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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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der stets geldbedürftige Herr, der dem Könige das Aufgebot seiner Vasallen
zuführen soll und im höchsten Glänze am königlichen Hof- und Kriegslager
erscheinen will, verlangt Vorausbezahlung der Abgaben; er bedroht seinen
Einnehmer mit Gefängniß und Tod. wenn er nicht sofort Geld schafft. Der
Mann ist in Verzweiflung, aber die Frau von ihrem Dämon berathen, weiß
Hülfe. Der reiche Jude kann nicht widerstehn, er schließt seine Casse auf.
Dem Leibeignen und dem Herrn ist geholfen.

Aber noch immer setzt das Weib den Anforderungen des Dämons, ihm
ganz anzugehören, Widerstand entgegen; sie weigert sich, den förmlichen Pact
mit dem Teufel abzuschließen. Sie schaltet inzwischen in der Gemeinde als
gefürchtet? Gebieterin, gemieden und doch wieder gesucht, abstoßend durch das
Dämonische in ihrer Erscheinung, anziehend durch ihre Schönheit. Darüber
erwacht Eifersucht und Groll in dem Herzen der Burgfrau, und als ihr
Gemahl aus dem Kriege heimgekehrt, entzieht sie sich seinen feurigen Lieb¬
kosungen und verlangt, daß er vor Allem die Uebermüthige demüthige, ver¬
nichte, die mit ihr in die Schranken zu treten wage. Der verliebte Gemahl
ist zu jeder Nichtswürdigkeit bereit. Er zieht mit der Schaar seiner zügellosen
Mannen und Knappen in das Dorf hinab; die Unglückliche wird ergriffen,
der Zauberei beschuldigt, gemißhandelt, entehrt, gemartert; sie will in ihr
Haus flüchten, es ist verschlossen, ihr Mann wagt es nicht, die Thüre zu
öffnen. Erschöpft sinkt sie nieder, in der Gewißheit, daß am nächsten Tage
die Peiniger wiederkehren werden, um ihre Henkersarbeit fortzusetzen. Da
naht ihr der Geist, verhöhnt sie, stellt ihr aber zugleich Macht und Rache in
Aussicht. Länger kann sie nicht widerstehn; sie ergiebt sich ihm, flüchtet in
den Wald; dort lebt sie als die gefürchtete Zauberin. Unheil stiftend, aber
auch helfend, wie es ihr die Laune eingiebt. Sie kennt die heilenden Kräuter,
sie mischt Liebestränke, Gifte, aber auch Arzneien; wer der Hülfe bedarf, wer
an seinen Feinden sich rächen will, sucht sie in nächtlicher Weile auf. Sie
verbreitet Furcht und Schrecken, aber sie spendet auch Trost.

Das ist die Zauberin des Mittelalters, eine Velleda, eine Rome, eine
Frau Venus, eine Braut von Korinth: alle diese Typen finden sich in ihr
vereinigt. Sie ist eine Teufelin, aber zugleich eine Heroine, eine Vorläuferin
der welterlösenden Revolution. Ihr Krieg wider Kirche und Feudalismus
ist ein Vorspiel des großen Freiheitskampfes der Gegenwart. Der Dämon,
mit dem sie ringt und dem sie zuletzt sich willenlos unterwirft, ist keineswegs
ein Vertreter des absolut bösen Princips: er ist boshaft, gewiß, aber der
Kirche und dem Adel gegenüber befindet er sich vollkommen im Recht.

Selbstverständlich ist für Michelet der Kampf mit dem Dämon nur das
Symbol eines psychologischen Processes. Aber in der Schilderung dieses
Processes wird er dermaßen von dem Gegenstand überwältigt und von seiner


der stets geldbedürftige Herr, der dem Könige das Aufgebot seiner Vasallen
zuführen soll und im höchsten Glänze am königlichen Hof- und Kriegslager
erscheinen will, verlangt Vorausbezahlung der Abgaben; er bedroht seinen
Einnehmer mit Gefängniß und Tod. wenn er nicht sofort Geld schafft. Der
Mann ist in Verzweiflung, aber die Frau von ihrem Dämon berathen, weiß
Hülfe. Der reiche Jude kann nicht widerstehn, er schließt seine Casse auf.
Dem Leibeignen und dem Herrn ist geholfen.

Aber noch immer setzt das Weib den Anforderungen des Dämons, ihm
ganz anzugehören, Widerstand entgegen; sie weigert sich, den förmlichen Pact
mit dem Teufel abzuschließen. Sie schaltet inzwischen in der Gemeinde als
gefürchtet? Gebieterin, gemieden und doch wieder gesucht, abstoßend durch das
Dämonische in ihrer Erscheinung, anziehend durch ihre Schönheit. Darüber
erwacht Eifersucht und Groll in dem Herzen der Burgfrau, und als ihr
Gemahl aus dem Kriege heimgekehrt, entzieht sie sich seinen feurigen Lieb¬
kosungen und verlangt, daß er vor Allem die Uebermüthige demüthige, ver¬
nichte, die mit ihr in die Schranken zu treten wage. Der verliebte Gemahl
ist zu jeder Nichtswürdigkeit bereit. Er zieht mit der Schaar seiner zügellosen
Mannen und Knappen in das Dorf hinab; die Unglückliche wird ergriffen,
der Zauberei beschuldigt, gemißhandelt, entehrt, gemartert; sie will in ihr
Haus flüchten, es ist verschlossen, ihr Mann wagt es nicht, die Thüre zu
öffnen. Erschöpft sinkt sie nieder, in der Gewißheit, daß am nächsten Tage
die Peiniger wiederkehren werden, um ihre Henkersarbeit fortzusetzen. Da
naht ihr der Geist, verhöhnt sie, stellt ihr aber zugleich Macht und Rache in
Aussicht. Länger kann sie nicht widerstehn; sie ergiebt sich ihm, flüchtet in
den Wald; dort lebt sie als die gefürchtete Zauberin. Unheil stiftend, aber
auch helfend, wie es ihr die Laune eingiebt. Sie kennt die heilenden Kräuter,
sie mischt Liebestränke, Gifte, aber auch Arzneien; wer der Hülfe bedarf, wer
an seinen Feinden sich rächen will, sucht sie in nächtlicher Weile auf. Sie
verbreitet Furcht und Schrecken, aber sie spendet auch Trost.

Das ist die Zauberin des Mittelalters, eine Velleda, eine Rome, eine
Frau Venus, eine Braut von Korinth: alle diese Typen finden sich in ihr
vereinigt. Sie ist eine Teufelin, aber zugleich eine Heroine, eine Vorläuferin
der welterlösenden Revolution. Ihr Krieg wider Kirche und Feudalismus
ist ein Vorspiel des großen Freiheitskampfes der Gegenwart. Der Dämon,
mit dem sie ringt und dem sie zuletzt sich willenlos unterwirft, ist keineswegs
ein Vertreter des absolut bösen Princips: er ist boshaft, gewiß, aber der
Kirche und dem Adel gegenüber befindet er sich vollkommen im Recht.

Selbstverständlich ist für Michelet der Kampf mit dem Dämon nur das
Symbol eines psychologischen Processes. Aber in der Schilderung dieses
Processes wird er dermaßen von dem Gegenstand überwältigt und von seiner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/458>, abgerufen am 22.07.2024.