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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Line teutzsche Schuleomoeäi (1660) und ihre Jolgen.

Dramatische Aufführungen gehörten schon seit der Zeit der Reformation
zu den regelmäßigen Bildungsmitteln unserer Lateinschulen; namentlich in
Sachsen und Thüringen stand im 16. und 17. Jahrhundert die sogenannte
Schulkomödie in hoher Blüthe. Man führte entweder Stücke aus der an¬
tiken Dichtung oder auch "von einem guten neueren Dichter" auf, gewöhnlich
in lateinischer, bisweilen auch in griechischer Sprache. Nur sehr allmählich
kam daneben auch das deutsche Schauspiel empor, nachdem es anfangs
mit Hindernissen und Borurtheilen aller Art zu kämpfen gehabt hatte. Das
Leipziger Rathsarchiv bewahrt ein interessantes Actenstück aus dem Jahre 1660,
(VII L 20), welches uns mitten hineinversetzt in die Kämpfe, die es hie und da
gekostet haben mag, um neben den alten Sprachen auch der Muttersprache
zu der ihr gebührenden Stellung am Gymnasium zu verhelfen, und welches
zugleich dem Leipziger Rathe das schöne Zeugniß ausstellt, daß er schon da¬
mals in allen Schulangelegenheiten mit demselben Stolze und derselben Zähig.
keit wie heute an seiner Selbstverwaltung festhielt und jede fremde Einmischung,
sobald sie ihm unberechtigt schien, von sich abwehrte. Wir erzählen getreu
nach den Acten.

Am 21. März 1660 richteten die Alumnen der Thomasschule in Leipzig
an den Rath der Stadt -- wie üblich, in lateinischer Sprache -- das Gesuch,
der Rath möge zu den zahlreichen Benefizien, die er ihnen und ihrer Schule
schon erwiesen, ein neues hinzufügen und ihnen damit zugleich ein wichtiges
Mittel geistiger und sittlicher Bildung an die Hand geben: er möge ihnen
die Erlaubniß zu einer Theatervorstellung ertheilen, (exereitiuru aetionis
Lesnieae, non solum pararuZas eruäitioni, sea et moribus tmgsnäis aptissi-
mum). Und zwar wollten sie, wie sie schrieben, zwei Stücke spielen, deren
Stoffe beide der heiligen Schrift entnommen und beide höchst zeitgemäß
(tempori xraesenti acoommväatisLimam) seien: 1) Der Sündenfall des
Menschengeschlechts und die Erlösung durch unsern Heiland, 2) Der Auszug
der Kinder Israel aus Aegypten. Die Aufführung sollte in den Osterferien
(temxore, puo alias yuies a stuüiis eoueecZi solet, xrvxirng, vkwxs xost


Grenzboten Hi. 1874. 46
Line teutzsche Schuleomoeäi (1660) und ihre Jolgen.

Dramatische Aufführungen gehörten schon seit der Zeit der Reformation
zu den regelmäßigen Bildungsmitteln unserer Lateinschulen; namentlich in
Sachsen und Thüringen stand im 16. und 17. Jahrhundert die sogenannte
Schulkomödie in hoher Blüthe. Man führte entweder Stücke aus der an¬
tiken Dichtung oder auch „von einem guten neueren Dichter" auf, gewöhnlich
in lateinischer, bisweilen auch in griechischer Sprache. Nur sehr allmählich
kam daneben auch das deutsche Schauspiel empor, nachdem es anfangs
mit Hindernissen und Borurtheilen aller Art zu kämpfen gehabt hatte. Das
Leipziger Rathsarchiv bewahrt ein interessantes Actenstück aus dem Jahre 1660,
(VII L 20), welches uns mitten hineinversetzt in die Kämpfe, die es hie und da
gekostet haben mag, um neben den alten Sprachen auch der Muttersprache
zu der ihr gebührenden Stellung am Gymnasium zu verhelfen, und welches
zugleich dem Leipziger Rathe das schöne Zeugniß ausstellt, daß er schon da¬
mals in allen Schulangelegenheiten mit demselben Stolze und derselben Zähig.
keit wie heute an seiner Selbstverwaltung festhielt und jede fremde Einmischung,
sobald sie ihm unberechtigt schien, von sich abwehrte. Wir erzählen getreu
nach den Acten.

Am 21. März 1660 richteten die Alumnen der Thomasschule in Leipzig
an den Rath der Stadt — wie üblich, in lateinischer Sprache — das Gesuch,
der Rath möge zu den zahlreichen Benefizien, die er ihnen und ihrer Schule
schon erwiesen, ein neues hinzufügen und ihnen damit zugleich ein wichtiges
Mittel geistiger und sittlicher Bildung an die Hand geben: er möge ihnen
die Erlaubniß zu einer Theatervorstellung ertheilen, (exereitiuru aetionis
Lesnieae, non solum pararuZas eruäitioni, sea et moribus tmgsnäis aptissi-
mum). Und zwar wollten sie, wie sie schrieben, zwei Stücke spielen, deren
Stoffe beide der heiligen Schrift entnommen und beide höchst zeitgemäß
(tempori xraesenti acoommväatisLimam) seien: 1) Der Sündenfall des
Menschengeschlechts und die Erlösung durch unsern Heiland, 2) Der Auszug
der Kinder Israel aus Aegypten. Die Aufführung sollte in den Osterferien
(temxore, puo alias yuies a stuüiis eoueecZi solet, xrvxirng, vkwxs xost


Grenzboten Hi. 1874. 46
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[0369] Line teutzsche Schuleomoeäi (1660) und ihre Jolgen. Dramatische Aufführungen gehörten schon seit der Zeit der Reformation zu den regelmäßigen Bildungsmitteln unserer Lateinschulen; namentlich in Sachsen und Thüringen stand im 16. und 17. Jahrhundert die sogenannte Schulkomödie in hoher Blüthe. Man führte entweder Stücke aus der an¬ tiken Dichtung oder auch „von einem guten neueren Dichter" auf, gewöhnlich in lateinischer, bisweilen auch in griechischer Sprache. Nur sehr allmählich kam daneben auch das deutsche Schauspiel empor, nachdem es anfangs mit Hindernissen und Borurtheilen aller Art zu kämpfen gehabt hatte. Das Leipziger Rathsarchiv bewahrt ein interessantes Actenstück aus dem Jahre 1660, (VII L 20), welches uns mitten hineinversetzt in die Kämpfe, die es hie und da gekostet haben mag, um neben den alten Sprachen auch der Muttersprache zu der ihr gebührenden Stellung am Gymnasium zu verhelfen, und welches zugleich dem Leipziger Rathe das schöne Zeugniß ausstellt, daß er schon da¬ mals in allen Schulangelegenheiten mit demselben Stolze und derselben Zähig. keit wie heute an seiner Selbstverwaltung festhielt und jede fremde Einmischung, sobald sie ihm unberechtigt schien, von sich abwehrte. Wir erzählen getreu nach den Acten. Am 21. März 1660 richteten die Alumnen der Thomasschule in Leipzig an den Rath der Stadt — wie üblich, in lateinischer Sprache — das Gesuch, der Rath möge zu den zahlreichen Benefizien, die er ihnen und ihrer Schule schon erwiesen, ein neues hinzufügen und ihnen damit zugleich ein wichtiges Mittel geistiger und sittlicher Bildung an die Hand geben: er möge ihnen die Erlaubniß zu einer Theatervorstellung ertheilen, (exereitiuru aetionis Lesnieae, non solum pararuZas eruäitioni, sea et moribus tmgsnäis aptissi- mum). Und zwar wollten sie, wie sie schrieben, zwei Stücke spielen, deren Stoffe beide der heiligen Schrift entnommen und beide höchst zeitgemäß (tempori xraesenti acoommväatisLimam) seien: 1) Der Sündenfall des Menschengeschlechts und die Erlösung durch unsern Heiland, 2) Der Auszug der Kinder Israel aus Aegypten. Die Aufführung sollte in den Osterferien (temxore, puo alias yuies a stuüiis eoueecZi solet, xrvxirng, vkwxs xost Grenzboten Hi. 1874. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/369>, abgerufen am 22.07.2024.