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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Leider ist es ja wahr, daß auch derjenige, dem die reichsten litterarischen
Hilfsmittel zur Verfügung stehen, dann und wann in den ärgerlichen und
beschämenden Fall kommt, einen Band des Konversationslexikons vom Bücher-
brete herablangen zu müssen. Im übrigen aber sollte es unter allen Um¬
ständen die letzte litterarische Zuflucht eines gebildeten Menschen sein, das
letzte Noth-, Trost- und Hilfsbüchlein, zu dem er erst dann greifen dürfte,
wenn seine übrigen Quellen sämmtlich versiechen. So lange es noch fast über
alle denkbaren Zweige der Wissenschaft Handbücher giebt, in welchen der ein¬
zelne Punkt, über den man Auskunft sucht, sich stets im organischen Zu¬
sammenhange des Ganzen behandelt vorfindet, so lange sollte man die spär¬
lichen, aus dem Zusammenhange gerissenen Notizen verschmähen, die nun
einmal bei jeder lexicalischen Anordnung eines wissenschaftlichen Stoffes nur
geboten werden können. Wir meinen: so sollte es sein. In Wahrheit
freilich ist es umgekehrt. Für die meisten Menschen ist das Conversations-
lexicon nicht die letzte, sondern die erste, ja sogar die einzige Zuflucht, sie sind
glücklich, daß ihnen ein Lexiconartikel so hübsch bequem in sieben, acht Zeilen
ihre Sehnsucht stillt, ohne daß sie nöthig hätten, das Krümelchen Weisheit,
das sie gerade brauchen und mit dem sie auch vollständig zufrieden sind, aus
einem weiteren Zusammenhange sich selber herauszuklauben. Und so ist das
Conversationslexicon, während es für weiter nichts als für ein nothwendiges
Uebel betrachtet werden sollte, geradezu eine Macht geworden und hat der
großen Masse gegenüber sogar eine Art Mission erhalten, die es freilich nur
dann erfüllen kann, wenn die Verfasser es verstanden haben, sich jeden Augen¬
blick auf den Standpunkt der Belehrungsuchenden zu stellen.

Die Herausgeber' des vorliegenden "Archäologischen Wörterbuchs" haben
eingestandenermaßen bei der Abfassung ihres Werkes in erster Linie Dilettanten
im Auge gehabt, nämlich jene Alterthumsvereinler, die es jetzt fast in allen
größern deutschen Provinzialstädten giebt und die sich ohne Zweifel hie und
da um die Localgeschichte ihres Wohnortes mancherlei Verdienste erwerben,
wenn es ihnen auch mitunter passirt, daß sie bei ihren Alterthumsstudien
mehr Material für die Münchner "Fliegenden Blätter" als für ihr obligates
"Jahrbuch" zu Tage fördern. Diesen Dilettanten wollten die Herausgeber
"einen Faden in die Hand geben, der sie leiten könnte durch das Labyrinth
der technischen Ausdrücke". Wir können nun schon gar nicht glauben, daß
jenen Leuten mit einem solchen Wörterbuche viel gedient sein wird. Der
dilettirende Alterthumsforscher wird viel öfter in den Fall kommen, daß er
einen Kunstgegenstand, der ihm in natura, vorliegt, nicht mit seinem technischen
Namen bezeichnen kann, als daß er in einem Texte, der ja in der Regel von
Abbildungen begleitet ist und sich auf diese Abbildungen bezieht, einen tech¬
nischen Ausdruck nicht verstehen sollte. Dann kann ihm aber kein Wörter"


Leider ist es ja wahr, daß auch derjenige, dem die reichsten litterarischen
Hilfsmittel zur Verfügung stehen, dann und wann in den ärgerlichen und
beschämenden Fall kommt, einen Band des Konversationslexikons vom Bücher-
brete herablangen zu müssen. Im übrigen aber sollte es unter allen Um¬
ständen die letzte litterarische Zuflucht eines gebildeten Menschen sein, das
letzte Noth-, Trost- und Hilfsbüchlein, zu dem er erst dann greifen dürfte,
wenn seine übrigen Quellen sämmtlich versiechen. So lange es noch fast über
alle denkbaren Zweige der Wissenschaft Handbücher giebt, in welchen der ein¬
zelne Punkt, über den man Auskunft sucht, sich stets im organischen Zu¬
sammenhange des Ganzen behandelt vorfindet, so lange sollte man die spär¬
lichen, aus dem Zusammenhange gerissenen Notizen verschmähen, die nun
einmal bei jeder lexicalischen Anordnung eines wissenschaftlichen Stoffes nur
geboten werden können. Wir meinen: so sollte es sein. In Wahrheit
freilich ist es umgekehrt. Für die meisten Menschen ist das Conversations-
lexicon nicht die letzte, sondern die erste, ja sogar die einzige Zuflucht, sie sind
glücklich, daß ihnen ein Lexiconartikel so hübsch bequem in sieben, acht Zeilen
ihre Sehnsucht stillt, ohne daß sie nöthig hätten, das Krümelchen Weisheit,
das sie gerade brauchen und mit dem sie auch vollständig zufrieden sind, aus
einem weiteren Zusammenhange sich selber herauszuklauben. Und so ist das
Conversationslexicon, während es für weiter nichts als für ein nothwendiges
Uebel betrachtet werden sollte, geradezu eine Macht geworden und hat der
großen Masse gegenüber sogar eine Art Mission erhalten, die es freilich nur
dann erfüllen kann, wenn die Verfasser es verstanden haben, sich jeden Augen¬
blick auf den Standpunkt der Belehrungsuchenden zu stellen.

Die Herausgeber' des vorliegenden „Archäologischen Wörterbuchs" haben
eingestandenermaßen bei der Abfassung ihres Werkes in erster Linie Dilettanten
im Auge gehabt, nämlich jene Alterthumsvereinler, die es jetzt fast in allen
größern deutschen Provinzialstädten giebt und die sich ohne Zweifel hie und
da um die Localgeschichte ihres Wohnortes mancherlei Verdienste erwerben,
wenn es ihnen auch mitunter passirt, daß sie bei ihren Alterthumsstudien
mehr Material für die Münchner „Fliegenden Blätter" als für ihr obligates
„Jahrbuch" zu Tage fördern. Diesen Dilettanten wollten die Herausgeber
„einen Faden in die Hand geben, der sie leiten könnte durch das Labyrinth
der technischen Ausdrücke". Wir können nun schon gar nicht glauben, daß
jenen Leuten mit einem solchen Wörterbuche viel gedient sein wird. Der
dilettirende Alterthumsforscher wird viel öfter in den Fall kommen, daß er
einen Kunstgegenstand, der ihm in natura, vorliegt, nicht mit seinem technischen
Namen bezeichnen kann, als daß er in einem Texte, der ja in der Regel von
Abbildungen begleitet ist und sich auf diese Abbildungen bezieht, einen tech¬
nischen Ausdruck nicht verstehen sollte. Dann kann ihm aber kein Wörter«


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/242>, abgerufen am 01.07.2024.