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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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aber als er die vielen Rennthierkeulen an Bord bringen und am Lande noch
so viel lebendiges Fleisch herumlaufen sah, welches nur darauf zu warten schien
in seine Kochtöpfe und Bratpfannen zu wandern. Bereits Morgens zum
Frühstück konnten den Leuten gehäufte Teller voll zarter Rennthiersteaks ver¬
abreicht werden.

Am S. August waren die Vorbereitungen für die Bootreise soweit be¬
endigt, daß das Boot am 6. August Morgens absegeln konnte. Mit 4--S
Knoten Fahrgeschwindigkeit ging es fast direct in westlicher Richtung dicht
am Lande hin. Nach 8 Seemeilen Fahrt war der sogenannte Mackenzie-
Jnlet erreicht und nur als eine Einbucht erkannt, in welcher eine von einem
Bache durchzogene Thalebene ausläuft. Hier wurden aufs neue sieben Renn¬
thiere geschossen und am Vormittag die Fahrt noch um weitere drei See¬
meilen verlängert. Drei Stunden nur hatte die ganze Fahrt erfordert. Wie
bequem und luxuriös reiste sich es doch im Boote, wenn man an die Schauer
der Schlittenreisen zurückdachte! Wärme, Tabakrauch, köstliches Fleisch in
Fülle, Schnelligkeit des Vordringens, freudiger Schlaf des Nachts im dichten
warmen Zelt, diese Momente hoben die Stimmung unsrer Reisenden aufs
glücklichste. Und obendrein sollte dieser Tag der bedeutsamste der ganzen
zweijährigen Expedition werden. Am Abend bestieg nämlich der Kapitän mit
Dr. Copeland einen nach Nordwest zu gelegenen Hügel. Da zeigten sich gegen
Nordwesten Loch Fine, der Fjord, welchen Clavering 1823 mit dem Boote bereiste,
gegen Südsüdwest Kap Franklin, und die als Bennett-Jnseln auf der Karte
bezeichneten Hügelreihen. Aber über die Ebene hinaus erglänzte bei Kap
Franklin eine Menge hoher Eisberge, die sofort die Wahrscheinlichkeit er¬
zeugten, daß dort die Mündung eines großen Fjord sein müsse. Denn an
der Küste war nirgends ein Gletscher bemerkt worden, von dem jene Berge
herstammen konnten. So wurde fast in derselben Stunde desselben Tages
die Gewißheit von der Existenz des herrlichen Franz-Joseph-Fjords erlangt,
in der unsre Krieger bei Wörth und Spicheren die ersten großen Schlachten
des Deutschen Nationalkrieges schlugen!

Noch einmal freilich stellten sich Wind. Nebel und Eis der Erreichung
des großen Zieles feindlich entgegen. Am 7. August vermochte das Boot
nur bis Kap Bennet vorzudringen. Am 8. wurde es Nachmittag, ehe man
sich dem großartigen Kap Franklin zu nähern vermochte. Die Eisberge
mehrten sich, und da, obgleich das Land nach Südwest bedeutend zurücktrat,
noch immer kein Gletscher zu sehen war, so wurde es nun mit jedem Augen¬
blicke klarer, daß man sich nahe der Mündung eines großen unbekannten
Fjords, unmittelbar vor einer Entdeckung von großer Wichtigkeit befinden
müsse. Zwei Seemeilen östlich vom Kap mußte schon Halt gemacht werden.
Das Eis lag fest am Lande, erstreckte sich quer über die Mündung des Fjords


aber als er die vielen Rennthierkeulen an Bord bringen und am Lande noch
so viel lebendiges Fleisch herumlaufen sah, welches nur darauf zu warten schien
in seine Kochtöpfe und Bratpfannen zu wandern. Bereits Morgens zum
Frühstück konnten den Leuten gehäufte Teller voll zarter Rennthiersteaks ver¬
abreicht werden.

Am S. August waren die Vorbereitungen für die Bootreise soweit be¬
endigt, daß das Boot am 6. August Morgens absegeln konnte. Mit 4—S
Knoten Fahrgeschwindigkeit ging es fast direct in westlicher Richtung dicht
am Lande hin. Nach 8 Seemeilen Fahrt war der sogenannte Mackenzie-
Jnlet erreicht und nur als eine Einbucht erkannt, in welcher eine von einem
Bache durchzogene Thalebene ausläuft. Hier wurden aufs neue sieben Renn¬
thiere geschossen und am Vormittag die Fahrt noch um weitere drei See¬
meilen verlängert. Drei Stunden nur hatte die ganze Fahrt erfordert. Wie
bequem und luxuriös reiste sich es doch im Boote, wenn man an die Schauer
der Schlittenreisen zurückdachte! Wärme, Tabakrauch, köstliches Fleisch in
Fülle, Schnelligkeit des Vordringens, freudiger Schlaf des Nachts im dichten
warmen Zelt, diese Momente hoben die Stimmung unsrer Reisenden aufs
glücklichste. Und obendrein sollte dieser Tag der bedeutsamste der ganzen
zweijährigen Expedition werden. Am Abend bestieg nämlich der Kapitän mit
Dr. Copeland einen nach Nordwest zu gelegenen Hügel. Da zeigten sich gegen
Nordwesten Loch Fine, der Fjord, welchen Clavering 1823 mit dem Boote bereiste,
gegen Südsüdwest Kap Franklin, und die als Bennett-Jnseln auf der Karte
bezeichneten Hügelreihen. Aber über die Ebene hinaus erglänzte bei Kap
Franklin eine Menge hoher Eisberge, die sofort die Wahrscheinlichkeit er¬
zeugten, daß dort die Mündung eines großen Fjord sein müsse. Denn an
der Küste war nirgends ein Gletscher bemerkt worden, von dem jene Berge
herstammen konnten. So wurde fast in derselben Stunde desselben Tages
die Gewißheit von der Existenz des herrlichen Franz-Joseph-Fjords erlangt,
in der unsre Krieger bei Wörth und Spicheren die ersten großen Schlachten
des Deutschen Nationalkrieges schlugen!

Noch einmal freilich stellten sich Wind. Nebel und Eis der Erreichung
des großen Zieles feindlich entgegen. Am 7. August vermochte das Boot
nur bis Kap Bennet vorzudringen. Am 8. wurde es Nachmittag, ehe man
sich dem großartigen Kap Franklin zu nähern vermochte. Die Eisberge
mehrten sich, und da, obgleich das Land nach Südwest bedeutend zurücktrat,
noch immer kein Gletscher zu sehen war, so wurde es nun mit jedem Augen¬
blicke klarer, daß man sich nahe der Mündung eines großen unbekannten
Fjords, unmittelbar vor einer Entdeckung von großer Wichtigkeit befinden
müsse. Zwei Seemeilen östlich vom Kap mußte schon Halt gemacht werden.
Das Eis lag fest am Lande, erstreckte sich quer über die Mündung des Fjords


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/378>, abgerufen am 24.08.2024.