Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schaftliche Entwickelung in Frage zu stellen. Auf demselben Boden, dem die
jeder Regel spottenden Genies entsprossen waren, keimte auch die Saat einer
reactionären Romantik, welche die zügellosen Geister der Revolution da¬
durch bändigen wollte, daß sie dieselben in ein theokratisches System zwängte,
in dem Thron und Altar sich gegenseitig ihre Macht und ihr Dasein ver¬
bürgten, in ein System, dessen Spitze ein weltbeherrschendes höchstes Priester-
thum, und dessen Basis das von jenem geleitete und inspirirte Königthum
bildete. Was diese theokratischen Romantiker herstellen wollten, das waren
keineswegs die Zustände, wie sie unmittelbar vor der Revolution bestanden
hatten; der nüchterne, lediglich von praktischen Zweckmäßigkeitsmotiven ge¬
leitete, allen beschränkenden hierarchischen Einflüssen abholde Absolutismus
war den Chateaubriand, den Bonald, den de Maistre nicht minder verhaßt
als den liberalen Bewunderern der Principien von 1789. Ihre Lehren fußten
auf den ausschweifendsten Ansprüchen der energischsten Päpste, die sie in ein
wissenschaftliches, mit großer Prätension auftretendes, aber mehr scheinbar als
wirklich tiefes System zusammenfaßten, in ein System, aus welchem dann in
neuester Zeit der Ultramontanismus in der Formulirung der Satzungen des
Syllabus die praktischen Consequenzen zu ziehen gesucht hat. Es gehört diese
Schule, die in den revolutionärsten, alle bestehenden Verhältnisse auf den Kopf
stellenden Lehren den Schutz wider die Revolution suchte, zu den unheim¬
lichsten Erscheinungen aller Zeiten. Ihr ganzes System ist eine grauenhafte
Lüge, um so grauenhafter, je glänzender und verführerischer die Beredsamkeit
ist, welche aufgewandt wurde, um die wüstesten Einfälle einer durch und durch
kranken, oft mit ihrer Krankheit prahlenden Weltanschauung mit dem Schein
der tiefsten Ueberzeugung auszustatten. Man kann nicht behaupten, daß alle
Vertreter dieser Richtung in sich unwahr und der Unwahrheit ihres Systems
sich so bewußt waren, wie der glänzendste, aber auch eitelste und selbstge¬
fälligste unter ihnen, Chateaubriand, der, haltlos zwischen den äußersten
Gegensätzen schwankend, in seiner eignen genialen Blasirtheit und Uebersättigung
das Spiegelbild der Welt findet, der aus den äußersten Excessen einer fieber¬
haft erregten, bis ins Mark vergifteten Einbildungskraft seine Zuflucht zu
einer Zerknirschung und Demüthigung nimmt, die weiter nichts ist als eine
besonders pikante Form der Selbstbespiegelung. Es gab in der That unter
diesen Männern ernstere und sittlich tiefer angelegte Naturen, die wirklich
überzeugt waren, daß nur die Ertödtung aller individuellen geistigen Freiheit,
die willenlose Unterwerfung aller Suvjectivität unter eine alles Denken und
Wollen regelnde hierarchische Tyrannei der zerfahrenen Welt den Frieden
wiedergeben und sie vor dem Rückfall in die äußerste Barbarei bewahren
könne. Es war dies eine trostlose Ansicht, aber erklärlich war es doch, daß
manche strenge und ernste Naturen, wenn sie ihren Blick auf die Trümmer


schaftliche Entwickelung in Frage zu stellen. Auf demselben Boden, dem die
jeder Regel spottenden Genies entsprossen waren, keimte auch die Saat einer
reactionären Romantik, welche die zügellosen Geister der Revolution da¬
durch bändigen wollte, daß sie dieselben in ein theokratisches System zwängte,
in dem Thron und Altar sich gegenseitig ihre Macht und ihr Dasein ver¬
bürgten, in ein System, dessen Spitze ein weltbeherrschendes höchstes Priester-
thum, und dessen Basis das von jenem geleitete und inspirirte Königthum
bildete. Was diese theokratischen Romantiker herstellen wollten, das waren
keineswegs die Zustände, wie sie unmittelbar vor der Revolution bestanden
hatten; der nüchterne, lediglich von praktischen Zweckmäßigkeitsmotiven ge¬
leitete, allen beschränkenden hierarchischen Einflüssen abholde Absolutismus
war den Chateaubriand, den Bonald, den de Maistre nicht minder verhaßt
als den liberalen Bewunderern der Principien von 1789. Ihre Lehren fußten
auf den ausschweifendsten Ansprüchen der energischsten Päpste, die sie in ein
wissenschaftliches, mit großer Prätension auftretendes, aber mehr scheinbar als
wirklich tiefes System zusammenfaßten, in ein System, aus welchem dann in
neuester Zeit der Ultramontanismus in der Formulirung der Satzungen des
Syllabus die praktischen Consequenzen zu ziehen gesucht hat. Es gehört diese
Schule, die in den revolutionärsten, alle bestehenden Verhältnisse auf den Kopf
stellenden Lehren den Schutz wider die Revolution suchte, zu den unheim¬
lichsten Erscheinungen aller Zeiten. Ihr ganzes System ist eine grauenhafte
Lüge, um so grauenhafter, je glänzender und verführerischer die Beredsamkeit
ist, welche aufgewandt wurde, um die wüstesten Einfälle einer durch und durch
kranken, oft mit ihrer Krankheit prahlenden Weltanschauung mit dem Schein
der tiefsten Ueberzeugung auszustatten. Man kann nicht behaupten, daß alle
Vertreter dieser Richtung in sich unwahr und der Unwahrheit ihres Systems
sich so bewußt waren, wie der glänzendste, aber auch eitelste und selbstge¬
fälligste unter ihnen, Chateaubriand, der, haltlos zwischen den äußersten
Gegensätzen schwankend, in seiner eignen genialen Blasirtheit und Uebersättigung
das Spiegelbild der Welt findet, der aus den äußersten Excessen einer fieber¬
haft erregten, bis ins Mark vergifteten Einbildungskraft seine Zuflucht zu
einer Zerknirschung und Demüthigung nimmt, die weiter nichts ist als eine
besonders pikante Form der Selbstbespiegelung. Es gab in der That unter
diesen Männern ernstere und sittlich tiefer angelegte Naturen, die wirklich
überzeugt waren, daß nur die Ertödtung aller individuellen geistigen Freiheit,
die willenlose Unterwerfung aller Suvjectivität unter eine alles Denken und
Wollen regelnde hierarchische Tyrannei der zerfahrenen Welt den Frieden
wiedergeben und sie vor dem Rückfall in die äußerste Barbarei bewahren
könne. Es war dies eine trostlose Ansicht, aber erklärlich war es doch, daß
manche strenge und ernste Naturen, wenn sie ihren Blick auf die Trümmer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0491" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132185"/>
          <p xml:id="ID_1638" prev="#ID_1637" next="#ID_1639"> schaftliche Entwickelung in Frage zu stellen. Auf demselben Boden, dem die<lb/>
jeder Regel spottenden Genies entsprossen waren, keimte auch die Saat einer<lb/>
reactionären Romantik, welche die zügellosen Geister der Revolution da¬<lb/>
durch bändigen wollte, daß sie dieselben in ein theokratisches System zwängte,<lb/>
in dem Thron und Altar sich gegenseitig ihre Macht und ihr Dasein ver¬<lb/>
bürgten, in ein System, dessen Spitze ein weltbeherrschendes höchstes Priester-<lb/>
thum, und dessen Basis das von jenem geleitete und inspirirte Königthum<lb/>
bildete. Was diese theokratischen Romantiker herstellen wollten, das waren<lb/>
keineswegs die Zustände, wie sie unmittelbar vor der Revolution bestanden<lb/>
hatten; der nüchterne, lediglich von praktischen Zweckmäßigkeitsmotiven ge¬<lb/>
leitete, allen beschränkenden hierarchischen Einflüssen abholde Absolutismus<lb/>
war den Chateaubriand, den Bonald, den de Maistre nicht minder verhaßt<lb/>
als den liberalen Bewunderern der Principien von 1789. Ihre Lehren fußten<lb/>
auf den ausschweifendsten Ansprüchen der energischsten Päpste, die sie in ein<lb/>
wissenschaftliches, mit großer Prätension auftretendes, aber mehr scheinbar als<lb/>
wirklich tiefes System zusammenfaßten, in ein System, aus welchem dann in<lb/>
neuester Zeit der Ultramontanismus in der Formulirung der Satzungen des<lb/>
Syllabus die praktischen Consequenzen zu ziehen gesucht hat. Es gehört diese<lb/>
Schule, die in den revolutionärsten, alle bestehenden Verhältnisse auf den Kopf<lb/>
stellenden Lehren den Schutz wider die Revolution suchte, zu den unheim¬<lb/>
lichsten Erscheinungen aller Zeiten. Ihr ganzes System ist eine grauenhafte<lb/>
Lüge, um so grauenhafter, je glänzender und verführerischer die Beredsamkeit<lb/>
ist, welche aufgewandt wurde, um die wüstesten Einfälle einer durch und durch<lb/>
kranken, oft mit ihrer Krankheit prahlenden Weltanschauung mit dem Schein<lb/>
der tiefsten Ueberzeugung auszustatten. Man kann nicht behaupten, daß alle<lb/>
Vertreter dieser Richtung in sich unwahr und der Unwahrheit ihres Systems<lb/>
sich so bewußt waren, wie der glänzendste, aber auch eitelste und selbstge¬<lb/>
fälligste unter ihnen, Chateaubriand, der, haltlos zwischen den äußersten<lb/>
Gegensätzen schwankend, in seiner eignen genialen Blasirtheit und Uebersättigung<lb/>
das Spiegelbild der Welt findet, der aus den äußersten Excessen einer fieber¬<lb/>
haft erregten, bis ins Mark vergifteten Einbildungskraft seine Zuflucht zu<lb/>
einer Zerknirschung und Demüthigung nimmt, die weiter nichts ist als eine<lb/>
besonders pikante Form der Selbstbespiegelung. Es gab in der That unter<lb/>
diesen Männern ernstere und sittlich tiefer angelegte Naturen, die wirklich<lb/>
überzeugt waren, daß nur die Ertödtung aller individuellen geistigen Freiheit,<lb/>
die willenlose Unterwerfung aller Suvjectivität unter eine alles Denken und<lb/>
Wollen regelnde hierarchische Tyrannei der zerfahrenen Welt den Frieden<lb/>
wiedergeben und sie vor dem Rückfall in die äußerste Barbarei bewahren<lb/>
könne. Es war dies eine trostlose Ansicht, aber erklärlich war es doch, daß<lb/>
manche strenge und ernste Naturen, wenn sie ihren Blick auf die Trümmer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0491] schaftliche Entwickelung in Frage zu stellen. Auf demselben Boden, dem die jeder Regel spottenden Genies entsprossen waren, keimte auch die Saat einer reactionären Romantik, welche die zügellosen Geister der Revolution da¬ durch bändigen wollte, daß sie dieselben in ein theokratisches System zwängte, in dem Thron und Altar sich gegenseitig ihre Macht und ihr Dasein ver¬ bürgten, in ein System, dessen Spitze ein weltbeherrschendes höchstes Priester- thum, und dessen Basis das von jenem geleitete und inspirirte Königthum bildete. Was diese theokratischen Romantiker herstellen wollten, das waren keineswegs die Zustände, wie sie unmittelbar vor der Revolution bestanden hatten; der nüchterne, lediglich von praktischen Zweckmäßigkeitsmotiven ge¬ leitete, allen beschränkenden hierarchischen Einflüssen abholde Absolutismus war den Chateaubriand, den Bonald, den de Maistre nicht minder verhaßt als den liberalen Bewunderern der Principien von 1789. Ihre Lehren fußten auf den ausschweifendsten Ansprüchen der energischsten Päpste, die sie in ein wissenschaftliches, mit großer Prätension auftretendes, aber mehr scheinbar als wirklich tiefes System zusammenfaßten, in ein System, aus welchem dann in neuester Zeit der Ultramontanismus in der Formulirung der Satzungen des Syllabus die praktischen Consequenzen zu ziehen gesucht hat. Es gehört diese Schule, die in den revolutionärsten, alle bestehenden Verhältnisse auf den Kopf stellenden Lehren den Schutz wider die Revolution suchte, zu den unheim¬ lichsten Erscheinungen aller Zeiten. Ihr ganzes System ist eine grauenhafte Lüge, um so grauenhafter, je glänzender und verführerischer die Beredsamkeit ist, welche aufgewandt wurde, um die wüstesten Einfälle einer durch und durch kranken, oft mit ihrer Krankheit prahlenden Weltanschauung mit dem Schein der tiefsten Ueberzeugung auszustatten. Man kann nicht behaupten, daß alle Vertreter dieser Richtung in sich unwahr und der Unwahrheit ihres Systems sich so bewußt waren, wie der glänzendste, aber auch eitelste und selbstge¬ fälligste unter ihnen, Chateaubriand, der, haltlos zwischen den äußersten Gegensätzen schwankend, in seiner eignen genialen Blasirtheit und Uebersättigung das Spiegelbild der Welt findet, der aus den äußersten Excessen einer fieber¬ haft erregten, bis ins Mark vergifteten Einbildungskraft seine Zuflucht zu einer Zerknirschung und Demüthigung nimmt, die weiter nichts ist als eine besonders pikante Form der Selbstbespiegelung. Es gab in der That unter diesen Männern ernstere und sittlich tiefer angelegte Naturen, die wirklich überzeugt waren, daß nur die Ertödtung aller individuellen geistigen Freiheit, die willenlose Unterwerfung aller Suvjectivität unter eine alles Denken und Wollen regelnde hierarchische Tyrannei der zerfahrenen Welt den Frieden wiedergeben und sie vor dem Rückfall in die äußerste Barbarei bewahren könne. Es war dies eine trostlose Ansicht, aber erklärlich war es doch, daß manche strenge und ernste Naturen, wenn sie ihren Blick auf die Trümmer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/491
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/491>, abgerufen am 22.07.2024.