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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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so ruft es heraus -- nicht an Stimmen fehlen, welche versichern, daß "die Ein¬
richtung sich sehr gut bewährt" habe; dies ist Geschmacksache, ä" xustidus von est
äisMtimäuin; anstatt in dieser Richtung Stimmen für und wider zu sammeln,
wollen wir lieber zunächst die Gründe prüfen, welche überhaupt für die Mitwir¬
kung von Kaufleuten bei der Rechtsprechung in Handelssachen geltend gemacht
werden, und hernach die Frage erörtern, in welcher Form diese Mitwirkung
ohne Beeinträchtigung der sonstigen Gerichtsverfassung am passendsten stattfinde.

Der Ruf nach Schwurgerichten entsprang zu nicht geringem Theil poli¬
tischen Gründen; man verlangte nicht bloß Oeffentlichkeit und Mündlichkeit
des Verfahrens, sondern namentlich Betheiligung des Volks an der Recht¬
sprechung, insbesondere in sog. politischen Processen. Bei den Handelsgerichten
war dies wesentlich anders; eine politische oder gar Parteifrage wurde aus
deren Organisation nicht gemacht, ein Umstand, welcher jedenfalls einer un¬
befangenen Prüfung der Frage sehr zu Statten kommt. Das Verlangen
nach Handelsgerichten als einer allgemeinen deutschen Einrichtung --
denn in einzelnen Staaten und Staatsgebieten Deutschlands, namentlich in
solchen mit starkem Handel und entwickelter Industrie bestanden solche schon
früher -- war vielmehr veranlaßt durch eine Reform des materiellen
Rechts, durch die Einführung des allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs;
dieses spricht zwar mehrfach vom "Handelsgericht", setzt aber das Bestehen
eigenartiger Handelsgerichte nicht voraus (Artikel 3: "Wo dieses Gesetzbuch
von dem Handelsgericht spricht, tritt in Ermangelung eines besonderen Handels¬
gerichts das gewöhnliche Gericht an dessen Stelle"); nichts desto wenigerfand
der auf dem fünften deutschen Juristentag (1864) gestellte Antrag: "Die
Einführung des Deutschen Handels-Gesetz-Buchs läßt die Errichtung besonderer
Gerichte zur Entscheidung der Handelsstreitigkeiten als ein Bedürfniß er¬
scheinen", keinerlei Widerstand, -- nicht darum, weil man etwa allgemein der
Ansicht gewesen wäre, daß rechtsgelehrte Berufsrichter für sich allein nicht im
Stande seien, solche Streitigkeiten richtig zu entscheiden (der Antragsteller selbst
war entgegengesetzter Meinung), sondern deßhalb, weil man einerseits von
der Nothwendigkeit eines raschen öffentlichen mündlichen Verfahrens in
den nach dem neuen Gesetzbuch zu entscheidenden Sachen, andrerseits von der
Unmöglichkeit, sofort für alle bürgerliche Streitsachen ein öffentlich-mündliches
Verfahren herzustellen, so sehr überzeugt-war, daß man darüber kaum ein
Wort verlor. Wenn das Gericht ganz oder theilweis mit Kaufleuten besetzt
ist, so kann freilich das Verfahren gar nicht anders als mündlich sein;
allein die Möglichkeit des mündlichen Verfahrens ist ganz dieselbe, auch
wenn die Besetzung nur mit Rechtsgelehrten erfolgt. Allerdings sprach sich
schließlich eine Majorität für Handelsgerichte bestehend aus Kaufleuten
unter einem rechtsgelehrten Vorsitzenden aus; allein dieses Votum


so ruft es heraus — nicht an Stimmen fehlen, welche versichern, daß „die Ein¬
richtung sich sehr gut bewährt" habe; dies ist Geschmacksache, ä« xustidus von est
äisMtimäuin; anstatt in dieser Richtung Stimmen für und wider zu sammeln,
wollen wir lieber zunächst die Gründe prüfen, welche überhaupt für die Mitwir¬
kung von Kaufleuten bei der Rechtsprechung in Handelssachen geltend gemacht
werden, und hernach die Frage erörtern, in welcher Form diese Mitwirkung
ohne Beeinträchtigung der sonstigen Gerichtsverfassung am passendsten stattfinde.

Der Ruf nach Schwurgerichten entsprang zu nicht geringem Theil poli¬
tischen Gründen; man verlangte nicht bloß Oeffentlichkeit und Mündlichkeit
des Verfahrens, sondern namentlich Betheiligung des Volks an der Recht¬
sprechung, insbesondere in sog. politischen Processen. Bei den Handelsgerichten
war dies wesentlich anders; eine politische oder gar Parteifrage wurde aus
deren Organisation nicht gemacht, ein Umstand, welcher jedenfalls einer un¬
befangenen Prüfung der Frage sehr zu Statten kommt. Das Verlangen
nach Handelsgerichten als einer allgemeinen deutschen Einrichtung —
denn in einzelnen Staaten und Staatsgebieten Deutschlands, namentlich in
solchen mit starkem Handel und entwickelter Industrie bestanden solche schon
früher — war vielmehr veranlaßt durch eine Reform des materiellen
Rechts, durch die Einführung des allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs;
dieses spricht zwar mehrfach vom „Handelsgericht", setzt aber das Bestehen
eigenartiger Handelsgerichte nicht voraus (Artikel 3: „Wo dieses Gesetzbuch
von dem Handelsgericht spricht, tritt in Ermangelung eines besonderen Handels¬
gerichts das gewöhnliche Gericht an dessen Stelle"); nichts desto wenigerfand
der auf dem fünften deutschen Juristentag (1864) gestellte Antrag: „Die
Einführung des Deutschen Handels-Gesetz-Buchs läßt die Errichtung besonderer
Gerichte zur Entscheidung der Handelsstreitigkeiten als ein Bedürfniß er¬
scheinen", keinerlei Widerstand, — nicht darum, weil man etwa allgemein der
Ansicht gewesen wäre, daß rechtsgelehrte Berufsrichter für sich allein nicht im
Stande seien, solche Streitigkeiten richtig zu entscheiden (der Antragsteller selbst
war entgegengesetzter Meinung), sondern deßhalb, weil man einerseits von
der Nothwendigkeit eines raschen öffentlichen mündlichen Verfahrens in
den nach dem neuen Gesetzbuch zu entscheidenden Sachen, andrerseits von der
Unmöglichkeit, sofort für alle bürgerliche Streitsachen ein öffentlich-mündliches
Verfahren herzustellen, so sehr überzeugt-war, daß man darüber kaum ein
Wort verlor. Wenn das Gericht ganz oder theilweis mit Kaufleuten besetzt
ist, so kann freilich das Verfahren gar nicht anders als mündlich sein;
allein die Möglichkeit des mündlichen Verfahrens ist ganz dieselbe, auch
wenn die Besetzung nur mit Rechtsgelehrten erfolgt. Allerdings sprach sich
schließlich eine Majorität für Handelsgerichte bestehend aus Kaufleuten
unter einem rechtsgelehrten Vorsitzenden aus; allein dieses Votum


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[0412] so ruft es heraus — nicht an Stimmen fehlen, welche versichern, daß „die Ein¬ richtung sich sehr gut bewährt" habe; dies ist Geschmacksache, ä« xustidus von est äisMtimäuin; anstatt in dieser Richtung Stimmen für und wider zu sammeln, wollen wir lieber zunächst die Gründe prüfen, welche überhaupt für die Mitwir¬ kung von Kaufleuten bei der Rechtsprechung in Handelssachen geltend gemacht werden, und hernach die Frage erörtern, in welcher Form diese Mitwirkung ohne Beeinträchtigung der sonstigen Gerichtsverfassung am passendsten stattfinde. Der Ruf nach Schwurgerichten entsprang zu nicht geringem Theil poli¬ tischen Gründen; man verlangte nicht bloß Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens, sondern namentlich Betheiligung des Volks an der Recht¬ sprechung, insbesondere in sog. politischen Processen. Bei den Handelsgerichten war dies wesentlich anders; eine politische oder gar Parteifrage wurde aus deren Organisation nicht gemacht, ein Umstand, welcher jedenfalls einer un¬ befangenen Prüfung der Frage sehr zu Statten kommt. Das Verlangen nach Handelsgerichten als einer allgemeinen deutschen Einrichtung — denn in einzelnen Staaten und Staatsgebieten Deutschlands, namentlich in solchen mit starkem Handel und entwickelter Industrie bestanden solche schon früher — war vielmehr veranlaßt durch eine Reform des materiellen Rechts, durch die Einführung des allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs; dieses spricht zwar mehrfach vom „Handelsgericht", setzt aber das Bestehen eigenartiger Handelsgerichte nicht voraus (Artikel 3: „Wo dieses Gesetzbuch von dem Handelsgericht spricht, tritt in Ermangelung eines besonderen Handels¬ gerichts das gewöhnliche Gericht an dessen Stelle"); nichts desto wenigerfand der auf dem fünften deutschen Juristentag (1864) gestellte Antrag: „Die Einführung des Deutschen Handels-Gesetz-Buchs läßt die Errichtung besonderer Gerichte zur Entscheidung der Handelsstreitigkeiten als ein Bedürfniß er¬ scheinen", keinerlei Widerstand, — nicht darum, weil man etwa allgemein der Ansicht gewesen wäre, daß rechtsgelehrte Berufsrichter für sich allein nicht im Stande seien, solche Streitigkeiten richtig zu entscheiden (der Antragsteller selbst war entgegengesetzter Meinung), sondern deßhalb, weil man einerseits von der Nothwendigkeit eines raschen öffentlichen mündlichen Verfahrens in den nach dem neuen Gesetzbuch zu entscheidenden Sachen, andrerseits von der Unmöglichkeit, sofort für alle bürgerliche Streitsachen ein öffentlich-mündliches Verfahren herzustellen, so sehr überzeugt-war, daß man darüber kaum ein Wort verlor. Wenn das Gericht ganz oder theilweis mit Kaufleuten besetzt ist, so kann freilich das Verfahren gar nicht anders als mündlich sein; allein die Möglichkeit des mündlichen Verfahrens ist ganz dieselbe, auch wenn die Besetzung nur mit Rechtsgelehrten erfolgt. Allerdings sprach sich schließlich eine Majorität für Handelsgerichte bestehend aus Kaufleuten unter einem rechtsgelehrten Vorsitzenden aus; allein dieses Votum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/412>, abgerufen am 22.07.2024.