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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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einem großen Theil Deutschlands jenes Verfahren gleichzeitig (1848) mit den
Geschworenengerichten und nur für diese eingeführt, während es für die
nicht vor die Schwurgerichte gehörigen Straffälle vielfach noch längere Zeit bei
dem alten Jnquisttionsproceß mit ausschließlich rechtsgelehrten Berufsrichtern
blieb; und was war die Folge? In Anwendung des bekannten xost Iioe
ol'go xroxter Koe setzte sich in weitesten Kreisen die Ueberzeugung fest, die
Verbesserung unseres deutschen Strafversahrens sei lediglich der Einführung
der Schwurgerichte zu verdanken, die Schwurgerichte in ihrem vielleicht
da und dort etwas zu verbessernden Zustand seien die unentbehrliche Grund¬
lage eines volksthümlichen Strafverfahrens, nicht bloß rechtsgelehrten Richter-
collegien, sondern auch jeder andern Form der Mitwirkung von Volksrichtern
vorzuziehen. Daran, daß die Verbesserung der Strafrechtspflege zu allermeist
in der Einführung des öffentlich-mündlichen Verfahrens ihren Grund
hatte, dachte man kaum.

Eine ganz ähnliche Erscheinung nun, wie auf dem Gebiet des Strafrechts
die Schwurgerichte, zeigen auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts die Han¬
delsgerichte. Während aber die Reichsgesetzgebung ursprünglich im Interesse
einer einheitlichen Organisation die Schwurgerichte beseitigen wollte, nimmt sie
zu der Frage der Handelsgerichte eine andere Stellung ein und will in dem
Organismus der mit rechtsgelehrten Berufsrichtern besetzten bürgerlichen Ge¬
richte sog. gemischte Handelsgerichte, Gerichte mit einem rechtsgelehrten Vor¬
sitzenden und vier kaufmännischen Beisitzern einschieben, welche jedoch nicht in
gleicher Zahl mit den Landgerichten, sondern nur da errichtet werden sollen,
wo ein Bedürfniß nach solchen besteht.

Es ist vorauszusehen, daß auch dieser Vorschlag auf lebhaften Wider¬
stand stoßen wird; aber auch wahrscheinlich, daß bei dem kommenden Streit
die Hauptfrage: sollen überhaupt Handelsgerichte bestehen? bei Seite gelassen
und der Streit wesentlich darüber entbrennen wird, wie die Handelsgerichte
zusammengesetzt werden sollen. Ueber die Hauptfrage geht man mit der Be¬
merkung hinweg, es sei "allgemein anerkannt", daß besondere Handelsgerichte
bestehen müssen; so hat sich denn auch schon die Stimme eines bayrischen
Juristen (in der Augsb. Allg. Zeitung Ur. 158 a. d. Beil.) vernehmen lassen,
welcher die Frage, ob besondere Handelsgerichte zu errichten seien, als eine
längst im bejahenden Sinn entschiedene bezeichnet und den Reichsgesetzentwurf
nur insofern bekämpft, als er an die Stelle des mit einem rechtsgelehrten
Vorsitzenden und vier Kaufleuten besetzten Collegiums ein aus drei Juristen
und zwei Kaufleuten bestehendes Gericht gesetzt wissen will: eine Einrich¬
tung, welche sich nach feiner Versicherung in Bayern sehr gut bewährt
haben soll. Dieselbe Einrichtung besteht seit 1869 in Württemberg; auch hier
wird es -- zumal nach dem Sprüchwort: wie man in den Wald hineinruft,


einem großen Theil Deutschlands jenes Verfahren gleichzeitig (1848) mit den
Geschworenengerichten und nur für diese eingeführt, während es für die
nicht vor die Schwurgerichte gehörigen Straffälle vielfach noch längere Zeit bei
dem alten Jnquisttionsproceß mit ausschließlich rechtsgelehrten Berufsrichtern
blieb; und was war die Folge? In Anwendung des bekannten xost Iioe
ol'go xroxter Koe setzte sich in weitesten Kreisen die Ueberzeugung fest, die
Verbesserung unseres deutschen Strafversahrens sei lediglich der Einführung
der Schwurgerichte zu verdanken, die Schwurgerichte in ihrem vielleicht
da und dort etwas zu verbessernden Zustand seien die unentbehrliche Grund¬
lage eines volksthümlichen Strafverfahrens, nicht bloß rechtsgelehrten Richter-
collegien, sondern auch jeder andern Form der Mitwirkung von Volksrichtern
vorzuziehen. Daran, daß die Verbesserung der Strafrechtspflege zu allermeist
in der Einführung des öffentlich-mündlichen Verfahrens ihren Grund
hatte, dachte man kaum.

Eine ganz ähnliche Erscheinung nun, wie auf dem Gebiet des Strafrechts
die Schwurgerichte, zeigen auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts die Han¬
delsgerichte. Während aber die Reichsgesetzgebung ursprünglich im Interesse
einer einheitlichen Organisation die Schwurgerichte beseitigen wollte, nimmt sie
zu der Frage der Handelsgerichte eine andere Stellung ein und will in dem
Organismus der mit rechtsgelehrten Berufsrichtern besetzten bürgerlichen Ge¬
richte sog. gemischte Handelsgerichte, Gerichte mit einem rechtsgelehrten Vor¬
sitzenden und vier kaufmännischen Beisitzern einschieben, welche jedoch nicht in
gleicher Zahl mit den Landgerichten, sondern nur da errichtet werden sollen,
wo ein Bedürfniß nach solchen besteht.

Es ist vorauszusehen, daß auch dieser Vorschlag auf lebhaften Wider¬
stand stoßen wird; aber auch wahrscheinlich, daß bei dem kommenden Streit
die Hauptfrage: sollen überhaupt Handelsgerichte bestehen? bei Seite gelassen
und der Streit wesentlich darüber entbrennen wird, wie die Handelsgerichte
zusammengesetzt werden sollen. Ueber die Hauptfrage geht man mit der Be¬
merkung hinweg, es sei „allgemein anerkannt", daß besondere Handelsgerichte
bestehen müssen; so hat sich denn auch schon die Stimme eines bayrischen
Juristen (in der Augsb. Allg. Zeitung Ur. 158 a. d. Beil.) vernehmen lassen,
welcher die Frage, ob besondere Handelsgerichte zu errichten seien, als eine
längst im bejahenden Sinn entschiedene bezeichnet und den Reichsgesetzentwurf
nur insofern bekämpft, als er an die Stelle des mit einem rechtsgelehrten
Vorsitzenden und vier Kaufleuten besetzten Collegiums ein aus drei Juristen
und zwei Kaufleuten bestehendes Gericht gesetzt wissen will: eine Einrich¬
tung, welche sich nach feiner Versicherung in Bayern sehr gut bewährt
haben soll. Dieselbe Einrichtung besteht seit 1869 in Württemberg; auch hier
wird es — zumal nach dem Sprüchwort: wie man in den Wald hineinruft,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/411>, abgerufen am 22.07.2024.