allmächtigen Gott an mit
großem Ernste, daß er ihnen den Wütherich von Burgund, der mit so großer
Macht vor ihnen hielt, hülfe überwinden. Und da sie also mit ausgebreiteten
Armen beteten, da vermeinten die Feinde, sie begehrten Gnade und wollten
sich an sie ergeben." — Jetzt aber drängte die Masse mit der größten Hast,
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[0514] macht vor den südlichen Jurapässen, nahm ohne Widerstand Jougne und Orbe und legte sich mit einem Heere von 50,000 Mann und großem Geschütz¬ park vor Granson, das von 300 Bernern besetzt war. Sein befestigtes Lager, das wegen der Menge der Zelte einer Stadt glich, umfaßte im Norden und Westen die Stadt und war nordwärts durch das Flüßchen Amor gedeckt. Granson ward wiederholt bestürmt und die Stadt genommen. Darauf ergab sich am 28. Februar die Besatzung des Schlosses, nachdem ihnen Hoffnung auf freien Abzug erregt worden war. Aber der Herzog ließ sie bis auf den letzten Mann theils an den Bäumen um Granson aufhängen, theils im See ertränken. Die unnöthige Grausamkeit erbitterte die gesammte Eidgenossen¬ schaft aufs äußerste. Bern hatte schon in den ersten Tagen des Februar überallhin schleunige Mahnbriefe geschickt. Freiburg, Solothurn und Biel stellten sich zuerst; bald kamen auch die Waldstätte, die Zürcher, Luzerner, Glarner, Baseler und die Städte aus Oberelsaß. Oesterreich ließ lange auf sich warten und kam zur Schlacht zu spät; die schwäbischen Städte sandten ausweichende Antworten, das Reich kümmerte sich gar nicht um die Bedrängniß der Eidgenossen, was gerechte Erbitterung erregte. Am 1. März zog das bundesgenössische Heer bei Neufchatel um die Spitze des Sees. Nordwärts vor Karl's Lager, das sich über eine Hügelreihe erstreckte, dehnte sich eine mit Weinbergen besetzte, hügelige Ebene bis zur Karthause la Laune, wo die Berge dichter an den See treten, so daß für die nach Norden ziehende Straße nur ein schmaler Raum bleibt. Hier hatte Karl das feste Schloß Vauxmarcus (Famerkus) besetzt, um von hier aus seinen Weg auf Bern zu nehmen. Als er hörte, daß die Schweizer heran¬ zögen, verließ er unvorsichtiger Weise seine feste Stellung und ging mit dem Heere über den Amor. Es war an einem Samstag (2. März). Die Eid¬ genossen waren in aller Frühe aufgebrochen, um das Defile' bei la Laune vor den Burgundern zu erreichen. Ein Haufe Schwyzer und Thuner zog west¬ wärts auf Bergpfaden über Vernea und stieg über die nordwestlichen Abhänge in die Ebene hinab. Sofort wurden sie mit den Spitzen des burgundischen Heeres handgemein, aber sie standen, trotz ihrer geringen Anzahl, im Ringe um ihre Banner geschaart. mit vorgestreckten Hellebarten unerschütterlich fest. Indem kam das Gros des Heeres an dem Defile an und hörte oder sah das Getümmel des Kampfes. „Da kniete", erzählt der Chronist, „männiglich nieder mit ausgebreiteten Armen und riefen den allmächtigen Gott an mit großem Ernste, daß er ihnen den Wütherich von Burgund, der mit so großer Macht vor ihnen hielt, hülfe überwinden. Und da sie also mit ausgebreiteten Armen beteten, da vermeinten die Feinde, sie begehrten Gnade und wollten sich an sie ergeben." — Jetzt aber drängte die Masse mit der größten Hast, die Berner voran, auf dem durch Schlackwetter aufgeweichten Wege durch die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/514>, abgerufen am 22.07.2024.