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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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duch helfen, sondern nur ein tüchtiges, reichillustnrtes systematisches Handbuch
der Archäologie und Kunstlehre. Hätten uns die beiden Herausgeber ein
solches Buch geschenkt, welches übrigens, wenn es mit einem genauen Wortre¬
gister versehen wäre, die Stelle des Wörterbuchs zugleich mit vertreten hätte,
so würden sie sich ein unbestreitbares Verdienst erworben haben. Mit einem
bloßen Wörterbuche wird der Zweck, den die Herausgeber im Auge hatten,
nicht erreicht. Dazu kommt aber, daß die Verfasser nicht einmal die oben
ausgesprochene Forderung erfüllt und sich keineswegs immer auf den Stand¬
punkt des Belehrungsuchenden versetzt haben. Auf der einen Seite enthält
ihr Wörterbuch zu viel, auf der andern zu wenig. Als durchaus nicht her¬
gehörig müssen wir z. B. die platzraubenden ikonographischen Artikel be¬
zeichnen, ebenso die massenhaften technischen Ausdrücke aus dem Französischen
und Englischen. Wer sich so eingehend mit kunstwissenschaftlicher Studien
beschäftigt, daß er englische und französische Fachjournale liest, der schöpft
seine Weisheit wahrlich nicht aus einem "Jllustrirten archäologischen Wörter¬
buche", und wer nur den Alterthumsvereinler ein bischen spielt, vor dem haben
die englischen und französischen Fachjournale hoffentlich Ruhe. Was aber die
ikonographischen Artikel betrifft, so begreifen wir nicht, was sie in einem
Wörterbuche sollen, welches durch "das Labyrinth technischer Ausdrücke"
führen soll, ganz abgesehen davon, daß gerade bei diesen Artikeln ein Mi߬
stand hervortritt, der sich zwar auch in den übrigen Partieen zeigt und mehr
oder weniger jedem Conversationslexicon anhaftet, der aber hier sich ganz be¬
sonders fühlbar macht, nämlich der Mangel an gleichmäßiger Durcharbeitung.
Die Ikonographie, d. h. die vergleichende Denkmälerkunde, also jenes Gebiet
der Kunstwissenschaft, bei der die gegenständliche Seite den Hauptgesichtspunkt
der Betrachtung bildet, ist zwar in der antiken Kunst, namentlich in einem
ihrer Zweige -- der Kunstmythologie -- eifrig cultivirt worden, liegt aber
in der modernen Kunst fast noch ganz unangebaut da. Wo nun den Heraus¬
gebern in irgend einer Monographie bequemes Material zur Hand war, da
haben sie ihre Artikel zu ungebührlicher Länge ausgedehnt; wo ihnen dieses
Material fehlte -- und das wird ihnen in den nachfolgenden Heften noch
manchmal so gehen -- da sind die Artikel unverhältnißmäßig mager ausge¬
fallen. Aber mager oder nicht, sie gehören überhaupt nicht hierher und neh¬
men nur andern Artikeln den Platz weg, die eingehender behandelt sein
müßten. Die Herausgeber bezeichnen es im Vorworte selbst als ihre Aufgabe,
ihre Artikel so einzurichten, "daß jeder Nachschlagende nicht halbe, sondern
volle Kenntniß von dem Wesen des betreffenden Gegenstandes aus dem auf¬
geschlagenen Artikel schöpfen könne". Sieht man sich aber das Buch näher
an, so gewahrt man, wie auf jeder Seite dieser Forderung ins Gesicht ge¬
schlagen ist. Auf Tritt und Schritt begegnet man ungenügenden Artikeln, an


duch helfen, sondern nur ein tüchtiges, reichillustnrtes systematisches Handbuch
der Archäologie und Kunstlehre. Hätten uns die beiden Herausgeber ein
solches Buch geschenkt, welches übrigens, wenn es mit einem genauen Wortre¬
gister versehen wäre, die Stelle des Wörterbuchs zugleich mit vertreten hätte,
so würden sie sich ein unbestreitbares Verdienst erworben haben. Mit einem
bloßen Wörterbuche wird der Zweck, den die Herausgeber im Auge hatten,
nicht erreicht. Dazu kommt aber, daß die Verfasser nicht einmal die oben
ausgesprochene Forderung erfüllt und sich keineswegs immer auf den Stand¬
punkt des Belehrungsuchenden versetzt haben. Auf der einen Seite enthält
ihr Wörterbuch zu viel, auf der andern zu wenig. Als durchaus nicht her¬
gehörig müssen wir z. B. die platzraubenden ikonographischen Artikel be¬
zeichnen, ebenso die massenhaften technischen Ausdrücke aus dem Französischen
und Englischen. Wer sich so eingehend mit kunstwissenschaftlicher Studien
beschäftigt, daß er englische und französische Fachjournale liest, der schöpft
seine Weisheit wahrlich nicht aus einem „Jllustrirten archäologischen Wörter¬
buche", und wer nur den Alterthumsvereinler ein bischen spielt, vor dem haben
die englischen und französischen Fachjournale hoffentlich Ruhe. Was aber die
ikonographischen Artikel betrifft, so begreifen wir nicht, was sie in einem
Wörterbuche sollen, welches durch „das Labyrinth technischer Ausdrücke"
führen soll, ganz abgesehen davon, daß gerade bei diesen Artikeln ein Mi߬
stand hervortritt, der sich zwar auch in den übrigen Partieen zeigt und mehr
oder weniger jedem Conversationslexicon anhaftet, der aber hier sich ganz be¬
sonders fühlbar macht, nämlich der Mangel an gleichmäßiger Durcharbeitung.
Die Ikonographie, d. h. die vergleichende Denkmälerkunde, also jenes Gebiet
der Kunstwissenschaft, bei der die gegenständliche Seite den Hauptgesichtspunkt
der Betrachtung bildet, ist zwar in der antiken Kunst, namentlich in einem
ihrer Zweige — der Kunstmythologie — eifrig cultivirt worden, liegt aber
in der modernen Kunst fast noch ganz unangebaut da. Wo nun den Heraus¬
gebern in irgend einer Monographie bequemes Material zur Hand war, da
haben sie ihre Artikel zu ungebührlicher Länge ausgedehnt; wo ihnen dieses
Material fehlte — und das wird ihnen in den nachfolgenden Heften noch
manchmal so gehen — da sind die Artikel unverhältnißmäßig mager ausge¬
fallen. Aber mager oder nicht, sie gehören überhaupt nicht hierher und neh¬
men nur andern Artikeln den Platz weg, die eingehender behandelt sein
müßten. Die Herausgeber bezeichnen es im Vorworte selbst als ihre Aufgabe,
ihre Artikel so einzurichten, „daß jeder Nachschlagende nicht halbe, sondern
volle Kenntniß von dem Wesen des betreffenden Gegenstandes aus dem auf¬
geschlagenen Artikel schöpfen könne". Sieht man sich aber das Buch näher
an, so gewahrt man, wie auf jeder Seite dieser Forderung ins Gesicht ge¬
schlagen ist. Auf Tritt und Schritt begegnet man ungenügenden Artikeln, an


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/243>, abgerufen am 29.06.2024.