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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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ihn seinem Onkel (1766), als dieser wegen eines neuen Finanzministers,
sich in großer Verlegenheit befand. Denn den seitherigen, Canale, hatte er
schleunigst zum Kardinal ernennen müssen -- um ihn vor dem Galgen zu be¬
wahren, an welchen das Volk von Rom ihn zu befördern angelegentlichst
strebte, weil er es während der letzten Hungersnoth (1762 -- 1766) fürchterlich
ausgesaugt hatte. Braschi war klug genug, trotz seiner dürftigen Umstände,
in einer Zeit ehrlich zu bleiben, in der die seinem Vorgänger zugedacht ge¬
wesene Erhöhung zu besonderer Vorsicht mahnte und die Augen aller Welt
auf den päpstlichen Generalschatzmeister gerichtet waren. Darum ist er das auch
unter dem (1769) folgenden Papste Clemens XIV. noch vier Jahre lang ge¬
blieben. Aber ein Finanzminister, der selber nicht stahl, und auch Anderen
zu stehlen nicht erlaubte, war zu wenig nach dem Geschmacke der Kardinäle
und anderer römischen Großen, um ihren Unterminirungsversuchen auf die
Dauer widerstehen zu können. Clemens XIV. wurde vermocht, ihm einen
Nachfolger zu geben und ihn selbst (26. April 1773) ins Cardinals-Kollegium
zu berufen. Als dieser Statthalter Christi kaum anderthalb Jahre später
(22. Sept. 1774) starb, hatte wohl Niemand weniger Aussicht, als Braschi,
sein Nachfolger auf dem heil. Stuhle zu werden. Denn da er nur zum Kar¬
dinal erhoben worden, um ihn aus einer Stellung zu entfernen, in welcher
er Andere sehr genirte, hatte er zur Ausstattung auch nur die wenig bedeu¬
tende Abtei Subiaco erhalten, die ihm bei weitem nicht so viel einbrachte,
um mit den übrigen Kardinälen an Aufwand irgend wie wetteifern zu können.
Er spielte darum auch unter diesen, so lange Clemens XIV. noch lebte, eine
überaus bescheidene Rolle.

Und dennoch wurde gerade er (Is. Febr. 1775) dessen Nachfolger, weil er
eben aus diesem Grunde die wenigsten Feinde unter den Wählern, dagegen an
den Gesandten der bourbonischen Höfe und seinen alten Gönnern, den Nepoten
des dreizehnten Clemens, den Cardinälen Karl und Johann Baptist und
ihrer Schwester, der Fürstin Rezzonieo (welch' letztere den neuen Papst als
ihr Geschöpf betrachtete)*) ebenso eifrige wie gewandte Förderer seiner Er¬
hebung auf den heil. Stuhl besaß. Pius VI., wie der neugewählte sich
nannte, erfüllte nur die wenigsten der Hoffnungen, die er als Finanzminister
seiner beiden Vorgänger erweckt hatte. Hauptsächlich, weil er durchaus kein
politischer Kopf, seiner hohen Stellung nicht entfernt gewachsen, vielmehr voll
hinderlicher Eigenheiten war. So beherrschte ihn namentlich eine überaus
hohe, durch die wirklichen Verhältnisse gar sehr Lügen gestrafte Meinung
von der Macht der Kirche und der Erhabenheit seiner persönlichen Würde
sowohl wie seiner Einsichten, die Ueberzeugung, daß er, unter Assistenz des



*) Nach dem Berichte eines Augenzeugen der Wahl, bei Walch, Neueste Religionsgesch-
V, 364. (Lemgo 1771 -- 83. 9 Bde.)

ihn seinem Onkel (1766), als dieser wegen eines neuen Finanzministers,
sich in großer Verlegenheit befand. Denn den seitherigen, Canale, hatte er
schleunigst zum Kardinal ernennen müssen — um ihn vor dem Galgen zu be¬
wahren, an welchen das Volk von Rom ihn zu befördern angelegentlichst
strebte, weil er es während der letzten Hungersnoth (1762 — 1766) fürchterlich
ausgesaugt hatte. Braschi war klug genug, trotz seiner dürftigen Umstände,
in einer Zeit ehrlich zu bleiben, in der die seinem Vorgänger zugedacht ge¬
wesene Erhöhung zu besonderer Vorsicht mahnte und die Augen aller Welt
auf den päpstlichen Generalschatzmeister gerichtet waren. Darum ist er das auch
unter dem (1769) folgenden Papste Clemens XIV. noch vier Jahre lang ge¬
blieben. Aber ein Finanzminister, der selber nicht stahl, und auch Anderen
zu stehlen nicht erlaubte, war zu wenig nach dem Geschmacke der Kardinäle
und anderer römischen Großen, um ihren Unterminirungsversuchen auf die
Dauer widerstehen zu können. Clemens XIV. wurde vermocht, ihm einen
Nachfolger zu geben und ihn selbst (26. April 1773) ins Cardinals-Kollegium
zu berufen. Als dieser Statthalter Christi kaum anderthalb Jahre später
(22. Sept. 1774) starb, hatte wohl Niemand weniger Aussicht, als Braschi,
sein Nachfolger auf dem heil. Stuhle zu werden. Denn da er nur zum Kar¬
dinal erhoben worden, um ihn aus einer Stellung zu entfernen, in welcher
er Andere sehr genirte, hatte er zur Ausstattung auch nur die wenig bedeu¬
tende Abtei Subiaco erhalten, die ihm bei weitem nicht so viel einbrachte,
um mit den übrigen Kardinälen an Aufwand irgend wie wetteifern zu können.
Er spielte darum auch unter diesen, so lange Clemens XIV. noch lebte, eine
überaus bescheidene Rolle.

Und dennoch wurde gerade er (Is. Febr. 1775) dessen Nachfolger, weil er
eben aus diesem Grunde die wenigsten Feinde unter den Wählern, dagegen an
den Gesandten der bourbonischen Höfe und seinen alten Gönnern, den Nepoten
des dreizehnten Clemens, den Cardinälen Karl und Johann Baptist und
ihrer Schwester, der Fürstin Rezzonieo (welch' letztere den neuen Papst als
ihr Geschöpf betrachtete)*) ebenso eifrige wie gewandte Förderer seiner Er¬
hebung auf den heil. Stuhl besaß. Pius VI., wie der neugewählte sich
nannte, erfüllte nur die wenigsten der Hoffnungen, die er als Finanzminister
seiner beiden Vorgänger erweckt hatte. Hauptsächlich, weil er durchaus kein
politischer Kopf, seiner hohen Stellung nicht entfernt gewachsen, vielmehr voll
hinderlicher Eigenheiten war. So beherrschte ihn namentlich eine überaus
hohe, durch die wirklichen Verhältnisse gar sehr Lügen gestrafte Meinung
von der Macht der Kirche und der Erhabenheit seiner persönlichen Würde
sowohl wie seiner Einsichten, die Ueberzeugung, daß er, unter Assistenz des



*) Nach dem Berichte eines Augenzeugen der Wahl, bei Walch, Neueste Religionsgesch-
V, 364. (Lemgo 1771 — 83. 9 Bde.)
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/388>, abgerufen am 22.07.2024.