Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Postalischer Barneren zu überschreiten, deren Brückenzoll der Briefschreiber
zahlen mußte. Noch weit schwieriger war ein Briefwechsel mit dem Aus¬
lande. Kostete doch noch im Jahre 1842 ein Brief von Berlin nach London
271/2 Sgr., ein Brief von Berlin nach Marseille 13^2 Sgr., -- Tarife, deren
exorbitante Höhe natürlich dem brieflichen Verkehr die äußersten Beschränkungen
auferlegte und daher der Annäherung der Völker direct entgegenwirken mußte.
Neben dieser großen Schädigung der Interessen des Weltverkehrs zogen
die vielstufigen hohen Brieftaxen noch zahlreiche andere Nachtheile nach sich,
insbesondere: einen unverhältnißmäßigen Aufwand an Arbeitskraft zur Be¬
rechnung all der verschiedenen Portoantheile der einzelnen Staaten, ein massen¬
haftes unfruchtbares Schreibwerk zur Abschließung und Ausführung der Post-
conventionen, weitläufige Abrechnungen über Porto, Transitvergütungen und
sonstige Gebühren, kurz jenes taut 6" bruit pour une oivolLttö, welches mit
Recht von Freund und Feind gefürchtet wird. Zu Anfang des Jahres 1850
wurde diesem Zustande der Postanarchie in Deutschland dadurch ein Ende
gemacht, daß die deutschen PostVerwaltungen zu einem Postverein zusammen¬
traten, dessen Ergebniß die Festsetzung eines einheitlichen Portos für Deutsch¬
land war. Die übrigen Länder Europas hatten, Dank ihrer mehr geschlossenen
politischen Organisation, diesen Vortheil innerhalb ihres eignen Gebiets längst
besessen. Dagegen blieben im großen internationalen Verkehr der
Post noch lange die alten Traditionen vielstufiger zusammengesetzter Tarife,
schwerfälliger Transitberechnungen und langsamer Briefspedition in Kraft und
Blüthe, bis Stephan's Ideen in diese "rudis inÄigestayutz rnvlös" neuen
Fluß hineinbrachten. Es ist ungemein lehrreich, die Entwickelungsphasen sich
zu vergegenwärtigen, welche das internationale Postrecht durchgemacht
hat; es spiegelt sich in ihnen der Gang der menschlichen Kulturbewegung
wieder. Zuerst principlose Empirie, dann ein Rüstwerk verrotteter Principien,
endlich der Durchbruch geläuterter, einfacher, zweckentsprechender Grundsätze.
Man erwäge indessen, um welche gewaltigen Verkehrsmassen es sich
hierbei handelt. Nach Stephan's Berechnungen werden auf der Erde jährlich
etwa 3300 Millionen Briefe mit der Post expedirt. also täglich 9^ Millionen
oder in jeder Secunde 100 Stück. Europas Antheil an dem Weltpostverkehr
beträgt etwa 2355 Millionen Briefe, Amerikas 750 Millionen, Asiens etwa
150 Millionen, während auf Afrika und Australien ungefähr 20--25 Mill.
Briefe kommen. Der internationale Verkehr im enteren Sinne beziffert sich
auf 500 Millionen Briefe. Es kann keinen besseren Beleg geben, als die
Wucht dieser Zahlen, um darzuthun, von welcher ungeheuren Wichtigkeit
die Einführung reformatorischer Grundsätze in den Weltpostverkehr ist und
welche Verdienste sich das Genie erwerben muß, dem es gelingt, diesen Zweig
des menschlichen Verkehrs mit fester Hand zu ordnen. Die Lösung des


Postalischer Barneren zu überschreiten, deren Brückenzoll der Briefschreiber
zahlen mußte. Noch weit schwieriger war ein Briefwechsel mit dem Aus¬
lande. Kostete doch noch im Jahre 1842 ein Brief von Berlin nach London
271/2 Sgr., ein Brief von Berlin nach Marseille 13^2 Sgr., — Tarife, deren
exorbitante Höhe natürlich dem brieflichen Verkehr die äußersten Beschränkungen
auferlegte und daher der Annäherung der Völker direct entgegenwirken mußte.
Neben dieser großen Schädigung der Interessen des Weltverkehrs zogen
die vielstufigen hohen Brieftaxen noch zahlreiche andere Nachtheile nach sich,
insbesondere: einen unverhältnißmäßigen Aufwand an Arbeitskraft zur Be¬
rechnung all der verschiedenen Portoantheile der einzelnen Staaten, ein massen¬
haftes unfruchtbares Schreibwerk zur Abschließung und Ausführung der Post-
conventionen, weitläufige Abrechnungen über Porto, Transitvergütungen und
sonstige Gebühren, kurz jenes taut 6« bruit pour une oivolLttö, welches mit
Recht von Freund und Feind gefürchtet wird. Zu Anfang des Jahres 1850
wurde diesem Zustande der Postanarchie in Deutschland dadurch ein Ende
gemacht, daß die deutschen PostVerwaltungen zu einem Postverein zusammen¬
traten, dessen Ergebniß die Festsetzung eines einheitlichen Portos für Deutsch¬
land war. Die übrigen Länder Europas hatten, Dank ihrer mehr geschlossenen
politischen Organisation, diesen Vortheil innerhalb ihres eignen Gebiets längst
besessen. Dagegen blieben im großen internationalen Verkehr der
Post noch lange die alten Traditionen vielstufiger zusammengesetzter Tarife,
schwerfälliger Transitberechnungen und langsamer Briefspedition in Kraft und
Blüthe, bis Stephan's Ideen in diese „rudis inÄigestayutz rnvlös" neuen
Fluß hineinbrachten. Es ist ungemein lehrreich, die Entwickelungsphasen sich
zu vergegenwärtigen, welche das internationale Postrecht durchgemacht
hat; es spiegelt sich in ihnen der Gang der menschlichen Kulturbewegung
wieder. Zuerst principlose Empirie, dann ein Rüstwerk verrotteter Principien,
endlich der Durchbruch geläuterter, einfacher, zweckentsprechender Grundsätze.
Man erwäge indessen, um welche gewaltigen Verkehrsmassen es sich
hierbei handelt. Nach Stephan's Berechnungen werden auf der Erde jährlich
etwa 3300 Millionen Briefe mit der Post expedirt. also täglich 9^ Millionen
oder in jeder Secunde 100 Stück. Europas Antheil an dem Weltpostverkehr
beträgt etwa 2355 Millionen Briefe, Amerikas 750 Millionen, Asiens etwa
150 Millionen, während auf Afrika und Australien ungefähr 20—25 Mill.
Briefe kommen. Der internationale Verkehr im enteren Sinne beziffert sich
auf 500 Millionen Briefe. Es kann keinen besseren Beleg geben, als die
Wucht dieser Zahlen, um darzuthun, von welcher ungeheuren Wichtigkeit
die Einführung reformatorischer Grundsätze in den Weltpostverkehr ist und
welche Verdienste sich das Genie erwerben muß, dem es gelingt, diesen Zweig
des menschlichen Verkehrs mit fester Hand zu ordnen. Die Lösung des


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0283" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/131977"/>
          <p xml:id="ID_1047" prev="#ID_1046" next="#ID_1048"> Postalischer Barneren zu überschreiten, deren Brückenzoll der Briefschreiber<lb/>
zahlen mußte. Noch weit schwieriger war ein Briefwechsel mit dem Aus¬<lb/>
lande. Kostete doch noch im Jahre 1842 ein Brief von Berlin nach London<lb/>
271/2 Sgr., ein Brief von Berlin nach Marseille 13^2 Sgr., &#x2014; Tarife, deren<lb/>
exorbitante Höhe natürlich dem brieflichen Verkehr die äußersten Beschränkungen<lb/>
auferlegte und daher der Annäherung der Völker direct entgegenwirken mußte.<lb/>
Neben dieser großen Schädigung der Interessen des Weltverkehrs zogen<lb/>
die vielstufigen hohen Brieftaxen noch zahlreiche andere Nachtheile nach sich,<lb/>
insbesondere: einen unverhältnißmäßigen Aufwand an Arbeitskraft zur Be¬<lb/>
rechnung all der verschiedenen Portoantheile der einzelnen Staaten, ein massen¬<lb/>
haftes unfruchtbares Schreibwerk zur Abschließung und Ausführung der Post-<lb/>
conventionen, weitläufige Abrechnungen über Porto, Transitvergütungen und<lb/>
sonstige Gebühren, kurz jenes taut 6« bruit pour une oivolLttö, welches mit<lb/>
Recht von Freund und Feind gefürchtet wird. Zu Anfang des Jahres 1850<lb/>
wurde diesem Zustande der Postanarchie in Deutschland dadurch ein Ende<lb/>
gemacht, daß die deutschen PostVerwaltungen zu einem Postverein zusammen¬<lb/>
traten, dessen Ergebniß die Festsetzung eines einheitlichen Portos für Deutsch¬<lb/>
land war. Die übrigen Länder Europas hatten, Dank ihrer mehr geschlossenen<lb/>
politischen Organisation, diesen Vortheil innerhalb ihres eignen Gebiets längst<lb/>
besessen. Dagegen blieben im großen internationalen Verkehr der<lb/>
Post noch lange die alten Traditionen vielstufiger zusammengesetzter Tarife,<lb/>
schwerfälliger Transitberechnungen und langsamer Briefspedition in Kraft und<lb/>
Blüthe, bis Stephan's Ideen in diese &#x201E;rudis inÄigestayutz rnvlös" neuen<lb/>
Fluß hineinbrachten. Es ist ungemein lehrreich, die Entwickelungsphasen sich<lb/>
zu vergegenwärtigen, welche das internationale Postrecht durchgemacht<lb/>
hat; es spiegelt sich in ihnen der Gang der menschlichen Kulturbewegung<lb/>
wieder. Zuerst principlose Empirie, dann ein Rüstwerk verrotteter Principien,<lb/>
endlich der Durchbruch geläuterter, einfacher, zweckentsprechender Grundsätze.<lb/>
Man erwäge indessen, um welche gewaltigen Verkehrsmassen es sich<lb/>
hierbei handelt. Nach Stephan's Berechnungen werden auf der Erde jährlich<lb/>
etwa 3300 Millionen Briefe mit der Post expedirt. also täglich 9^ Millionen<lb/>
oder in jeder Secunde 100 Stück. Europas Antheil an dem Weltpostverkehr<lb/>
beträgt etwa 2355 Millionen Briefe, Amerikas 750 Millionen, Asiens etwa<lb/>
150 Millionen, während auf Afrika und Australien ungefähr 20&#x2014;25 Mill.<lb/>
Briefe kommen. Der internationale Verkehr im enteren Sinne beziffert sich<lb/>
auf 500 Millionen Briefe. Es kann keinen besseren Beleg geben, als die<lb/>
Wucht dieser Zahlen, um darzuthun, von welcher ungeheuren Wichtigkeit<lb/>
die Einführung reformatorischer Grundsätze in den Weltpostverkehr ist und<lb/>
welche Verdienste sich das Genie erwerben muß, dem es gelingt, diesen Zweig<lb/>
des menschlichen Verkehrs mit fester Hand zu ordnen.  Die Lösung des</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0283] Postalischer Barneren zu überschreiten, deren Brückenzoll der Briefschreiber zahlen mußte. Noch weit schwieriger war ein Briefwechsel mit dem Aus¬ lande. Kostete doch noch im Jahre 1842 ein Brief von Berlin nach London 271/2 Sgr., ein Brief von Berlin nach Marseille 13^2 Sgr., — Tarife, deren exorbitante Höhe natürlich dem brieflichen Verkehr die äußersten Beschränkungen auferlegte und daher der Annäherung der Völker direct entgegenwirken mußte. Neben dieser großen Schädigung der Interessen des Weltverkehrs zogen die vielstufigen hohen Brieftaxen noch zahlreiche andere Nachtheile nach sich, insbesondere: einen unverhältnißmäßigen Aufwand an Arbeitskraft zur Be¬ rechnung all der verschiedenen Portoantheile der einzelnen Staaten, ein massen¬ haftes unfruchtbares Schreibwerk zur Abschließung und Ausführung der Post- conventionen, weitläufige Abrechnungen über Porto, Transitvergütungen und sonstige Gebühren, kurz jenes taut 6« bruit pour une oivolLttö, welches mit Recht von Freund und Feind gefürchtet wird. Zu Anfang des Jahres 1850 wurde diesem Zustande der Postanarchie in Deutschland dadurch ein Ende gemacht, daß die deutschen PostVerwaltungen zu einem Postverein zusammen¬ traten, dessen Ergebniß die Festsetzung eines einheitlichen Portos für Deutsch¬ land war. Die übrigen Länder Europas hatten, Dank ihrer mehr geschlossenen politischen Organisation, diesen Vortheil innerhalb ihres eignen Gebiets längst besessen. Dagegen blieben im großen internationalen Verkehr der Post noch lange die alten Traditionen vielstufiger zusammengesetzter Tarife, schwerfälliger Transitberechnungen und langsamer Briefspedition in Kraft und Blüthe, bis Stephan's Ideen in diese „rudis inÄigestayutz rnvlös" neuen Fluß hineinbrachten. Es ist ungemein lehrreich, die Entwickelungsphasen sich zu vergegenwärtigen, welche das internationale Postrecht durchgemacht hat; es spiegelt sich in ihnen der Gang der menschlichen Kulturbewegung wieder. Zuerst principlose Empirie, dann ein Rüstwerk verrotteter Principien, endlich der Durchbruch geläuterter, einfacher, zweckentsprechender Grundsätze. Man erwäge indessen, um welche gewaltigen Verkehrsmassen es sich hierbei handelt. Nach Stephan's Berechnungen werden auf der Erde jährlich etwa 3300 Millionen Briefe mit der Post expedirt. also täglich 9^ Millionen oder in jeder Secunde 100 Stück. Europas Antheil an dem Weltpostverkehr beträgt etwa 2355 Millionen Briefe, Amerikas 750 Millionen, Asiens etwa 150 Millionen, während auf Afrika und Australien ungefähr 20—25 Mill. Briefe kommen. Der internationale Verkehr im enteren Sinne beziffert sich auf 500 Millionen Briefe. Es kann keinen besseren Beleg geben, als die Wucht dieser Zahlen, um darzuthun, von welcher ungeheuren Wichtigkeit die Einführung reformatorischer Grundsätze in den Weltpostverkehr ist und welche Verdienste sich das Genie erwerben muß, dem es gelingt, diesen Zweig des menschlichen Verkehrs mit fester Hand zu ordnen. Die Lösung des

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/283
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/283>, abgerufen am 22.07.2024.