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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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und gründlichsten Quellenstudium, auf jeder Seite tritt aber auch unverhüllt
die tendenziöse Beziehung auf die Zustände der Gegenwart hervor. Mit einer
tiefen Abneigung gegen' das Kirchenthum, man kann wohl sagen gegen das
positive Christenthum überhaupt, mischt sich der schon oben erwähnte Mysti¬
cismus, der auf pantheistischen Grundlagen ruht. Das Werk ist eine Ge¬
schichte des Teufelsglaubens von der ersten Zeit des Mittelalters an bis auf
die neueste Zeit, oder besser gesagt, eine Geschichte des Teufels selbst. Denn
bei seiner außerordentlich lebhaften Auffassung und Vertiefung in den Gegen¬
stand seiner Betrachtung, bei der wunderbaren Kraft, die abstraktesten Ge¬
danken in sinnlich faßbare Gestalten zu verkörpern, wird ihm, während er
gegen den wüsten Teufelsglauben kämpft, unter der Hand und unvermerkt
der Teufel selbst zu einem wirklichen, lebendigen Wesen, zu einem Wesen,
welchem er gelegentlich sogar seine Sympathie nicht versagen kann. Der
Teufel ist ihm gewissermaßen der Naturgott, der große Pan, der rechtmäßige
Nachfolger der von dem Christenthum entthronten heidnischen Gottheiten.
Zu ihm nimmt das von der Geistlichkeit geistig bedrückte, von dem Feudal¬
herrn geknechtete Volk, der vierte Stand -- das allmähliche Emporkommen
dieses Standes ist ja der leitende Faden, der sich durch Michelet's geschicht¬
liche Betrachtungen zieht -- seine Zuflucht, bei ihm sucht es Trost und
Hülfe, ihm zu Ehren feiert es in nächtlicher Stunde in großen Massen auf
der Haide am Rande des düsteren Waldes zusammenströmend, die Hexen¬
sabbathe, die der Verfasser in ihren vielfach abstoßenden und widrigen Einzel¬
heiten mit lebendigster Anschaulichkeit und dem ihm zu Gebote stehenden
Farbenreichthum schildert. Vor Allem ist das Weib, dieser unerschöpflich
Gegenstand der Michelet'schen psychologischen und physiologischen Analyse, die
Trägerin dieses düstern Cultus, die Priesterin der wilden nächtlichen Orgien.
Der Frau naht sich, während sie einsam und in grübelnde Träumereien ver¬
senkt, in ihrer Waldhütte der Heimkehr des srohnenden Gatten wartet, der
Dämon als hülfreicher Hauskobold. Er dient ihr, er hilft ihr; aber der
Diener will zum Herrn werden; er nimmt ihr Herz gefangen, aber sie soll
ihm ganz gehören mit Leib und Seele. Sie sträubt sich, sie kämpft wider
den Versucher, der bald schmeichelt, ihr Haus mit Glücksgütern überhäuft,
bald droht und Unheil verhängt, das ihr die Vergänglichkeit aller Güter,
sobald sie des dämonischen Schutzes entbehrt, zu Gemüthe führen soll. Der
Mann wird der Günstling des Feudalherrn, der ihn mit obrigkeitlichen Be¬
fugnissen ausgestattet und ihn mit der Einziehung aller Steuern und Abgaben
beauftragt. Da gilt es, hart und rücksichtslos verfahren; denn der Herr
macht ihn für jeden Ausfall verantwortlich: die Nachbarn hassen ihn, sie
blicken zugleich mit einer abergläubischen Scheu, in die sich etwas wie Ehr¬
furcht mischt, aus ihn, und seine in düsterer Schönheit strahlende Gattin:


Grenzboten III. 1874. 57

und gründlichsten Quellenstudium, auf jeder Seite tritt aber auch unverhüllt
die tendenziöse Beziehung auf die Zustände der Gegenwart hervor. Mit einer
tiefen Abneigung gegen' das Kirchenthum, man kann wohl sagen gegen das
positive Christenthum überhaupt, mischt sich der schon oben erwähnte Mysti¬
cismus, der auf pantheistischen Grundlagen ruht. Das Werk ist eine Ge¬
schichte des Teufelsglaubens von der ersten Zeit des Mittelalters an bis auf
die neueste Zeit, oder besser gesagt, eine Geschichte des Teufels selbst. Denn
bei seiner außerordentlich lebhaften Auffassung und Vertiefung in den Gegen¬
stand seiner Betrachtung, bei der wunderbaren Kraft, die abstraktesten Ge¬
danken in sinnlich faßbare Gestalten zu verkörpern, wird ihm, während er
gegen den wüsten Teufelsglauben kämpft, unter der Hand und unvermerkt
der Teufel selbst zu einem wirklichen, lebendigen Wesen, zu einem Wesen,
welchem er gelegentlich sogar seine Sympathie nicht versagen kann. Der
Teufel ist ihm gewissermaßen der Naturgott, der große Pan, der rechtmäßige
Nachfolger der von dem Christenthum entthronten heidnischen Gottheiten.
Zu ihm nimmt das von der Geistlichkeit geistig bedrückte, von dem Feudal¬
herrn geknechtete Volk, der vierte Stand — das allmähliche Emporkommen
dieses Standes ist ja der leitende Faden, der sich durch Michelet's geschicht¬
liche Betrachtungen zieht — seine Zuflucht, bei ihm sucht es Trost und
Hülfe, ihm zu Ehren feiert es in nächtlicher Stunde in großen Massen auf
der Haide am Rande des düsteren Waldes zusammenströmend, die Hexen¬
sabbathe, die der Verfasser in ihren vielfach abstoßenden und widrigen Einzel¬
heiten mit lebendigster Anschaulichkeit und dem ihm zu Gebote stehenden
Farbenreichthum schildert. Vor Allem ist das Weib, dieser unerschöpflich
Gegenstand der Michelet'schen psychologischen und physiologischen Analyse, die
Trägerin dieses düstern Cultus, die Priesterin der wilden nächtlichen Orgien.
Der Frau naht sich, während sie einsam und in grübelnde Träumereien ver¬
senkt, in ihrer Waldhütte der Heimkehr des srohnenden Gatten wartet, der
Dämon als hülfreicher Hauskobold. Er dient ihr, er hilft ihr; aber der
Diener will zum Herrn werden; er nimmt ihr Herz gefangen, aber sie soll
ihm ganz gehören mit Leib und Seele. Sie sträubt sich, sie kämpft wider
den Versucher, der bald schmeichelt, ihr Haus mit Glücksgütern überhäuft,
bald droht und Unheil verhängt, das ihr die Vergänglichkeit aller Güter,
sobald sie des dämonischen Schutzes entbehrt, zu Gemüthe führen soll. Der
Mann wird der Günstling des Feudalherrn, der ihn mit obrigkeitlichen Be¬
fugnissen ausgestattet und ihn mit der Einziehung aller Steuern und Abgaben
beauftragt. Da gilt es, hart und rücksichtslos verfahren; denn der Herr
macht ihn für jeden Ausfall verantwortlich: die Nachbarn hassen ihn, sie
blicken zugleich mit einer abergläubischen Scheu, in die sich etwas wie Ehr¬
furcht mischt, aus ihn, und seine in düsterer Schönheit strahlende Gattin:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/457>, abgerufen am 22.07.2024.