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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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den Schmalkaldischen Bund schlössen, um gegen Kaiser Karl den Fünften,
welcher von dem heiligen Vater in Rom nicht abgefallen war, zu rebellrren.
Ueber das eine Horn mit den Menschenaugen und dem Maule, das große
Dinge redet, ist man in Frankreich begreiflicherweise gar nicht in Ungewißheit.
Denn was könnte anders gemeint sein als Preußen? Hat es denn nicht
drei Hörner ausgerissen in den Kriegen mit Dänemark, mit Oesterreich und
mit Frankreich?

Der Alte, welcher den Heiligen, d. h. der vaticanischen Geistlichkeit, die
Herrschaft wieder giebt, ist Papst Pius der Neunte, und der, welchem er das
Gericht übergiebt ist Graf Chcnnbord, der legitime Roy und in Ermangelung
desselben -- Don Carlos, König von Spanien, legitimer Nachkomme Philipp's
des Zweiten.

Man lache nicht über solche Albernheiten. Die Massen des Volkes, die
wan ja nach Lourdes, Paray le Monial, Echternach :c. in Schaaren treiben
kann, sind in Unwissenheit und in tiefem Aberglauben befangen und ohne
große Mühe zu fanatisiren. Man stellt ihnen die jüdischen Visionen als
Offenbarungen des Allerhöchsten dar, die vom Himmel gekommen seien und
der Erfüllung harren. Sie tragen dazu bei, eine dumpfe Aufregung zu
unterhalten, Haß gegen unsern Kaiser und unser Reich anzufachen. Auch wird
den Landsleuten Diderot's und Voltaire's noch aus anderen "Prophezeiungen"
klärlich dargethan, daß der Stamm der Hohenzollern und das deutsche Reich
dem Untergange geweiht seien; beide würden "zertrümmert und zerschmettert"
werden; der Tag der Rache sei nahe.

Freilich, -- so sagt man den Leuten -- werden die sogenannten Auf¬
geklärten des neunzehnten Jahrhunderts mitleidig lächeln, wenn wir den
. Prophezeiungen Glauben beimessen. Hat man doch zu allen Zeiten über die¬
selben gespöttelt und schon in den Tagen des trojanischen Krieges auf die
Kassandra nicht gehört, die doch warnend voraussagte, was kommen werde.
Allerdings giebt es auch falsche Propheten, aber für die wahren Weissagungen
giebt es untrügliche Kennzeichen. Zu solchen gehört, daß zwischen der
Verkündigung einer Thatsache, die da kommen werde und der Erfüllung ein
längerer Zeitraum liege. Ferner: das verkündete Ereigniß muß Allen, welche
davon hören oder lesen als ein Ding der Unmöglichkeit oder doch der höchsten
UnWahrscheinlichkeit vorkommen, nur allein den Propheten nicht. Sodann
Wuß sich geschichtlich und authentisch nachweisen lassen, daß die Prophezeiung
^bezweifelt eingetroffen ist.

Nun schlage man beispielsweise des Suetonius Biographie der rö¬
mischen Kaiser aus. Dort steht in der Lebensbeschreibung Vespasian's,
Capitel 4, Folgendes zu lesen:

"Es hatte im ganzen Orient ein alter und fester Glaube allgemeine


den Schmalkaldischen Bund schlössen, um gegen Kaiser Karl den Fünften,
welcher von dem heiligen Vater in Rom nicht abgefallen war, zu rebellrren.
Ueber das eine Horn mit den Menschenaugen und dem Maule, das große
Dinge redet, ist man in Frankreich begreiflicherweise gar nicht in Ungewißheit.
Denn was könnte anders gemeint sein als Preußen? Hat es denn nicht
drei Hörner ausgerissen in den Kriegen mit Dänemark, mit Oesterreich und
mit Frankreich?

Der Alte, welcher den Heiligen, d. h. der vaticanischen Geistlichkeit, die
Herrschaft wieder giebt, ist Papst Pius der Neunte, und der, welchem er das
Gericht übergiebt ist Graf Chcnnbord, der legitime Roy und in Ermangelung
desselben — Don Carlos, König von Spanien, legitimer Nachkomme Philipp's
des Zweiten.

Man lache nicht über solche Albernheiten. Die Massen des Volkes, die
wan ja nach Lourdes, Paray le Monial, Echternach :c. in Schaaren treiben
kann, sind in Unwissenheit und in tiefem Aberglauben befangen und ohne
große Mühe zu fanatisiren. Man stellt ihnen die jüdischen Visionen als
Offenbarungen des Allerhöchsten dar, die vom Himmel gekommen seien und
der Erfüllung harren. Sie tragen dazu bei, eine dumpfe Aufregung zu
unterhalten, Haß gegen unsern Kaiser und unser Reich anzufachen. Auch wird
den Landsleuten Diderot's und Voltaire's noch aus anderen „Prophezeiungen"
klärlich dargethan, daß der Stamm der Hohenzollern und das deutsche Reich
dem Untergange geweiht seien; beide würden „zertrümmert und zerschmettert"
werden; der Tag der Rache sei nahe.

Freilich, — so sagt man den Leuten — werden die sogenannten Auf¬
geklärten des neunzehnten Jahrhunderts mitleidig lächeln, wenn wir den
. Prophezeiungen Glauben beimessen. Hat man doch zu allen Zeiten über die¬
selben gespöttelt und schon in den Tagen des trojanischen Krieges auf die
Kassandra nicht gehört, die doch warnend voraussagte, was kommen werde.
Allerdings giebt es auch falsche Propheten, aber für die wahren Weissagungen
giebt es untrügliche Kennzeichen. Zu solchen gehört, daß zwischen der
Verkündigung einer Thatsache, die da kommen werde und der Erfüllung ein
längerer Zeitraum liege. Ferner: das verkündete Ereigniß muß Allen, welche
davon hören oder lesen als ein Ding der Unmöglichkeit oder doch der höchsten
UnWahrscheinlichkeit vorkommen, nur allein den Propheten nicht. Sodann
Wuß sich geschichtlich und authentisch nachweisen lassen, daß die Prophezeiung
^bezweifelt eingetroffen ist.

Nun schlage man beispielsweise des Suetonius Biographie der rö¬
mischen Kaiser aus. Dort steht in der Lebensbeschreibung Vespasian's,
Capitel 4, Folgendes zu lesen:

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[0359] den Schmalkaldischen Bund schlössen, um gegen Kaiser Karl den Fünften, welcher von dem heiligen Vater in Rom nicht abgefallen war, zu rebellrren. Ueber das eine Horn mit den Menschenaugen und dem Maule, das große Dinge redet, ist man in Frankreich begreiflicherweise gar nicht in Ungewißheit. Denn was könnte anders gemeint sein als Preußen? Hat es denn nicht drei Hörner ausgerissen in den Kriegen mit Dänemark, mit Oesterreich und mit Frankreich? Der Alte, welcher den Heiligen, d. h. der vaticanischen Geistlichkeit, die Herrschaft wieder giebt, ist Papst Pius der Neunte, und der, welchem er das Gericht übergiebt ist Graf Chcnnbord, der legitime Roy und in Ermangelung desselben — Don Carlos, König von Spanien, legitimer Nachkomme Philipp's des Zweiten. Man lache nicht über solche Albernheiten. Die Massen des Volkes, die wan ja nach Lourdes, Paray le Monial, Echternach :c. in Schaaren treiben kann, sind in Unwissenheit und in tiefem Aberglauben befangen und ohne große Mühe zu fanatisiren. Man stellt ihnen die jüdischen Visionen als Offenbarungen des Allerhöchsten dar, die vom Himmel gekommen seien und der Erfüllung harren. Sie tragen dazu bei, eine dumpfe Aufregung zu unterhalten, Haß gegen unsern Kaiser und unser Reich anzufachen. Auch wird den Landsleuten Diderot's und Voltaire's noch aus anderen „Prophezeiungen" klärlich dargethan, daß der Stamm der Hohenzollern und das deutsche Reich dem Untergange geweiht seien; beide würden „zertrümmert und zerschmettert" werden; der Tag der Rache sei nahe. Freilich, — so sagt man den Leuten — werden die sogenannten Auf¬ geklärten des neunzehnten Jahrhunderts mitleidig lächeln, wenn wir den . Prophezeiungen Glauben beimessen. Hat man doch zu allen Zeiten über die¬ selben gespöttelt und schon in den Tagen des trojanischen Krieges auf die Kassandra nicht gehört, die doch warnend voraussagte, was kommen werde. Allerdings giebt es auch falsche Propheten, aber für die wahren Weissagungen giebt es untrügliche Kennzeichen. Zu solchen gehört, daß zwischen der Verkündigung einer Thatsache, die da kommen werde und der Erfüllung ein längerer Zeitraum liege. Ferner: das verkündete Ereigniß muß Allen, welche davon hören oder lesen als ein Ding der Unmöglichkeit oder doch der höchsten UnWahrscheinlichkeit vorkommen, nur allein den Propheten nicht. Sodann Wuß sich geschichtlich und authentisch nachweisen lassen, daß die Prophezeiung ^bezweifelt eingetroffen ist. Nun schlage man beispielsweise des Suetonius Biographie der rö¬ mischen Kaiser aus. Dort steht in der Lebensbeschreibung Vespasian's, Capitel 4, Folgendes zu lesen: „Es hatte im ganzen Orient ein alter und fester Glaube allgemeine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/359>, abgerufen am 22.07.2024.