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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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oder grau. Sein Pelz, außerordentlich zart, bildet einen Handelsartikel der
Hudsons-Bai.Gesellschaft. Er ist bedeutend kleiner von Körper als der Polar¬
hase, welcher gewöhnlich vier Kilogramm wiegt, wenn er völlig ausgewachsen
ist. Sein Fleisch ist kein Leckerbissen. -- Der Polarfuchs hat mit seltenen
Ausnahmen wenig von jener Arglist, welche man unserm Reinecke nachrühmt;
wenigstens sind uns außer einigen wenigen Fällen dieser Art nur Züge
völliger Harmlosigkeit erinnerlich.

Fast den ganzen Winter und das Frühjahr hindurch hielten wir einige
Füchse im Maschinenraum gefangen. In unmittelbarer Gesellschaft der
Kohlen wurden sie schwarz; zwei derselben erlagen der Lungentuberkulose, wie
dies die Sektion ergab. Ein schöner grauer Fuchs wurde wegen Widersetzlich¬
keit in der Kajüte garottirt, ein anderer entlassen, und der letzte desertirte
aus dem Käfige, den wir ihm gemacht und neben dem Schiff auf dem Eise
aufgestellt hatten. Diese Desertion -- durch Abschmelzung und Umfallen
eines Eisblockes, aus welchem der Käfig gestanden, herbeigeführt -- welchen
wir vom Deck aus zusahen, hatte etwas unbeschreiblich Komisches. Der
Fuchs, zum behaarten Skelett verkommen, begann sich zu dehnen, den buschigen
Schweif gerade wie einen Besen auszustrecken, wälzte seinen dürren Leib dann
im Schmelzwassertümpel und hüpfte endlich zierlich wie ein Balletmeister und
voll Freiheitslust mit allen Füßen zugleich aufspringend davon, ohne das
Schiff auch nur eines einzigen Blickes weiter zu würdigen. -- Der europäische
Fuchs verabscheut die Nähe des Menschen, der grönländische dagegen sucht
harmlos und ohne Mißtrauen seine Gesellschaft, denn überall hofft er von
ihm zu profitiren. Er ist der erste, welcher demselben nach stattgehabten
Jagdglück seine Bewunderung ausdrückt und sich beeilt, von der Beute mit
zu genießen, sowie einen Rennthierschinken Nachts vom Schlitten zu zerren
und fortzuschleppen. Er begleitet ihn auf Jagd und Schlittenreisen in ehr¬
erbietiger Entfernung, und benutzt dessen Schlaf zur Eröffnung, Visitation
und Plünderung der mitgeführten Proviantsäcke. Ein eingeeistes Schiff be¬
trachtet er mit Wohlgefallen, denn'es giebt da immer Abfälle, welche ihm
zugute kommen, und Dinge, welche sich leicht wegschleppen lassen. Ja er gewöhnt
sich so sehr an die Rolle des Schmarotzers, daß es oft schwer wird, sich seiner
Unverschämtheit zu erwehren. -- Tritt man aus dem Zelte, um sein seit
Stunden gehörtes Nagen oder, wenn er in Gesellschaft mehrerer ist, sein
neidisches Knurren oder sein Zerreißen an den Leinen zu sistiren, so schleicht
er nicht etwa demüthig von dannen, sondern sieht seinen Wohlthäter frech
an, bellt, wenn man schießt und entfernt sich nur unwillig und zögernd."

"Der Moschusochse " berichten seine Entdecker, "richtiger Schasochst
(Ovibos moLcns-tus Llainv) ist etwas kleiner, als der europäische Ochse. Sein
Aussehen ist im Widerspruche mit seiner Harmlosigkeit drohend, seine Farbe


oder grau. Sein Pelz, außerordentlich zart, bildet einen Handelsartikel der
Hudsons-Bai.Gesellschaft. Er ist bedeutend kleiner von Körper als der Polar¬
hase, welcher gewöhnlich vier Kilogramm wiegt, wenn er völlig ausgewachsen
ist. Sein Fleisch ist kein Leckerbissen. — Der Polarfuchs hat mit seltenen
Ausnahmen wenig von jener Arglist, welche man unserm Reinecke nachrühmt;
wenigstens sind uns außer einigen wenigen Fällen dieser Art nur Züge
völliger Harmlosigkeit erinnerlich.

Fast den ganzen Winter und das Frühjahr hindurch hielten wir einige
Füchse im Maschinenraum gefangen. In unmittelbarer Gesellschaft der
Kohlen wurden sie schwarz; zwei derselben erlagen der Lungentuberkulose, wie
dies die Sektion ergab. Ein schöner grauer Fuchs wurde wegen Widersetzlich¬
keit in der Kajüte garottirt, ein anderer entlassen, und der letzte desertirte
aus dem Käfige, den wir ihm gemacht und neben dem Schiff auf dem Eise
aufgestellt hatten. Diese Desertion — durch Abschmelzung und Umfallen
eines Eisblockes, aus welchem der Käfig gestanden, herbeigeführt — welchen
wir vom Deck aus zusahen, hatte etwas unbeschreiblich Komisches. Der
Fuchs, zum behaarten Skelett verkommen, begann sich zu dehnen, den buschigen
Schweif gerade wie einen Besen auszustrecken, wälzte seinen dürren Leib dann
im Schmelzwassertümpel und hüpfte endlich zierlich wie ein Balletmeister und
voll Freiheitslust mit allen Füßen zugleich aufspringend davon, ohne das
Schiff auch nur eines einzigen Blickes weiter zu würdigen. — Der europäische
Fuchs verabscheut die Nähe des Menschen, der grönländische dagegen sucht
harmlos und ohne Mißtrauen seine Gesellschaft, denn überall hofft er von
ihm zu profitiren. Er ist der erste, welcher demselben nach stattgehabten
Jagdglück seine Bewunderung ausdrückt und sich beeilt, von der Beute mit
zu genießen, sowie einen Rennthierschinken Nachts vom Schlitten zu zerren
und fortzuschleppen. Er begleitet ihn auf Jagd und Schlittenreisen in ehr¬
erbietiger Entfernung, und benutzt dessen Schlaf zur Eröffnung, Visitation
und Plünderung der mitgeführten Proviantsäcke. Ein eingeeistes Schiff be¬
trachtet er mit Wohlgefallen, denn'es giebt da immer Abfälle, welche ihm
zugute kommen, und Dinge, welche sich leicht wegschleppen lassen. Ja er gewöhnt
sich so sehr an die Rolle des Schmarotzers, daß es oft schwer wird, sich seiner
Unverschämtheit zu erwehren. — Tritt man aus dem Zelte, um sein seit
Stunden gehörtes Nagen oder, wenn er in Gesellschaft mehrerer ist, sein
neidisches Knurren oder sein Zerreißen an den Leinen zu sistiren, so schleicht
er nicht etwa demüthig von dannen, sondern sieht seinen Wohlthäter frech
an, bellt, wenn man schießt und entfernt sich nur unwillig und zögernd."

„Der Moschusochse " berichten seine Entdecker, „richtiger Schasochst
(Ovibos moLcns-tus Llainv) ist etwas kleiner, als der europäische Ochse. Sein
Aussehen ist im Widerspruche mit seiner Harmlosigkeit drohend, seine Farbe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/352>, abgerufen am 01.07.2024.