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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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und bildete so eine Barriere, die für das Schiff nicht zu forciren war. Das
Boot mußte also, wenn es weiter vordringen sollte, über das Eis geschleppt
werden. Ehe aber diese mühselige Arbeit versucht wurde, sollte über die Be¬
schaffenheit und Schissbarkeit des Fjords Gewißheit erlangt werden und zu
diesem Zwecke rüsteten sich Copeland und Payer zur Besteigung der über
1300 Meter hohen Franklinspitze. während Borgen und der Kapitän die Un¬
geduld noch eher zu befriedigen suchten durch Besteigung einer nahen circa
150 Meter hohen Felsspitze. Nach einem etwas mühseligen Marsche über
Felsen und durch reißende Gletscherbäche wurde diese Spitze erreicht, von wo
sich ihrem staunenden Auge eine Landschaft enthüllte, wie man sie sich gro߬
artiger und außerordentlicher nicht denken kann. Da lag das Innere von
Grönland vor ihren Blicken, wie eine prachtvolle Decoration, wie eine Alpen¬
welt im höchsten Stile. Zu ihren Füßen die Mündung eines großen von
Treibeis freien Fjords oder vielmehr Meeresarmes mit zahlreichen 30 bis
60 Meter hohen Eisbergen bedeckt, der sich in unabsehbaren Fernen nach
Westen erstreckte und sich dort in mehrere Arme zu theilen schien, umsäumt
von jäh und steil aufsteigenden Bergen, die sich nach Westen zu immer höher
und höher aufthürmten. bis in die Regionen des ewigen Schnees und Eises.
Vor ihnen lag in dem vollen Reize jungfräulicher Schönheit die spiegelglatte
geheimnißvolle Fläche eines unbekannten Gewässers und tief in das Innere
von Grönland konnten sie eindringen und der Wissenschaft eine neue Welt
und neue Forschungsgebiete erschließen, wenn es gelang, das Schiff selbst in
den Fjord zu bringen. Aber das schien freilich vorläufig unmöglich. Denn
eine feste Eisdecke, die an der schmalsten Stelle unter dem Kap noch zwei See¬
meilen breit war, und die das stärkste Panzerschiff nicht hätte durchbrechen
können, erstreckte sich von Ufer zu Ufer quer über die Mündung des Fjords.
So entschloß man sich denn dazu, morgen das Boot über das Eis in den
Fjord zu schleppen und legte sich zur Ruhe, da Copeland und Payer vor
dem Morgen von der Franklinspitze nicht zurückerwartet werden konnten.
Aber aus dem schönsten Morgenschlummer wurde der Kapitän plötzlich durch
die Stimme Copeland's geweckt, der äußerst vergnügt zum Zelt hineinrief:
"Das Eis ist losgebrochen, in Bewegung nach Osten, wir können das Schiff
jetzt hineinbringen, die Ausdehnung des Fjords ist ohnehin von oben gesehen,
viel zu großartig für eine Untersuchung auf dem Boote." In sehr kurzer
Zeit lag die fröhliche Mannschaft wieder an den Rudern im Boote, das pfeil¬
schnell gen Nordosten flog, um die sieben deutschen Meilen zum Schiffe mög¬
lichst schnell zurückzulegen.

Noch großartiger als der Kapitän und Bürgen hatten natürlich Cope¬
land und Payer von der Franklinspitze aus, die . sie nach fünfstündigem Marsch
(oder richtiger Kriechen) erreichten, zum ersten Male den Franz-Josephs-Fjord


und bildete so eine Barriere, die für das Schiff nicht zu forciren war. Das
Boot mußte also, wenn es weiter vordringen sollte, über das Eis geschleppt
werden. Ehe aber diese mühselige Arbeit versucht wurde, sollte über die Be¬
schaffenheit und Schissbarkeit des Fjords Gewißheit erlangt werden und zu
diesem Zwecke rüsteten sich Copeland und Payer zur Besteigung der über
1300 Meter hohen Franklinspitze. während Borgen und der Kapitän die Un¬
geduld noch eher zu befriedigen suchten durch Besteigung einer nahen circa
150 Meter hohen Felsspitze. Nach einem etwas mühseligen Marsche über
Felsen und durch reißende Gletscherbäche wurde diese Spitze erreicht, von wo
sich ihrem staunenden Auge eine Landschaft enthüllte, wie man sie sich gro߬
artiger und außerordentlicher nicht denken kann. Da lag das Innere von
Grönland vor ihren Blicken, wie eine prachtvolle Decoration, wie eine Alpen¬
welt im höchsten Stile. Zu ihren Füßen die Mündung eines großen von
Treibeis freien Fjords oder vielmehr Meeresarmes mit zahlreichen 30 bis
60 Meter hohen Eisbergen bedeckt, der sich in unabsehbaren Fernen nach
Westen erstreckte und sich dort in mehrere Arme zu theilen schien, umsäumt
von jäh und steil aufsteigenden Bergen, die sich nach Westen zu immer höher
und höher aufthürmten. bis in die Regionen des ewigen Schnees und Eises.
Vor ihnen lag in dem vollen Reize jungfräulicher Schönheit die spiegelglatte
geheimnißvolle Fläche eines unbekannten Gewässers und tief in das Innere
von Grönland konnten sie eindringen und der Wissenschaft eine neue Welt
und neue Forschungsgebiete erschließen, wenn es gelang, das Schiff selbst in
den Fjord zu bringen. Aber das schien freilich vorläufig unmöglich. Denn
eine feste Eisdecke, die an der schmalsten Stelle unter dem Kap noch zwei See¬
meilen breit war, und die das stärkste Panzerschiff nicht hätte durchbrechen
können, erstreckte sich von Ufer zu Ufer quer über die Mündung des Fjords.
So entschloß man sich denn dazu, morgen das Boot über das Eis in den
Fjord zu schleppen und legte sich zur Ruhe, da Copeland und Payer vor
dem Morgen von der Franklinspitze nicht zurückerwartet werden konnten.
Aber aus dem schönsten Morgenschlummer wurde der Kapitän plötzlich durch
die Stimme Copeland's geweckt, der äußerst vergnügt zum Zelt hineinrief:
„Das Eis ist losgebrochen, in Bewegung nach Osten, wir können das Schiff
jetzt hineinbringen, die Ausdehnung des Fjords ist ohnehin von oben gesehen,
viel zu großartig für eine Untersuchung auf dem Boote." In sehr kurzer
Zeit lag die fröhliche Mannschaft wieder an den Rudern im Boote, das pfeil¬
schnell gen Nordosten flog, um die sieben deutschen Meilen zum Schiffe mög¬
lichst schnell zurückzulegen.

Noch großartiger als der Kapitän und Bürgen hatten natürlich Cope¬
land und Payer von der Franklinspitze aus, die . sie nach fünfstündigem Marsch
(oder richtiger Kriechen) erreichten, zum ersten Male den Franz-Josephs-Fjord


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/379>, abgerufen am 22.07.2024.