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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Enge. In einzelnen Zügen, wie sie eben ankamen, stürzten sie sich in die
Schlacht und formirter kämpfend ihre Ordnungen. "Da der Herzog von
Burgund sah den Zug den Berg herabziehen, schien die Sonne gerade auf sie
und es blitzte wie ein Spiegel. Zugleich brüllte das Horn von Uri, auch die
Harschhörner von Luzern, und war ein solches Tosen, daß des Herzogen von
Burgund Leute ein groß Grausen darob empfingen und traten hinter sich."
Ein anderer Chronist erzählt, als das Heer der Eidgenossen sich aus dem
Engpaß entwickelte, habe der Herzog einen gefangenen Schweizer gefragt:
"Was ist das für ein wildes Volk, sind das auch Eidgenossen?" -- Die
Burgunder, dem furchtbaren Ansturm nachgebend, zogen sich vorsichtig in die
Weinberge zurück. Hier hatte der Prinz Ludwig von Chateau - Guyon einen
Hinterhalt von 6000 Pferden gelegt, welcher durch Hecken und Gebüsch den
Eidgenossen in die Flanke brach. Aber die Reiter wurden blutig zurückgewiesen
und bis über den Amor geworfen. Jetzt bemächtigte sich ein panischer Schreck
des burgundischen Heeres. Alles drängte zurück nach der verlassenen Wagen¬
burg, die Eidgenossen auf dem Fuße nach. Karl hieb vergeblich auf die
Fliehenden ein, um sie zurückzutreiben. Die Wagenburg ward genommen
sammt dem ganzen unermeßlichen Reichthum der herzoglichen Hofzelte: 600
Banner, 420 Büchsen, Karl's goldenes Siegel und mit Edelsteinen und
Perlen besetzter Degen, angeblich auch ein Buch "des burgundischen Heeres
Ordnung" enthaltend, u. s. w. "Daher es in Kurzem kam, daß in den
Städten und auf dem Lande allenthalben so viel köstlicher seidener Kleider
und Wämser, dazu auch andere Köstlichkeit gemacht und getragen wurden,
daß es so gemein war, als ander schlecht Tuch und Kleider." -- Anderthalb
Meilen weit verfolgten die Schweizer und vermißten dabei sehr die Stra߬
burger Reiterei, die des schlechten Weges halber zurückgeblieben war. Die
Besatzung von Granson ward zur Rache für die 300 Berner getödtet, das
Heer campirte noch drei Tage auf dem Schlachtfeld und zog dann heim.

So weit der Bericht der Chronisten. Wir wollen jetzt sehen, welchen
Eindruck der großartige Sieg auf die Zeitgenossen, aus das Volk gemacht
hat; des Volkes Mund aber spricht durch seine Dichter. Zuerst ein Lied von
einem Luzerner, vielleicht von Hans Vivi oder Viel, das durch Bilderreichthum,
Energie des Ausdrucks, kernige Kraft und patriotisches Feuer die alten echten
Volkslieder "vom Streit zu Sempach" erreicht:


[Beginn Spaltensatz]
Oesterreich, du schlafest gar zu lang,
Daß dich nicht weckt der Vogelsang,
Hast dich der Messe versäumet.
Der Burgunder hat sich ganz vermessen
Er wollt' zu Bern und Freiburg Küch-
kein essen;
Der Bär Hut ihm die Pfanne geräumet.
[Spaltenumbruch]
Darnach der Bär zog auf den Plan,
Und Schwvz, das Crucifix voran
Mit des göttlichen Sohnes Marter.
Da schwebt der Stern vom Orient,
Der den drei'n Königen ward gehend't,
Und zündet an allen Orten.
[Ende Spaltensatz]

Enge. In einzelnen Zügen, wie sie eben ankamen, stürzten sie sich in die
Schlacht und formirter kämpfend ihre Ordnungen. „Da der Herzog von
Burgund sah den Zug den Berg herabziehen, schien die Sonne gerade auf sie
und es blitzte wie ein Spiegel. Zugleich brüllte das Horn von Uri, auch die
Harschhörner von Luzern, und war ein solches Tosen, daß des Herzogen von
Burgund Leute ein groß Grausen darob empfingen und traten hinter sich."
Ein anderer Chronist erzählt, als das Heer der Eidgenossen sich aus dem
Engpaß entwickelte, habe der Herzog einen gefangenen Schweizer gefragt:
„Was ist das für ein wildes Volk, sind das auch Eidgenossen?" — Die
Burgunder, dem furchtbaren Ansturm nachgebend, zogen sich vorsichtig in die
Weinberge zurück. Hier hatte der Prinz Ludwig von Chateau - Guyon einen
Hinterhalt von 6000 Pferden gelegt, welcher durch Hecken und Gebüsch den
Eidgenossen in die Flanke brach. Aber die Reiter wurden blutig zurückgewiesen
und bis über den Amor geworfen. Jetzt bemächtigte sich ein panischer Schreck
des burgundischen Heeres. Alles drängte zurück nach der verlassenen Wagen¬
burg, die Eidgenossen auf dem Fuße nach. Karl hieb vergeblich auf die
Fliehenden ein, um sie zurückzutreiben. Die Wagenburg ward genommen
sammt dem ganzen unermeßlichen Reichthum der herzoglichen Hofzelte: 600
Banner, 420 Büchsen, Karl's goldenes Siegel und mit Edelsteinen und
Perlen besetzter Degen, angeblich auch ein Buch „des burgundischen Heeres
Ordnung" enthaltend, u. s. w. „Daher es in Kurzem kam, daß in den
Städten und auf dem Lande allenthalben so viel köstlicher seidener Kleider
und Wämser, dazu auch andere Köstlichkeit gemacht und getragen wurden,
daß es so gemein war, als ander schlecht Tuch und Kleider." — Anderthalb
Meilen weit verfolgten die Schweizer und vermißten dabei sehr die Stra߬
burger Reiterei, die des schlechten Weges halber zurückgeblieben war. Die
Besatzung von Granson ward zur Rache für die 300 Berner getödtet, das
Heer campirte noch drei Tage auf dem Schlachtfeld und zog dann heim.

So weit der Bericht der Chronisten. Wir wollen jetzt sehen, welchen
Eindruck der großartige Sieg auf die Zeitgenossen, aus das Volk gemacht
hat; des Volkes Mund aber spricht durch seine Dichter. Zuerst ein Lied von
einem Luzerner, vielleicht von Hans Vivi oder Viel, das durch Bilderreichthum,
Energie des Ausdrucks, kernige Kraft und patriotisches Feuer die alten echten
Volkslieder „vom Streit zu Sempach" erreicht:


[Beginn Spaltensatz]
Oesterreich, du schlafest gar zu lang,
Daß dich nicht weckt der Vogelsang,
Hast dich der Messe versäumet.
Der Burgunder hat sich ganz vermessen
Er wollt' zu Bern und Freiburg Küch-
kein essen;
Der Bär Hut ihm die Pfanne geräumet.
[Spaltenumbruch]
Darnach der Bär zog auf den Plan,
Und Schwvz, das Crucifix voran
Mit des göttlichen Sohnes Marter.
Da schwebt der Stern vom Orient,
Der den drei'n Königen ward gehend't,
Und zündet an allen Orten.
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[0515] Enge. In einzelnen Zügen, wie sie eben ankamen, stürzten sie sich in die Schlacht und formirter kämpfend ihre Ordnungen. „Da der Herzog von Burgund sah den Zug den Berg herabziehen, schien die Sonne gerade auf sie und es blitzte wie ein Spiegel. Zugleich brüllte das Horn von Uri, auch die Harschhörner von Luzern, und war ein solches Tosen, daß des Herzogen von Burgund Leute ein groß Grausen darob empfingen und traten hinter sich." Ein anderer Chronist erzählt, als das Heer der Eidgenossen sich aus dem Engpaß entwickelte, habe der Herzog einen gefangenen Schweizer gefragt: „Was ist das für ein wildes Volk, sind das auch Eidgenossen?" — Die Burgunder, dem furchtbaren Ansturm nachgebend, zogen sich vorsichtig in die Weinberge zurück. Hier hatte der Prinz Ludwig von Chateau - Guyon einen Hinterhalt von 6000 Pferden gelegt, welcher durch Hecken und Gebüsch den Eidgenossen in die Flanke brach. Aber die Reiter wurden blutig zurückgewiesen und bis über den Amor geworfen. Jetzt bemächtigte sich ein panischer Schreck des burgundischen Heeres. Alles drängte zurück nach der verlassenen Wagen¬ burg, die Eidgenossen auf dem Fuße nach. Karl hieb vergeblich auf die Fliehenden ein, um sie zurückzutreiben. Die Wagenburg ward genommen sammt dem ganzen unermeßlichen Reichthum der herzoglichen Hofzelte: 600 Banner, 420 Büchsen, Karl's goldenes Siegel und mit Edelsteinen und Perlen besetzter Degen, angeblich auch ein Buch „des burgundischen Heeres Ordnung" enthaltend, u. s. w. „Daher es in Kurzem kam, daß in den Städten und auf dem Lande allenthalben so viel köstlicher seidener Kleider und Wämser, dazu auch andere Köstlichkeit gemacht und getragen wurden, daß es so gemein war, als ander schlecht Tuch und Kleider." — Anderthalb Meilen weit verfolgten die Schweizer und vermißten dabei sehr die Stra߬ burger Reiterei, die des schlechten Weges halber zurückgeblieben war. Die Besatzung von Granson ward zur Rache für die 300 Berner getödtet, das Heer campirte noch drei Tage auf dem Schlachtfeld und zog dann heim. So weit der Bericht der Chronisten. Wir wollen jetzt sehen, welchen Eindruck der großartige Sieg auf die Zeitgenossen, aus das Volk gemacht hat; des Volkes Mund aber spricht durch seine Dichter. Zuerst ein Lied von einem Luzerner, vielleicht von Hans Vivi oder Viel, das durch Bilderreichthum, Energie des Ausdrucks, kernige Kraft und patriotisches Feuer die alten echten Volkslieder „vom Streit zu Sempach" erreicht: Oesterreich, du schlafest gar zu lang, Daß dich nicht weckt der Vogelsang, Hast dich der Messe versäumet. Der Burgunder hat sich ganz vermessen Er wollt' zu Bern und Freiburg Küch- kein essen; Der Bär Hut ihm die Pfanne geräumet. Darnach der Bär zog auf den Plan, Und Schwvz, das Crucifix voran Mit des göttlichen Sohnes Marter. Da schwebt der Stern vom Orient, Der den drei'n Königen ward gehend't, Und zündet an allen Orten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/515>, abgerufen am 22.07.2024.