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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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im Saale des Schulgebäudes stattfinden.

Aber die Alumnen zu Se. Thomas waren schlaue Jungen. Das erste
Stück wollten sie in deutscher Sprache aufführen, und darin lag wenn auch
keine absolute Neuerung, denn der Fall war eben vereinzelt schon dagewesen,
doch immerhin etwas Ungewöhnliches. Anstatt daß sie nun in ihrem Schreiben
an den Rath dies betont hätten, thaten sie gerade das Umgekehrte und hoben
hervor, daß sie. um im Latein und in der Verskunst Fortschritte zu machen,
das letzte Stück, eine Dichtung von Balthaser Crusius, in lateinischer Sprache
spielen wollten, suchten also das, was das Gewöhnliche war, als etwas
ganz besonders Lobenswerthes hinzustellen.

Dem Rathe muß das Vorhaben der Schüler unverfänglich erschienen sein.
Er ließ sich beide Stücke zur Durchsicht vorlegen, und da er "nichts ungeschicktes
darinn befunden", auch "die?i'g.ö(:öMrW, so gelehrte Leuthe, undt theils?ro-
tsssores und Laecalaurei tdeologias seindt nichts dabey zuerinnern gewust",
so gab er seinen Consens zur Ausführung und bewilligte sogar den größten
Theil der Kosten für die Herrichtung des Theaters, und die Schüler machten
sich vergnügt ans Einstudiren.

Da erfuhr nach einigen Wochen, als die Aufführung schon vor der
Thüre stand, auch das kurfürstliche Conststorium in Leipzig von der Sache.
Nun war damals wie heute der Leipziger Rath bloß der Patron seiner beiden
Gymnasien; Mittelsbehörde und Behörde dagegen bildeten das genannte
Konsistorium und das Oberconsistorium in Dresden, entsprechend etwa der
heutigen Gymnasialcommission und dem heutigen Unterrichtsministerium.
Aber das Verhältniß zwischen Patron und Behörde war damals ein wesentlich
anderes als heute. Von den drei Mitgliedern, aus denen jetzt die Gymnasial¬
commission besteht, sind zwei zugleich Mitglieder des Rathes, und während
aus diese Weise die Rechte der Behörde heutzutage größtentheils unvermerkt in
die Hände des Patrons übergegangen sind und der Rath in Verbindung mit
der Gemeindevertretung, unbehelligt durch Gymnasialcommission und Mi¬
nisterium, Maaßregeln treffen und Verordnungen erlassen kann, die nach
dem Wortlaute der gesetzlichen Bestimmungen eigentlich in den Bereich des
Ministeriums gehören, wachte in früheren Zeiten das Conststorium eifersüchtig
darüber, daß der Rath die Gränzen seiner Befugnisse nicht überschritt, und
Competenzconflicte zwischen Patron und Behörde waren eben keine Seltenheit.
Ein solcher entspann sich sofort im vorliegenden Falle. Kaum waren dem
Consistorium die neuerungssüchtigen Pläne der Thomaner zu Ohren ge¬
kommen, so erließ es -- grausamer Weise am Tage der festgesetzten ersten
Aufführung, am 26. April -- an den damaligen Rector der Thomasschule,
Georg Cramer. ein kategorisches Schreiben, worin es seine Entrüstung darüber


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im Saale des Schulgebäudes stattfinden.

Aber die Alumnen zu Se. Thomas waren schlaue Jungen. Das erste
Stück wollten sie in deutscher Sprache aufführen, und darin lag wenn auch
keine absolute Neuerung, denn der Fall war eben vereinzelt schon dagewesen,
doch immerhin etwas Ungewöhnliches. Anstatt daß sie nun in ihrem Schreiben
an den Rath dies betont hätten, thaten sie gerade das Umgekehrte und hoben
hervor, daß sie. um im Latein und in der Verskunst Fortschritte zu machen,
das letzte Stück, eine Dichtung von Balthaser Crusius, in lateinischer Sprache
spielen wollten, suchten also das, was das Gewöhnliche war, als etwas
ganz besonders Lobenswerthes hinzustellen.

Dem Rathe muß das Vorhaben der Schüler unverfänglich erschienen sein.
Er ließ sich beide Stücke zur Durchsicht vorlegen, und da er „nichts ungeschicktes
darinn befunden", auch „die?i'g.ö(:öMrW, so gelehrte Leuthe, undt theils?ro-
tsssores und Laecalaurei tdeologias seindt nichts dabey zuerinnern gewust",
so gab er seinen Consens zur Ausführung und bewilligte sogar den größten
Theil der Kosten für die Herrichtung des Theaters, und die Schüler machten
sich vergnügt ans Einstudiren.

Da erfuhr nach einigen Wochen, als die Aufführung schon vor der
Thüre stand, auch das kurfürstliche Conststorium in Leipzig von der Sache.
Nun war damals wie heute der Leipziger Rath bloß der Patron seiner beiden
Gymnasien; Mittelsbehörde und Behörde dagegen bildeten das genannte
Konsistorium und das Oberconsistorium in Dresden, entsprechend etwa der
heutigen Gymnasialcommission und dem heutigen Unterrichtsministerium.
Aber das Verhältniß zwischen Patron und Behörde war damals ein wesentlich
anderes als heute. Von den drei Mitgliedern, aus denen jetzt die Gymnasial¬
commission besteht, sind zwei zugleich Mitglieder des Rathes, und während
aus diese Weise die Rechte der Behörde heutzutage größtentheils unvermerkt in
die Hände des Patrons übergegangen sind und der Rath in Verbindung mit
der Gemeindevertretung, unbehelligt durch Gymnasialcommission und Mi¬
nisterium, Maaßregeln treffen und Verordnungen erlassen kann, die nach
dem Wortlaute der gesetzlichen Bestimmungen eigentlich in den Bereich des
Ministeriums gehören, wachte in früheren Zeiten das Conststorium eifersüchtig
darüber, daß der Rath die Gränzen seiner Befugnisse nicht überschritt, und
Competenzconflicte zwischen Patron und Behörde waren eben keine Seltenheit.
Ein solcher entspann sich sofort im vorliegenden Falle. Kaum waren dem
Consistorium die neuerungssüchtigen Pläne der Thomaner zu Ohren ge¬
kommen, so erließ es — grausamer Weise am Tage der festgesetzten ersten
Aufführung, am 26. April — an den damaligen Rector der Thomasschule,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/370>, abgerufen am 24.08.2024.